Open Menu
Open Menu
 ::

Sehr mild, Fahrbericht Mercedes S400 Hybrid-1349

Published in radical-mag.com

Fahrbericht Mercedes S400 Hybrid

Noch nicht erstellt
Ob sie das nun wollen oder nicht, die Hersteller brauchen Hybrid-Modelle. Zwar hat sich Mutti Merkel gerade wieder hinter die deutschen Autobauer gestellt und in Brüssel verhindert, dass die neuen CO2-Vorgaben wie geplant eingeführt werden, doch mittelfristig wird der Flottenverbrauch trotzdem massiv niedriger sein müssen, und dafür braucht es die Hilfe von Strom. Auch bei Oberoberklasse-Limos wie der neuen S-Klasse, obwohl sich da die Verkaufszahlen wohl in sehr engen Grenzen halten werden, zumindest bei den Privatkunden, die nehmen dann schon lieber den fettesten Benziner oder dann einen währschaften Diesel. Doch es gibt genug Firmen und Organisationen (der Staat, zum Beispiel), die sich gegen aussen gern ein Häuchlein von Nachhaltigkeit auf das Fähnlein im Wind schreiben, da besteht dann auch ein gewisser Bedarf. Mercedes bedient diesen in Zukunft mit einem S500 Plug-in-Hybrid und einem S300-BlueTec-Hybrid (sprich: Diesel), jetzt schon zu haben ist der S400 Hybrid.

Die technische Lösung ist jetzt nicht gerade berauschend: angetrieben wird der S400 Hybrid von einem 3,5-Liter-V6 mit 306 PS, dazu kommt ein Elektromotor, der noch einmal 20 kW leistet. Es ist dies ein ganz klassischer «mild hybrid», der Strom wird durch Brems-Rekuperation erzeugt, er hilft beim Energiesparen, weil der Elektromotor auch als Anlasser und Lichtmaschine dient. Keinerlei Einschränkungen des Platzangebotes, das ist vorbildlich. Solches Zeugs gibt es allerorten, es handelt sich dabei einfach um eine etwas grössere Batterie (plus den Elektromotor), der Aufwand kann nicht mit einem Prius verglichen werden und erst recht nicht mit einem Lexus LS600h. Erstaunlich ist aber das Resultat: 6,8 Liter (oder auch nur 6,3 Liter, wir blicken bei den Angaben nicht so ganz durch) will der S400 Hybrid auf 100 Kilometern verbrauchen (beim Lexus sind es 8,6 Liter). Das ist, auf dem Papier, ein guter Wert für ein Automobil, das 2 Tonnen schwer ist, in 6,8 Sekunden von 0 auf 100 beschleunigt und elektronisch abgeriegelt 250 km/h schnell ist.
Mercedes S400 Hybrid
Mercedes S400 Hybrid
Maximales Drehmoment, gemäss Pressetext: 370 Nm. Das verstehen wir jetzt nicht so ganz, auch deshalb nicht, weil da auch noch steht, dass das 250 Nm mehr sein sollen als bisher. Und 370 Nm, das haut uns jetzt nicht von den Socken. Aber da stimmt wohl etwas nicht mit den technischen Daten, der noch anstehende S300 BlueTec Hybrid (nix Plug-in, aber Diesel, 204 PS plus 20 kW vom Elektromotor, Verbrauch nur gerade 4,4 Liter) soll dann 500 Nm für den guten Durchzug bieten…

Zudem: Der bereits erhältliche 350er-Diesel (mit einem maximalen Drehmoment von 620 Nm) kanns mit gut einem Liter weniger. Und den gleichen Fahrleistungen. Gut, ein Selbstzünder ist jetzt nicht das, was alle sich wünschen in einer Oberklasse-Limo, aber ein Liter ist ein Liter, und erfahrungsgemäss kommt so ein feiner Diesel dort draussen im richtigen Leben meist ziemlich nah an die Vorgaben auf dem geduldigen Papier, im Gegensatz zu.Mercedes S400 Hybrid
Mercedes S400 Hybrid
Mercedes S400 Hybrid
Mercedes S400 Hybrid
Mercedes S400 Hybrid
Und der Diesel kostet dann auch noch genau 9999 Franken weniger, für den S400 Hybrid werden immerhin 114'999 Franken fällig (seit wann gibt es bei Mercedes solche Abverkaufspreise?).

Ja, selbstverständlich fährt es sich feinst und edel im neuen S400 Hybrid. Es ist ja auch eine S-Klasse. Und die S-Klasse war schon immer dort, wo ganz oben ist. Da gehört sie hin, da muss sie sein. Sie gleitet, mühelos, es ist Ruhe, und das ist schön. Das ist sogar sehr angenehm, man kann sich durchaus vorstellen, mit dem Wagen wohinauchimmer. Noch eine gute Musik, dann ist alles wie deutsche Markenbutter. Wir wollen jetzt hier nicht weiter auf die grossen Anstrengungen eingehen, die Mercedes in Sachen Fahrwerk unternommen hat, das wurde andernorts schon ausführlich beschrieben (und wir kommen dann bei unserem Bericht zum S500 noch darauf zurück), aber eine Beobachtung wollen wir noch loswerden: ja, das Gefährt plättet tatsächlich so ziemlich alle Bodenunebenheiten. Wir haben das probiert, sind extra über kleine Löcher gefahren und alles, was wir noch finden konnten auf der Gasse, und die S-Klasse macht das alles weg, man spürt kaum etwas. Aber: man hört es. Bisher hat man die Löcher gespürt, jetzt nimmt man sie akustisch wahr, und wir wissen jetzt nicht so ganz genau, was besser ist. Überhaupt, diese Abrollgeräusche, sie sind massiv - was wiederum daran liegt, dass in diesem Wagen ansonsten eine wunderbare Ruhe herrscht.

Dies natürlich auch deshalb, weil der Strom mitarbeitet. Wer das Gaspedal bedient wie die rohen Eier von Kolumbus, der wird mit einem trotzdem feisten Durchzug belohnt; natürlich geht auch mehr, so richtig flott, wenn man den Sechszylinder plagt und noch zusätzliche Kraft vom Elektromotor abverlangt, dann zieht der S400 grob an und ab, doch dann ist auch sicher nix mehr mit 6,8 (6,3) Litern. Auf der Hinfahrt haben wir ein bisschen gespielt mit dem grossen Benz, da zeigte der Bordcomputer deutlich zweistellig an; auf der Rückfahrt waren wir ganz brav, schafften es auch immer wieder mal ganz elektrisch, dann waren es nur noch 5,9 Liter.
Mercedes S400 Hybrid
Erfreulich ist, dass man von der hybriden Technik eigentlich nichts merkt, der Einsatz erfolgt ruckfrei und ganz locker, doch das können alle anderen Hybriden ja auch. Sauber gelöst ist soetwas wie eine Segelfunktion, rollt man einher oder hin zu einem Rotlicht, dann geht der Motor aus, Verbrauchsanzeige null, das macht ein gutes Gewissen. Genau wie das Wissen darum, dass man ein 2-Tonnen-Gerät nicht sinnlos bremst, dass die Energie nicht einfach in Wärme umgewandelt wird. Allerdings: das Bremsen ist etwas gewöhnungsbedürftig, der erste Zentimeter und auch noch der zweite sind für die Rekuperation reserviert, erst dann geht der Benz richtig in die Eisen. Was aber bei quasi allen Hybriden so ist; der grosse Lexus kann das, unserem subjektiven Empfinden nach, etwas sanfter, weniger spürbar.

Und sonst? Ach, wir wissen es jetzt nicht so recht. Natürlich ist innen alles edel und toll und überhauptig, aber - ist das alles wirklich noch zeitgemäss? Braucht der Mensch wirklich noch solche fahrenden Wohnzimmer, Business-Lounges, Status-Symbole? Und wir wissen jetzt auch nicht so recht, ob die S-Klasse wirklich up-to-date und state-of-the-art ist, das Beste oder nichts, im Vergleich zum Interieur des Tesla S (Fahrbericht: hier) wirkt das alles ein bisschen überholt, ältlich, so konservativ, wie die Kundschaft wahrscheinlich ist. Ja, auch ein Riesenriesen-Bildschirm in der S-Klasse, manche haben nicht einen derart grossen Fernseher daheim, aber im Tesla ist das (optisch) viel ansprechender, viel praktischer, viel einfacher in der Bedienung. Es gibt manch ein Ding, das gibt es nicht (Head-up-Display? Direkte Internet-Anbindung?), es gibt manch ein Ding, das braucht es nicht (synthetische Hotstone-Massage, wir haben es probiert, es ist in etwa wie Porno im Vergleich zu the real thing), es gibt ganz viele Dingers, die sind nett und fein und manchmal sogar kuhl, doch die Menschheit hat sie bisher nicht gebraucht und es hätte ihr auch nicht wirklich etwas gefehlt, wenn sie nie erfunden worden wären. Selbstverständlich tolle Verarbeitung, selbstverständlich wunderbarste Materialien, sehrsehr gute Sitze, auch hinten.

Womit wir dann zur Gretchenfrage kommen: braucht es den S400 Hybrid? Und wie das bei Gretchenfragen so ist, ist die Antwort etwas schwierig. Wir wollen diplomatisch sein, ausnahmsweise: wenn schon S-Klasse mit Strom, dann wohl besser warten auf den S500 Plug-in-Hybrid. Der wird dann aber wohl massiv teurer.

Fahrbericht vom S63 AMG: hier.

Mehr Benzen gibt es im Archiv.


Original: radical

Related Items from Catalogue Show Related