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Wo die Musi spielt, Erfahrungsbericht Touring Disco Volante-1257

Published in radical-mag.com

Erfahrungsbericht Touring Disco Volante

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Die Diskussion in der Hotelvorfahrt in Villa d?este werden dann schon fast philosophisch. Der jungen Italiener sagt: «Zwölfzylinder, Ferrari, 60er und 70er Jahre, oder die ganz neuen.» Ein englischer Journalist meint: «Reihen-Sechszylinder, so wie im Aston Martin DB4 GT.» Der französische Photograph sagt gar nichts und hört einfach nur zu, seine deutsche Kollegin eilt von dannen.

Es geht um: Musik. Nicht jene aus den Lautsprechern oder von grossen Orchestern, sondern jene, die für Menschen mit ein wenig Benzin im Blut die schönste aller Geräuschentwicklungen ist: jenen Sound, den Motorenlärm, Ansaugmaschinerie und Abgasanlage entwickeln. Im Mittelpunkt des Geschehens: der Touring Disco Volante. Unter seiner futuristischen Haut steckt die Technik des Alfa Romeo 8C, einer der absoluten Klang-Meister der Neuzeit. Doch weil der Disco Volante 25 Zentimeter länger ist als seine Basis, durften die Spezialisten von Touring die Abgasanlage neu konstruieren. Und sie haben es mit Verve getan, mit viel Gefühl - und doch brachial. Und so führte der Disco zwar eine ganz feine Klinge, da gibt es schon im Leerlauf die wunderbarsten Nebengeräusche, ein sanftes Röcheln kombiniert mit einem brünstigen Knurren, es ist laut und schön und laut. Und als Giacomo, der Testfahrer, dann ein bisschen mit dem Gaspedal spielt, wird die gedeckte Hotelvorfahrt zum Konzertsaal, andächtig hört das kleine, feine Publikum zu, wie sich das Röcheln in ein Brüllen verwandelt, kein Gekreische wie bei einem Zwölfzylinder, nicht so eine lineare Dezibelzahl-Steigerung wie bei einem Reihensechszylinder, sondern: Achtzylinder-Musik.

Noch besser ist es dann beim Fahren. Bei tiefen Drehzahlen dieses röchelnde Brabbeln, fies, gemein, das kommt im Innenraum noch unvermittelter zur Geltung. Dann höher drehen, es wird heavy metal, AC/DC in ihren übelsten Zeiten, laut. Wirklich, wirklich laut. Und bösartig.
Touring Disco Volante
Touring Disco Volante
Doch den Gipfel hat man selber in der Hand, am besten in einem Tunnel (von denen es entlang des Comersee ja so einige gibt): knapp 4000/min, dann vom 3. in den 2. Gang schalten. Es folgt die Symphonie des Bösen. «Les fleurs du mal», frei nach Baudelaire. Wie das Bellen eines räudigen, von Flöhen geplagten Strassenköters, dem man ans Familienglück greift. Es könnten auch Fehlzündungen sein, sind es aber nicht, die Sound-Ingenieure von Touring haben das genau so gewollt.

Ansonsten lässt sich nicht viel erzählen über das Fahrerlebnis: es giesst wie aus Kübeln, es hat viel Verkehr, die Zeit ist beschränkt, und das Bewegen eines Einzelstücks - unterdessen wurden zwar Nummer 2 und 3 schon bestellt - erfordert den nötigen Respekt. Doch man darf davon ausgehen, dass alles ist wie im Alfa 8C, denn abgesehen von der Lärm-Entwicklung hat der Disco Volante keine technischen Veränderungen erfahren durch Touring.Touring Disco Volante
Touring Disco Volante
Touring Disco Volante
Touring Disco Volante
Touring Disco Volante
Touring Superleggera: welch glorreicher Name. Gegründet 1926 von Felice Bianchi Anderloni und Gaetano Ponzoni in Mailand, machten sich die Italiener schnell einen guten Namen, ihre ersten Meisterwerke für Isotta-Fraschini und Alfa Romeo trugen die Bezeichnung «Flying Star». Weitere Meisterwerke, die zu den wunderbarsten Automobilen aller Zeiten gehören: der Alfa Romeo 8C2900 Touring Spider von 1938, die Barchetta des Ferrari 166 von 1950, verschiedene Alfa 1900 in den 50er Jahren, die Flaminia von Lancia, der 3500 von Maserati, die ersten Lamborghini. Und natürlich die Aston Martin, DB4 und DB5. Richtig berühmt war Touring für seine «superleggera»-Konstruktion, doch damit war es irgendwann auch vorbei, und eine der feinsten Adressen unter den italienischen Auto-Designern musste 1966 ihre Tore schliessen.

Rund 40 Jahre war dann Ruhe im Gebälk. Dann, vor 7, 8 Jahren begann ein Sturm um die Namensrechte, eine Geschichte, wie sie eigentlich nur in Italien passieren kann, und es liessen sich Seiten füllen über Winkeladvokaten und andere schmierige Typen, die sich um Namen, Wappen, Rechte stritten. Egal, irgendwie, denn seit 2007 gibt es eine neue Firma namens Carrozzeria Touring Superleggera mit Sitz in Terrazzano di Rho bei Mailand, die hat einen ganz seriösen Hintergrund. Und die bringt mit schöner Regelmässigkeit ganz nette Fahrzeuge, einige sogar auf den Markt, etwa den Bentley Continental Flying Star, ein vom Mutterhaus autorisierter Kombi, der sogar richtig gut aussieht. Andere bekannte Werke: der Maserati Bellagio Fastback auf Basis des Quattroporte (eines der vier gebauten Exemplare wurde erst kürzlich von RM Auctions in Villa d'Este versteigert, für 117'600 Euro), ein Maserati A8CGS, der Gumpert Tornante.

2012 zeigte die neue Carrozzeria Touring Superleggera auf dem Genfer Salon dann einen Prototypen eines Alfa Romeo Disco Volante. Jenes Genfer Show-Car sorgte für grosses Aufsehen, und irgendwie war es absehbar, dass Touring den Disco bauen würde.
Touring Disco Volante
Und tatsächlich, auf dem diesjährigen Genfer Salon stand dann das fahrbare Teil, es kam zusammen mit der Ankündigung, dass eine Kleinstserie gebaut wird, 8 Stück, maximal. Natürlich nur auf Bestellung - und wer einen will, der muss auch gleich noch einen Alfa 8C mitbringen, denn dieser bildet die technische Basis des neuen Disco. Einen Preis will Touring nicht nennen, aber schon so ein 8C ist ja nicht wirklich günstig, weil eher selten. Es fragt sich auch, wer seinen Alfa hergeben mag, denn der ist ja auch schon ein Sammlerstück - und sieht so schlecht nicht aus.

An der technischen Alfa-Basis bastelt Touring, wie erwähnt, nicht, also: 4,7-Liter-V8, 450 PS. Der Disco Volante ist 4,62 Meter lang (also deutlich länger als der 8C, der kommt auf bescheidene 4,38 Meter), der Radstand beträgt 2,64 Meter (selbstverständlich gleich wie beim 8C), die Breite 2,03 Meter (plus satte 14 Zentimeter) und die Höhe 1,31 Meter (minus 3 Zentimeter). Einen Kofferraum hat der Disco Volante auch, mit 142 Litern ist er aber deutlich kleiner als beim 8C, der schafft immerhin 330 Liter. Der Alfa wiegt 1585 Kilo, Touring will nichts vermelden zum Disco Volante, es dürften ein paar Kilo mehr sein. 88 Liter Tankinhalt, das ist gleich wie beim 8C. Denn, eben, unter dem Blech ist eigentlich gar nichts neu. Ausser, eben, die Abgasanlage.

Gezeichnet hat die Neu-Interpretation des Disco Volante Louis de Fabribeckers. Und selbstverständlich war er stark inspiriert vom C52 (siehe Box). Der war allerdings ursprünglich, im Jahr 1952, ein Cabrio, ein Coupé kam erst 1953. Man darf annehmen: die neue Touring wird uns spätestens zum nächsten Genfer Auto-Salon auch noch die offene Variante des Disco Volante nachreichen, was technisch kein Problem darstellen dürfte, denn den Alfa 8C gibt es ja auch offen. Vorstellbar ist auch, dass Touring etwas Ähnliches machen könnte aus dem neuen 4C, der wird ja einiges günstiger sein als sein grosser Bruder. Noch diesen Herbst wird es erste Entwürfe zu bewundern geben.

Ist er denn nun schön, der neue Disco Volante? Schwierig zu beurteilen - wenn man ihn über die Strasse «fliegen» sieht, dann ja. Im Stillstand - so ein 8C ist auch ein ganz hübsches Fahrzeug. Und der Disco Volante ist mehr die Opera buffa, etwas übertrieben, ein bisschen schwülstig. Doch die komische Oper hat ja auch ihre Liebhaber.

Und wie wir gerade noch erfahren haben: Alfa Romeo hat eingewilligt, dass der Disco das Alfa-Emblem tragen darf. Das war bisher nicht so. Das ist gut.

Mehr Alfa Romeo gibt es im Archiv.


Original: radical

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