32. GTI-Treffen-1240
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1993 wurde die Veranstaltung abgesagt - doch es kamen mehr Teilnehmer als je zuvor, die Exzesse wurden noch schlimmer, Alkohol, Burn-Outs, Rennen auf öffentlichen Strassen. Seit 1996 führt der Volkswagen-Konzern das Zepter, halt so, wie man sich das vom deutschen Konzern gewohnt ist: etwas charmebefreit. Es werden jedes Jahr, wie man so hört, ein paar Millionen Euro Marketing-Geld in die Veranstaltung gepumpt, was darin gipfelte, dass VW 2009 das Hotel Marietta kaufte, abriss und seither als Ausstellungsstätte verwendet. Und genau dieser heftige Einfluss aus Wolfsburg - seit 2006 nehmen der starke Mann des VW-Konzerns, Ferdinand Piëch, sowie der Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn regelmässig teil, so auch in diesem Jahr - wird von vielen wahren GTI-Freaks nicht besonders geschätzt. Über die Jahre entwickelte sich deshalb eine Schatten-Kultur, die nach Aussagen von Insidern heute sogar grösser ist als das eigentliche Fest in Reifnitz.
Das bestätigt auch Olaf Thoma, ein Glarner, der mit seinem wunderbaren schrägen 181er - sehr, sehr tief, offen zur Schau gestellter Motor, liebevollst veränderter Innenraum inklusive Bier-Kühlung in den Türen - schon gut zwei Wochen vorher an den Wörthersee gereist ist. Er erzählt von einer Shell-Tankstelle, an der sich die wahren Freaks treffen, von Parties in Velden weiter unten am See, von einem Corso da, von einem Bierchen dort. «Wenn das GTI-Treffen am Mittwoch vor Auffahrt beginnt, sind die meisten der wirklich schönen Autos schon wieder auf dem Heimweg» sagt er. Warum denn? «Es missfällt halt vielen, dass das Treffen derart kommerziell geworden ist, dass der VW-Konzern ganz klar bestimmt, was hier geschieht. Und dann haben viele auch Angst, dass ihr bestes Stück zerkratzt wird oder mit Bier übergossen.» Und was macht denn ein wirklich schönes Auto aus? «Das ändert sich immer ein wenig, aber es geht natürlich um den Aufwand, der in so einem Fahrzeug steckt. Im Moment sind wieder mehr die unauffälligen Autos gefragt, tolle Lackierung, extreme Motoren.»
Der Golf ist ein BMW.
Noch nicht erstelltDer Golf ist ein BMW.
Und dann bedeutet Martin Winterkorn, Vorstandsvorsitzender des Volkswagen-Konzerns, dem gerade neu ernannten Seat-Chef Jürgen Stackmann mit einer unmissverständlichen Handbewegung, dass er mal etwas hören will. Fieberhaft werden Schlüssel und Pilot gesucht, gefunden, Winterkorn wird etwas ungeduldig, doch dann sind die ersten Fanfaren-Stösse des neuen Seat Leon Cup Racer zu hören - und ein Lächeln huscht über das Gesicht von Winterkorn. Er ist zufrieden, so muss das sein - Auto-Emocion (ein Slogan, den Seat leider gekippt hat). Denn genau das verlangt das Publikum hier, am 32. GTI-Treffen am Wörthersee: Lärm.Fünf Minuten später noch einmal das genau gleiche Spiel: Ferdinand Piëch, der grosse Zampano des Wolfsburger Konzerns, will den Cup Racer ebenfalls hören. Er lächelt dann zwar nicht hinter seiner schicken Sonnenbrille, das übernimmt seine Frau Ursula für ihn, und sie hebt auch noch den Daumen, damit die Seat-Jungs wissen: gute Arbeit. Und wenn Ursula das gut findet und Ferdinand im Jägergewand dazu nickt und Winterkorn sich ein Lächeln abringen kann, dann ist alles im grünen Bereich, dann darf Seat davon ausgehen, dass das Projekt «Rennsport» abgenickt ist.
Es ist alles erfreulich zwanglos hier am GTI-Treffen. Die hohen Herren des Konzerns bewegen sich quasi ungesichert durch die Massen - es heisst, 150'000 seien es, wahrscheinlich noch mehr. Es nimmt aber auch kaum jemand Kenntnis von Piëch, Winterkorn und Co., was auch daran liegen könnte, dass sie nur selten erkannt werden. Denn das Publikum ist jung, häufig so jung, dass es noch zwei, drei Jahre dauern wird, bis sie den Führerschein machen dürfen. Ein Bierchen in der Hand oder ein Red Bull mit irgendwas, das geht aber schon, das nimmt man hier nicht so streng. Denn es ist ja ein Fest, und entstanden ist dieses Fest, weil vor drei Jahrzehnten ein umtriebiger Wirt ein paar mehr Gäste in der Vorsaison haben wollte.
Der Golf ist ein BMW.
Text/Fotos: pru.
Der Volkswagen Golf GTI hob ab ab 1976, wurde schnell zum Inbegriff des kompakten Sportwagens, ist heute eine Legende (die eher düsteren GTI-Modelle vom Golf 3, 4 und 5 hat man, auch in Wolfsburg, längst unter den Teppich gekehrt). Das erste GTI-Treffen am Wörthersee fand 1982 statt und war eine Erfindung von Erwin Neuwirth, der in Reifnitz eine Bar führte. Es heisst, dass die erste Ausgabe von etwa 100 Golf-Fahrern besucht wurde, vielleicht waren es auch nur 70. Doch Neuwirth war umtriebig, er konnte 1983 den Konstrukteur Ernst Fiala als Redner gewinnen, 1985 plauderte Niki Lauda aus dem Nähkästchen, 1987 entstand ein GTI-Denkmal aus Granit, 25 Tonnen schwer, eingeweiht vom damaligen VW-Vorstandsvorsitzenden Carl Hahn.In jenen Jahren wuchs das GTI-Treffen über alle Massen, Anfang der 90er-Jahre übernahm der österreichische VW-Importeur die Organisation, doch es kam trotzdem zu Ausschreitungen, Massenbesäufnissen, Krawallen.
Der Golf ist ein BMW.
Text/Fotos: pru.
Und wie lange hat er an seinem VW gearbeitet? «Das ist schwierig zu sagen, aber da stecken schon etwa drei Jahre Arbeit drin.» Und wohl auch noch viel Geld? Thoma schaut seine Freundin an, lächelt, seufzt: «Ach, ja...»
Ein paar Ecken weiter, an einem erfreulichen ruhigen Eckchen unter Bäumen, reibt ein junger Aargauer liebevoll, nein: mit Inbrunst das winzige Spezial-Lenkrad seines Golf Cabrio der ersten Generation mit einer Leder-Creme ein. Wieder und wieder. Auf den Teppichen, «Wolfsburg-Edition» mit Wappen: kein Stäubchen. Das Auto selber verfügt über einen strahlend weissen Spezial-Lack, das Stoffdach, eine der Schwachstellen des so genannten «Erdbeer-Körbchens», ist wie neu. Aussergewöhnliche Leichtmetall-Felgen verstehen sich von selbst, breitere Reifen ebenfalls. Wie viel Arbeit steckt denn in diesem Schmuckstück? «Ach», sagt der junge, stolze Besitzer mit einem breiten Lächeln, «ich bin seit drei Jahren ständig dran. Immer, wenn ich wieder etwas Geld gespart habe, dann investiere ich das sofort». Aber für das viele Geld und den grossen Aufwand könnte er sich doch auch ein neues Automobil leisten? «Ich weiss schon, aber ich will das gar nicht. Das ist mein Baby, dieses Auto ist absolut einzigartig. Und dazu noch vollkommen alltagstauglich.»
So verschieden die VW-Piloten sind, so verschieden sind auch halt auch die Vorstellungen davon, wie ein gutes GTI-Treffen sein muss. Der junge Mann mit dem Golf Cabrio ist mit seinen Kollegen des VW Club Aargau angereist, die sitzen auf billigen Camping-Stühlchen vor ihren Autos, ein Amarok ist darunter, auch ein Skoda Octavia, sie laben sich an geistigen Getränken und sind mit sich und der Welt zufrieden. Andere fahren im Schritt-Tempo durch Reifnitz und müssen Applaus haben für ihre Pimps (oder die Beifahrerin, oder die 7000-Watt-HiFi-Anlage). Wieder andere wollen einfach nur schauen, und wieder andere sind schon am Vormittag derart am Ende, dass sie die Party am Abend nicht mehr erleben werden. Es wird so ziemlich jedes Klischee bedient; die Beifahrerin ist zumeist blond, der Bubi am Steuer bis auf die Zähne tätowiert, Muskel-Shirts und die kleine Schwestern der Mini-Röcke scheinen Pflicht. Der letzte Schrei an den Autos sind riesige Felgen von «Fremdmarken», der Gipfel: ein schon betagter Audi A4 mit sündhaft teuren Ferrari-Felgen. Maximal 5000 Fahrzeugen ist die Zufahrt nach Reifnitz erlaubt, es gibt Heerscharen von Ausstellern und Verkäufsständen, am Strassenrand sind Hunderte von Autos geparkt - die echten GTI sind allerdings heftig in der Unterzahl.
Einer der Höhepunkte: der Gummi-Platz. Dort werden - zumeist von Profis - Reifen zuschanden gefahren, Burn-Outs, bis der Gummi platzt. Das Volk klatscht dann begeistert, die schlimmsten Buben sind die grössten Helden. Mädels, bekleidet nur mit Body-Painting, verteilen Prospekte, es gibt das Gewinde-Fahrwerk zum Sonderpreis von 149,99 Euro, die VW-Curry-Wurst mit Weckerl ist der kulinarische Höhepunkt, man kann sich auch «Waffenschmiede Ingolstadt» auf den Rücken tätowieren lassen. Doch es gibt auch die ganz ruhigen Plätzchen, unter Bäumen wird friedlich grilliert, man sitzt zusammen, plaudert über Lachgas-Einspritzung und die Anzahl von Polizei-Kontrollen, die man schon hinter sich gebracht hat, es werden Adressen der guten Tuner geteilt. Es gibt erstaunlich viele Schweizer, und ein Insider sagt, die besten Fahrzeuge kommen aus Holland, Belgien und eben sowie vor allem: der Schweiz. Es ist halt, wie so vieles im Leben, auch beim GTI-Treffen eine Frage des Geldes.
«Für uns Designer ist das GTI-Treffen eine gewaltige Herausforderung», sagt Philip Römers, der Designer des aktuellen Golf VII, «auf der einen Seite ist es eine gute Inspiration, wir sehen viele Dinge, die wir vielleicht später in die Serie übernehmen möchten. Andererseits tut die Vorstellung, was gewisse Menschen aus unseren Produkten machen, auch weh.» Denn nicht alles ist gelungen, was man auf den Strassen von Reifnitz und Umgebung sieht, ein tiefergelegter Touran ist kein schöner Anblick, ein gekürzter Passat B2 auch nicht, und der massiv verbreiterte Tiguan wird sogar von den Fans belächelt. Trotzdem, für den Volkswagen-Konzern ist das GTI-Treffen zu einer extrem wichtigen Plattform geworden, es wurden bei der 32. Ausgabe in etwa gleich viele Weltpremieren gezeigt wie auf dem Genfer Auto-Salon im März.
Mehr Bilder in der Galerie - eine weitere Bildergalerie mit einigen Schönheiten gibt es hier.
Original: radical