VW spielt Minigolf: Mit Technik der Kompakten will der neue Polo verlorenen Boden gutmachen
Golf, Passat, Tiguan – wenn VW in einem Volumensegment antritt, dann stehen die Niedersachsen für gewöhnlich an der Spitze. Das ist in der Kompaktklasse so, in der Mittelklasse und bei den kompakten Geländewagen. Doch ausgerechnet die Klasse der Kleinwagen, in Europa nach wie vor das größte Segment, müssen sie Marken wie Ford und Renault überlassen. Denn an Fiesta und Clio kam der Polo in den letzten Jahren partout nicht vorbei. Deshalb kann VW-Chef Herbert Diess nach bislang 14 Millionen Exemplaren noch schon stolz von einem Dauerbrenner und Erfolgsmodell sprechen und den Polo zur „Nummer 1 unserer Kleinwagen“ erklären – es bleibt dabei immer ein bitterer Beigeschmack.
Doch damit soll bald Schluss sein. Denn wenn die Niedersachsen nach der Publikumspremiere im September auf der IAA die sechste Generation des Polo an den Start bringen, wollen sie mit neuem Schick und noch mehr neuer Technik verloren Boden gut machen. Dabei setzt VW auf die Unterstützung der großen Familie und spendiert dem Polo viele Goodies aus Golf und Passat – angefangen vom erweiterten Modularen Querbaukasten bis hin zu Infotainment und den Assistenzsystemen. „Damit sprengen wir die Klassengrenzen“, sagt Entwicklungschef Frank Welsch.
Dass sich der neue Polo so souverän und erwachsen anfühlt wie ein Golf, liegt aber nicht nur am digitalen Kombiinstrument aus dem großen Bruder, der Abstandsautomatik und dem riesigen Touchscreen, der bündig im Cockpit integriert ist. Sondern das liegt vor allem am neuen Format. Denn mit dem Wechsel auf die kleinste Version des Modularen Querbaukastens streckt sich der Polo noch einmal knapp zehn Zentimeter in Länge und Radstand. Das sorgt für spürbar mehr Beinfreiheit im Fond und einen mit 351 Litern rund 25 Prozent größeren Kofferraum. Und es bringt vor allem ein souveräneres Fahrverhalten. Der neue Polo federt ruhig und gelassen, lenkt sauber und präzise wirkt rundherum so solide, wie ein deutlich größeres Auto. Die Platzreife für die Golf-Klasse hat er damit längst erreicht.
In Fahrt bringen den Mini-Golf mittelfristig neun Motoren, bei denen die Benziner deutlich überrepräsentiert sind. Denn während es gleich fünf Otto-Triebwerke vom schmalen 1.0-Liter-Dreizylinder mit 65 PS bis zum aufgefrischten 1,5-Liter-Vierzylinder mit Zylinderabschaltung gibt, bieten die Niedersachsen nur einen TDI-Motor mit 1,6 Litern Hubraum und 80 oder 95 PS an. Dafür haben sie allerdings noch zwei weitere Schmankerl in Planung: Wer sparen will, bekommt den Dreizylinder auch als 90 PS starken TGI mit Erdgasumrüstung und wer es gerne sportlich hat, kann sich auf einen 200 PS starken 2,0-Liter im nächsten Polo GTI freuen. Nachdem sich VW mit dem Diesel-Skandal ordentlich in die Bredouille gebracht hat, gehen sie beim Polo auf Nummer sicher: Die Diesel fahren deshalb mit SCR-Katalysator und Start-Stopp und Rekuperation sind bei allen Varianten Standard.
Aber der Polo schaut nicht nur nach dem Golf, sondern lernt auch von seinem kleinen Bruder Up. „Da haben wir uns abgeschaut, wie man ein lebenslustiges Auto baut“, sagt Baureihenleiter Klaus-Gerhard Wolpert. Die Karosserie ist zwar trotz der etwas aufwändigeren Leuchten und der knackigeren Proportionen brav und bieder wie immer, doch zumindest innen bringt VW ein wenig mehr Farbe ins Spiel. Denn neben den neuen, sehr viel größeren Touchscreens mit Klavierlackrahmen, Black-Pannel-Optik und Näherungssensor gibt es deshalb auf Wunsch auch bunte Kunststoff-Konsolen für den gewohnt nobel ausgeschlagenen Innenraum. Jedoch weiß auch Wolpert, dass ein paar Farbkleckse allein aus einem konservativen Klassiker keinen bunten Lifestyle-Flitzer machen und hat deshalb die Familienplanung schon weiter voran getrieben. Ab dem nächsten Jahr gibt es den Polo auch als trendiges SUV.
Er fährt sich wie ein Golf, bietet zumindest die Option auf beinahe die gleiche Ausstattung und ist dank seines größeren Radstands vor allem in der ersten Reihe kaum weniger geräumig. Nur in einem entscheidenden Punkt will VW dann doch einen Unterscheid machen: Beim Preis. Da wahrt er einen Respektsabstand von mehreren Tausend Euro. Im Ringen mit Corsa & Co ist VW mit dieser Bodenhaftung sicher gut beraten. Doch intern könnte das den Niedersachsen noch Probleme bereiten. Denn so gut, wie der Polo jetzt Golf spielt, braucht eigentlich keiner mehr das Original.