In neuem Format zurück zu alter Größe: Mit dem Insignia kommt Opel groß heraus
In der letzten Zeit ist zwar viel über Opel geredet worden. Doch die Produkte sind dabei ein bisschen kurz gekommen. Damit ist jetzt erst einmal Schluss, sagt Deutschland-Chef Jürgen Keller. Er lässt die Franzosen Franzosen sein, will nichts wissen von General Motors und nichts sagen zur Zukunft unter der Regie des PSA-Konzerns. Sondern hier und heute dreht sich alles um ein neues Auto, das für die Hessen mindestens genauso so wichtig ist, wie die künftige Firmenstruktur. Denn drei Monate vor der Markteinführung am 24. Juni bittet Keller zur ersten Ausfahrt mit dem neuen Opel Insignia. Und sein Marketing-Chef Albrecht Schäfer hängt die Latte gleich mal ziemlich hoch: „Die zweite Generation unseres Flaggschiffs haben wir mit dem Anspruch auf die klare Führerschaft im Segment entwickelt und mit der Hoffnung, damit sogar ein paar Premiumhersteller zu ärgern.“
Diese Hoffnung fußt vor allem auf einem neuen Format. Denn im Zuge des Generationswechsels hat Opel das Flaggschiff auf eine neue Plattform gestellt und dabei ordentlich in die Länge gezogen. Der Radstand wächst vor allem zugunsten der Hinterbänkler um neun Zentimeter, so dass die Limousine nun 4,90 und der Kombi sogar 4,99 Meter messen und der Insignia zumindest im Format tatsächlich in eine Liga mit BMW Fünfer oder Mercedes E-Klasse aufsteigt. Deshalb sitzt man hinten besser als je zuvor und kann obendrein ein bisschen mehr einladen.
Was noch für den Insignia spricht, ist sein schnittiges Design. Inspiriert von der seinerzeit als stilbildend gerühmten Monza-Studie aus dem Jahr 2014 hat Opel den Insignia sehr viel selbstbewusster gezeichnet, ihm einen entschlossenen Blick ins Blech geschnitten und sich eine fast coupéhafte Linie erlaubt, die ein bisschen an den Audi A7 oder zumindest an den VW CC erinnert.
Aber der Wagen sieht nicht nur gut aus, er fährt auch so – selbst wenn der Beiname Grand Sport vielleicht ein wenig albern oder gar anmaßend ist. Erst recht, wenn man bedenkt, dass diesen Ehrentitel bei GM sonst nur eine sportliche Corvette-Variante trägt. Doch weil man sehr viel tiefer sitzt als früher, ist man endlich wieder im Zentrum des Geschehens, und weil der Insignia trotz des größeren Formats bis zu 200 Kilo abgespeckt hat, tut er sich auf einer kurvigen Landstraße buchstäblich leichter. Erst recht mit einem gründlich überarbeiteten Fahrwerk, selbst wenn dem bei den schwächeren Motoren die adaptiven Dämpfer fehlen: Handlich, präzise und bisweilen fast ein bisschen zu stramm und sportlich fährt das Flaggschiff deshalb wie der geölte Blitz durchs hessische Hinterland und fühlt sich an, als wäre er kleiner statt größer geworden.
In Fahrt bringen den Insignia dabei zunächst Benziner mit 140 bis 260 PS und Diesel mit einem anfangs eher schmalen Leistungsband von 110 bis 170 PS, die man zumeist schon aus Astra & Co kennt. Dazu gibt es ein neues, sehr geschmeidiges Sechsgang-Getriebe, eine ebenfalls tadellose Automatik mit acht Gängen und für die stärkeren Versionen auch einen neuen Allradantrieb. Der verteilt die Kraft zwar deutlich schneller als früher, kann weiter vorausschauen und bietet nun auch die Möglichkeit zum Torque Vectoring, kann aber das Scharren der Vorderräder nicht ganz verhindern, wenn die 400 Nm des Top-Modells so richtig zupacken wollen.
Überhaupt ist es nicht der größte Benziner, der bei der ersten Ausfahrt auch den größten Eindruck macht. Der 2,0-Liter-Turbo ist ein solides Kraftpaket und erfüllt alle Erwartungen. Aber mehr eben auch nicht. Da ist der vom Astra weiterentwickelte 1,5-Liter ein ganz anderes Kaliber. Denn mit 165 PS und 250 Nm ist er so forsch und flott, dass man auf einer kurvigen Landstraße schnell ein zufriedenes Lachen auf dem Gesicht hat und den Agilitätsgewinn durch den Gewichtsverlust in jeder Kurve genießen kann. Schließlich muss hier jedes PS ein Kilo weniger schleppen als früher.
So groß die Sprünge bei Format und Fahrgefühl sind, so klein sind die Hüpfer im Innenraum. Zwar zeugt das Cockpit von ein bisschen mehr Liebe zum Detail und einem glücklicheren Händchen bei der Materialauswahl. Das erstmals bei Opel verfügbare Head-Up-Display wirkt zwar etwas grobschlächtig ins Armaturenbrett gefräst, kommt aber immerhin ohne die leidige Plastik-Klappe der Konkurrenz aus. Und natürlich wirkt der Arbeitsplatz des Fahrers mit der reduzierten Anzahl ab Knöpfen und Schaltern etwas aufgeräumter als früher. Aber statt voll animierter Instrumente gibt es nur ein großes Mittendisplay zwischen den analogen Zeigern, die Touchscreens in der Mittelkonsole sind mit wahlweise sieben oder acht Zoll kleiner als in manch einem koreanischen Kompakten, von Sprach- oder Gestensteuerung ist keine Rede, das Lenkrad wirkt etwas überfrachtet und die Hebel dahinter mit schlichter Form und grober Typografie reichlich antiquiert. Den von Marketing-Chef Schäfer proklamierten Führungsanspruch erfüllt der Insignia damit jedenfalls nicht.
Dabei haben sich die Hessen zumindest bei der Ausstattung ordentlich ins Zeug gelegt und locken mit Komfort und Connectivity. So baut Opel diesmal nicht nur vorne AGR-Sitze mit Wellnessfunktionen ein, sondern installiert erstmals auch im Fond eine Sitzheizung. Alle Insignia bekommen serienmäßig ein schlüsselloses Zugangssystem und den Telematikdienst OnStar, der jetzt auch Hotels bucht oder freie Parkplätze reserviert, und gegen Aufpreis gibt es weiterentwickelte Matrix-Scheinwerfer oder eine 360-Grad-Kamera und Assistenzsysteme mit erweiterten Befugnissen wie dem Lenkeingriff bei der Spurführung oder dem Alarmsignal bei rückwärtigem Querverkehr.
Nach dem ersten Tag im neuen Insignia bleibt deshalb ein zwiespältiges Gefühl. Das Auto ist grundsolide, sieht gut aus, fährt noch besser und hat bei der Ausstattung ordentlich aufgeholt. Gemessen am Vorgänger machen die Hessen deshalb so einen großen Schritt nach vorn, dass man sich um Opel eigentlich keine großen Sorgen machen müsste. Wenn da nicht Männer wie Marketingchef Schäfer uns ihr rosa eingefärbtes Weltbild wären. Denn zur Segmentführerschaft fehlen dem Insignia zum Beispiel das digitale Cockpit oder der Plug-In-Hybrid des VW Passat, die Materialanmutung und die Platzverhältnisse eines Skoda Superb oder das stramme Fahrgefühl eines Ford Mondeo. Und von den mit Assistenz- und Infotainmentsystemen vollgestopften Premium-Modellen wie einer Mercedes E-Klasse oder einem BMW Fünfer ist der große Opel so weit entfernt wie ein Erstsemester vom Nobelpreis. Denn schiere Größe allein, das sollte Opel unter GM gelernt haben, macht noch keinen Sieger. Vielleicht – und jetzt müssen wir dann doch nochmal über Franzosen reden, über General Motors und den PSA-Konzern – ist es deshalb ja doch ganz gut, wenn jemand das Marketing auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Der Insignia ist nämlich zu gut, als dass er an überzogenen Erwartungen scheitern sollte.