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Der Amarok der Amerikaner: der Chevrolet Colorado ist ein US-Pick-up ganz nach europäischem Geschmack

Published in motosound.de

VW hat damit vor sieben Jahren angefangen, mittlerweile sind Renault und Fiat auf den Trichter gekommen und bald steigt auch noch Mercedes mit der X-Klasse ins Geschäft ein: Kleine Pick-Ups sind bei den Europäern groß im Kommen.

Und ausgerechnet die Amerikaner machen bei diesem Spiel irgendwie nicht so richtig mit. Sie haben den Pick-Up zwar nicht erfunden. Aber sie haben ihn als legitimen Erben des Planwagens erst groß gemacht und ihn als Traum der amerikanischen Asphalt-Cowboys tief in der Volksseele verankert. Und trotzdem wollen sie von den Pritschenwagen im exporttauglichen Format zumindest daheim nicht viel wissen. Stattdessen setzten sie auf die Fullsize-Trucks in der Klasse darüber – gerne mehr als sechs Meter lang und natürlich am liebsten mit V8-Motor. Im Rausch von 821 000 Ford F-150 im letzten Jahr, 575 000 Chevrolet Silverado und 489 000 RAM haben sie das vermeintliche Boom-Segment darunter lange nur halbherzig bedient und das Geschäft Importortmodellen wie dem Nissan Frontier oder dem Toyota Tacoma überlassen. Und selbst der Amarok hätte dort wahrscheinlich gute Chancen, wenn VW nicht den Fehler gemacht hätte, den US-Markt für seinen ersten vernünftigen Pick-Up von vorn herein auszuschließen.

Doch zumindest Chevrolet hat das Ruder herumgerissen und mit der zweiten Auflage des Colorado vor vier Jahren einen starken Stammspieler präsentiert, dessen Erfolg offenbar selbst General Motors überrascht hat. Denn mit allein 115 000 Zulassungen im letzten Jahr hat er viel Boden gutgemacht und sich zu einem stillen Star in der Flotte des US-Generalisten entwickelt.

Wer mit dem Pritschenwagen unterwegs ist, der kann das verstehen. Denn im Amerika ist man mit einem Pick-Up so gut aufgehoben, wie bei uns in einem Kompakten. Und für sein Segment ist der Colorado ähnlich gut gelungen wie der Golf. Natürlich fehlt ihm die Raffinesse der Wolfsburger Primus’, und ganz so modern ausgestattet ist er vielleicht auch nicht. Wie auch, wenn so ein Trumm von Auto im besten Fall kaum mehr als 20 000 Dollar kostet?

Aber dafür bietet er Platz ohne Ende für Kind und Kegel und zur Not auch für das Gepäck eines mehrwöchigen Camping-Urlaub. Was ihm an Premium-Ambiente fehlt, macht er mit Praktikabilität wett hat. Wichtiger als enge Spaltmaße, feines Leder oder weich hinterschäumte Kunststoffe sind dem Durchschnittsamerikaner die großen Cupholder, Schalter, die man auch mit schwieligen Fingern oder dicken Handschuhen noch bedienen kann, und Oberflächen, die man zur Not wahrscheinlich sogar abkärchern könnte. Und so ganz ohne Technik muss man sich auch nicht in das Abenteuer des amerikanischen Alltags stürzen: Totwinkel-Warnung, Tempomat und – viel wichtiger – die Rückfahrkamera sind selbstredend an Bord und dank des Onstar-Moduls hinter dem großen Touchscreen kann man nicht nur mit WLAN surfen und online nach Sonderzielen oder dem Wetter entlang der Route suchen, sondern hat auch 24 Stunden Kontakt zu einem Call-Center und ist selbst mit diesem rustikalen Fahrzeug voll mit der virtuellen Welt vernetzt.

Am Fahrverhalten des Colorado gibt es ebenfalls wenig auszusetzten. In einem Land, in dem man ohnehin kaum irgendwo viel schneller als 130 fahren darf und selbst Nebenstraßen so weitläufig sind, dass man die meisten Kurven wahrscheinlich auch mit den Knien am Lenkrad und einem zugekniffenen Auge schaffen würde, kommt es schließlich nicht auf Längs- oder Querdynamik an. Sondern vor allem auf das gemütliche und gelassene Cruisen. Und das beherrscht er meisterhaft. Nicht aufgeregt wie ein wilder Büffel, sondern gemütlich wie ein zotteliges Bison stapft er durch die geteerte Prärie und lässt sich dabei von nichts und niemandem aus der Ruhe bringen – weder vom schartigen Asphalt, noch von den Verwerfungen im Fahrbahnverlauf oder den wenigen Kurven, die bergige Regionen wie die Rocky Mountains dann doch mal zu bieten haben. Und selbst am Ende der Zivilisation fährt der Colorado mit einem Lächeln weiter. Wofür gibt es schließlich zuschaltbaren Allradantrieb, eine Geländeuntersetzung, eine Bergabfahrhilfe und mehr Bodenfreiheit als bei jedem europäischen SUV?

Dass sich – zumindest auf amerikanischen Straßen – auch Europäer in dem Pritschenwagen wohlfühlen, hat gleich mehrere Gründe: Zum einen hat er mit seinen je nach Aufbau zwischen 5,40 und 5,70 Metern noch eine buchstäblich überschaubare Länge und lässt sich entsprechend handlich bewegen. Und zum anderen hat er einen ausgesprochen europäischen Motor: Zwar bietet Chevrolet für Knauser auch einen Vierzylinder-Benziner mit 2,5 Litern Hubraum und 200 PS an und natürlich gibt es wenn schon keine Acht, dann zumindest sechs Zylinder, aus deren 3,6 Litern Hubraum der Colorado 308 PS schöpft. Doch der mit Abstand interessanteste Antrieb ist ausgerechnet ein Diesel. Während VW für seine Selbstzünder in Amerika gerade mächtig auf die Mütze bekommt und die Deutschen schon einen Abgesang auf den Ölbrenner angestimmt haben, feiert Chevrolet das Duramax-Treibwerk als große Errungenschaft. Denn der 2,8-Liter ist nicht nur der erste seiner Art in diesem Segment. Sondern mit einem Normverbrauch von 30 Meilen pro Gallone auf dem Highway ist der Fronttriebler zugleich der sparsamste Pick-Up auf dem US-Markt, meldet General Motors stolz. Und selbst wenn Diesel an den amerikanischen Tankstellen noch immer billiger ist als  Amerika noch immer billiger ist als Dosenbier, kommt diese Botschaft bei den Asphalt-Cowboys offenbar an. Denn eine realistische Reichweite von bald 1 000 Kilometern kann nicht schaden in einem Land, in denen das nächste Dorf und mit ihm die nächste Zapfsäule bisweilen mal ein paar Stunden entfernt ist.

Was aber vor allem für den mit reichlich Schützenhilfe von Opel entwickelten und dem von VW unter Schummelei vermiedenen AbBlue-System ausgestatteten Diesel spricht, das ist sein Drehmoment von üppigen 500 Nm, die viel wichtiger sind als die 181 PS aus dem Datenblatt. Denn selbst wenn der Colorado damit nicht zum Sprintmeister wird, schürt dieser Punch ein schier unerschütterliches Vertrauen in das Fortkommen. Egal wie steil die Pässe in den Rocky Mountains auch sein mögen und wie dünn die Luft dort oben wird – unbeirrt kämpft sich der Colorado auf die Gipfel seiner vermeintlichen Heimat und wühlt sich dabei zur Not auch durch knietiefen Schnee oder den Schlamm nach dem Winter.

Viele neue Spieler in den stattlicheren und die alten plötzlich aufgewacht – so werden die Karten auf den Tisch der Pick-ups plötzlich neu gemischt. Und der Colorado könnte dabei für General Motors zum Joker werden. Denn während VW den Amarok unter den gegeneben Umständen wohl kaum mehr in die USA bringen wird und auch die Mercedes X-Klasse erst einmal einen Bogen um das Mutterland der Picks-Up macht, könnte der Colorado sogar außerhalb Amerikas Karriere machen. Der Diesel taugt angeblich für Euro6, die Grundkonstruktion entspricht dem in Europa bereits zugelassenen D-Max des japanischen GM-Partners Isuzu und ein Opel-Logo ist schneller in die Front geschraubt, als VW Amarok oder Ford Ranger gucken können.