Größe ist keine Frage von Zentimetern: In der fünften Generation sprengt der Nissan Micra die Klasse der Kleinwagen
Größe ist relativ, erst recht bei kleinen Autos. Wenn man das Format nur mit dem Zollstock bemisst, ist und bleibt der Nissan Micra ein Mini – selbst wenn er beim Generationswechsel um 17 Zentimeter wächst und jetzt an der Vier-Meter-Marke kratzt. Doch wenn man auf die inneren Werte schaut, ist er plötzlich ein ganz großer. Denn im Ringen mit Corsa & Co haben die Japaner ihr bekanntestes Modell so weit aufgerüstet, dass er sich selbst in der Kompaktklasse nicht verstecken müsste. Allerdings gilt das auch für due Preise: Zwar beginnt der Verkauf im März mit vernünftigen 12 990 Euro. Doch hier ein paar Kreuzchen, dort ein paar Extras und schon steht eine Zwei an erster Stelle.
Das große Engagement für den kleinen Wagen kommt nicht von ungefähr: „Wir wollen in diesem Segment in Europa endlich richtig Fuß fassen“, sagt Marketing-Mann Laurent Lamotte und räumt ein, dass der Micra jetzt zwar schon seit 30 Jahren angeboten wird und jedermann ein Begriff ist, dass die Japaner mit 1,5 Zulassungen in drei Jahrzehnten aber alles andere als zufrieden sein können. „Deshalb haben wir den Kleinwagen noch einmal völlig neu erfunden und außer dem Namen nichts mehr beim alten gelassen“, sagt Lamotte und hat dabei mal ausnahmsweise nicht übertrieben.
Das beginnt bei nun ja: ziemlich mutigen Design. So, wie sie mit Qashqai und Juke den Markt aufgemischt haben, will auch der Micra frischen Wind in sein Segment bringen und macht deshalb Schluss mit der lustlosen Langeweile seines Vorgängers. Stattdessen gibt es ganz im Stil der Studie Sway ein ausdrucksstarkes Gesicht mit winzige Kühlergrill, riesigen Scheinwerfern und Sicken in der Motorhaube, die ähnlich große Augenbrauen imitieren, wie sie Firmenchef Carlos Ghosn im Gesicht trägt. Die Flanke ist dominiert von einer zackigen Sicke, die jedes Coupé schmücken könnte, das Dach scheint dank der schwarz gehaltenen C-Säule förmlich zu schweben und das Heck ist geprägt von Rückleuchten, die wie Bumerangs geformt sind. Als wäre der Micra damit nicht schon auffällig genug, bekennt die Graue Maus jetzt auch noch Farbe: Zu den zehn zum Teil ziemlich poppigen Lacken bietet Nissan deshalb eine Reihe von Designpaketen für die Karosserie und das in drei Farbwelten lieferbare Interieur, aus denen sich über 100 Kombinationsmöglichkeiten ergeben.
Zur neuen Form gibt es auch ein neues Format. Weil der Micra jetzt ein waschechter Europäer ist und keine Rücksicht mehr nehmen muss auf schmale Häuserschluchten in Japan oder Inder, die beim Fahren gerne Turban tragen, geht er um acht Zentimeter in die Breite und wird dafür sechs Zentimeter flacher und steht entsprechend satter auf der Straße. Mit den sieben Zentimetern mehr Radstand wächst der Platz auf der Rückbank und mit der Länge der Kofferraum, der nun 300 Liter misst und auf rund 1100 Liter erweitert werden kann.
Aber der Micra will nicht nur scharf aussehen, sondern auch schlau sein. Deshalb übernimmt er ein paar Technologien seiner größeren Geschwister und wird so zum technologischer Vorreiter im Segment: Als erster Kleinwagen bietet er deshalb den Around View Monitor, der den Wagen beim Rangieren aus der Vogelperspektive zeigt, und zum ersten Mal in dieser Liga warnt die Elektronik nicht nur beim Verlassen der Fahrspur, sondern bremst zur Kurskorrektur auch einzelne Räder ab. Dabei gibt er nicht den oberlehrerhaften Besserwisser, sondern den subtilen Helfer, der immer im Hintergrund bleibt. Zusammen mit dem neuen Fahrwerk fühlt er sich deshalb überraschend erwachsen an. Wenn jetzt noch die Lenkung etwas direkter wäre, dann würde er sogar in der Fahrspaßwertung punkten.
So forsch und fortschrittlich die Ausstattung ist, so atemlos und altbacken wirken allerdings die Antriebe. Denn auch wenn Downsizing im Trend liegt und die CO2-Bilanz drückt, würden ein bisschen mehr Leistung und Lebensfreude gut zum neuen Mut des Micra passen. Stattdessen langweilen die Japaner ihre Kundschaft mit einem 1,5 Liter großen Diesel oder einem 0,9 Liter kleinen Benziner, die beide auf 90 PS kommen, nur mit Fünfganggetrieben kombiniert werden und irgendwie ziemlich blutleer wirken. Dabei kommt der Diesel immerhin auf 220 Nm, schafft 179 km/h und verbraucht 3,2 Liter. Und für den Benziner meldet Nissan 140 Nm, 175 km/h und 4,4 Liter.
Allerdings knurrt und knattert der Dreizylinder so laut, dass man sich über eine weitere Technik-Premiere im Micra freut. Denn die Japaner arbeiten mit Bose zusammen und bieten als einzige in dieser Klasse ein Personal Sound System an. Mit einem Lautsprecher in der Kopfstütze hüllt diese Technik den Fahrer so gründlich in eine eigene Soundwolke, dass man vom Lärmen den Motörchens nicht mehr viel hört.
Zwar feiert Nissan den kleinen Micra als große Errungenschaft und macht sich berechtigte Hoffnungen auf einen Platz zumindest unter den ersten zehn in der europäischen Kleinwagenstatistik. Doch wird sein Siegeszug nicht nur der Konkurrenz Verluste bringen. Sondern mindestens ein Verlierer kommt auch aus den eigenen Reihen: Der alte Note wird für den neuen Micra geopfert und läuft im Sommer ohne Nachfolger aus.