Schaulaufen auf der Datenautobahn: So zukunftsweisend präsentieren sich die Autohersteller auf der CES
Marty McFly und Doc Brown mussten noch ihren Fluxkompensator bemühen. Doch der Weg in die Zukunft kann viel leichter sein als für die beiden Filmhelden. Zumindest, wenn man gerade in Las Vegas ist: Dort gibt die versammelte Elektronik-Elite einen weitreichenden Ausblick auf die Technik von morgen. Und nachdem diese Consumer Electronic Show bislang vor allem von Computern, Unterhaltungs- und Haushaltsgeräten dominiert wurde, rücken mittlerweile auch die Autos in den Blickpunkt. Denn aus Kutschen mit Motoren sind längst Rechner auf Rädern geworden.
„Früher waren wir Zaungäste, jetzt sind wir mittendrin“, beschreibt Daimler-Entwicklungschef Olla Källenius die neue Rolle der Autoindustrie und es ist eine Beziehung mit Abhängigkeiten in beiden Richtungen: Die PS-Branche braucht die Elektronik, um den Kunden den erwarteten Fortschritt zu bieten, um ihre Produkte mit allem und jedem zu vernetzen, die Insassen zu unterhalten und auf absehbare Zeit autonom zu fahren. Und die Elektronik-Industrie braucht Daimler, GM oder Toyota, weil das Auto der letzte Rückzugsraum des Menschen ist, in dem Google, Apple & Co noch nicht das Sagen haben.
Das führt zu immer neuen Allianzen und Kooperationen, die keine Rücksicht mehr nehmen auf Branchengrenzen: Intel stößt zu Audi, BMW und Daimler im Kartenkonsortium Here, der Chiphersteller Nvidia geht mit ZF zusammen, VW kooperiert mit Amazon, Chrysler mit Google und auch Microsoft drängt verstärkt auf die Straße.
Denn die Herausforderungen für die Autohersteller lassen sich mit klassischem Ingenieurwesen nicht mehr lösen, heißt es unisono im völlig überlaufenen Convention Center. Schließlich sei es vielen Kunden wichtiger, dass sie am Steuer nicht aus ihrer digitalen Lebenswelt gerissen werden, als dass sie besonders schnell oder sportlich fahren können, sagt der oberste VW-Elektroniker Johann Jungwirth. Deshalb vernetzt sich das Auto zunehmend mit dem Rest der Welt, kann bei schlechtem Wetter wie in einer Studie von Bosch die Fenster schließen oder dank Assistenten wie Amazon Alexa bei VW im Kinderzimmer das Licht ausschalten, den Einkaufszettel ergänzen oder das im Büro angefangene Hörbuch auf dem Rücksitz fortsetzen.
Auch beim Trend-Thema „Autonomes Fahren“ geht es vor allem um Sensoren, Software und Systeme: „Künstliche Intelligenz“ ist das große Stichwort, von dem sich alle einen Durchbruch erhoffen. Denn nachdem das Auto mit einem Heer von Sensoren und immer besseren Karten mittlerweile ganz gut weiß, wo es unterwegs ist, muss ich jetzt der Computer noch sagen, wie es sich in diesem Raum am besten bewegt, „Und weil dafür starre Regeln nicht reichen, brauchen wir Systeme, die lernen und sich der jeweiligen Situation anpassen können“, erläutert Arwed Niestroj, der das Mercedes-Forschungszentrum im Silicon Valley leitet. Oder man macht es wie Nissan: Die Japaner haben in Las Vegas ein neues Konzept vorgestellt, das immer dann greifen soll, wenn der Autopilot nicht weiterweiß. Statt einfach den Fahrer zu fragen, schalten sie eine Art „Mission Control“ ein, in der sich ein Experte über Kameras und den Zugriff auf die Fahrzeugdaten einen Überblick über die Situation verschafft, die entsprechende Entscheidung fällt und diese dann an alle anderen Autos weitergibt, damit sie davon lernen können, erläutert Firmenchef Carlos Ghosn bei seiner Keynote-Ansprache.
In Las Vegas denken sie aber nicht nur ans autonome Fahren, sondern auch an dessen Konsequenzen. Und die werden für das Innenleben der Autos am größten sein: „Wie können wir die Kabine gestalten, wenn niemand mehr dauerhaft hinter einem Lenkrad sitzen muss“, umreißt Fabien Roth vom Zulieferer Panasonic die zentrale Frage, die alle Entwickler umtreibt. In Las Vegas sieht man darauf viele Antworten: In einer so genannten Sitzkiste von Panasonic kann man die erste Sitzreihe umdrehen und während der Fahrt einen Leuchttisch ausklappen, dessen Platte zum riesigen Touschscreen wird. Bei Bosch faltet sich das Lenkrad zusammen und die Sitzbank fährt zurück, und bei BMW wird das Armaturenbrett zur Leinwand für ein umfangreiches Infotainment-Programm.
Bis das Auto den Job ganz alleine macht, muss man es allerdings weiterhin bedienen und nebenbei immer mehr Informationen managen. Schließlich will auf der Fahrt niemand auf seine Mails, seinen Facebook-Chronik oder seine Videos verzichten. Deshalb werden die Bildschirme immer größer, die Grafiken immer aufreizender und die Bediensysteme im Gegenzug immer unauffälliger und ausgefuchster. Der große Trend sind dabei tasten, die eigentlich gar nicht mehr da sind. Wahlweise weil man nur noch Gesten in den Raum zeichnet und trotzdem wie bei BMW mit Ultraschall ein Feedback bekommt, oder weil man einzelne Punkte einem Menü wie bei Bosch nur noch anschauen muss um sie auszuwählen, oder weil wie bei Panasonic Schalter dank berührungsempfindlicher und hinterleuchtbarer Oberflächen plötzlich überall dort auftauchen, wo man sie gerade benötigt.
Während solche Konzepte nur Knöpfe ersetzen, gehen manche Ansätze deutlich weiter und automatisieren den Prozess: Das neue Head-Up-Display von Panasonic stellt sich genau wie die Sitze bei Bosch oder die Spiegel bei Continental von selbst auf den jeweiligen Fahrer ein und bei Faraday Future muss man nur in eine Kamera schauen, dann erkennt einen das Auto und öffnet die Türen von alleine.
Dass so etwas auch mit komplexeren Aufgaben gehen kann, zeigt Mercedes mit der einer selbstlernenden Bedienung, die in diesem Jahr in der C-Klasse in Serie geht. Sie beobachtet die Routinen des Fahrers, kennt seinen Kalender und seine Gewohnheiten und schlägt deshalb zum Beispiel Fahrziele, Musikprogramme oder Klimaeinstellungen automatisch vor: „Je besser das Auto den Fahrer kennenlernt, desto besser kennt es auch seine Wünsche und kann sich darauf einstellen, bevor er überhaupt artikuliert wurde“, sagt Mercedes-Forscher Niestroj. Und Toyota überlässt im Concept-i die Bedienung seiner Studie gleich einem digitalen Assistenten, der ähnlich wie Siri beim iPhone funktioniert und über die Zeit zum besten Freund des Fahrers werden soll.
Wem bei all diesen neuen Technologien der Kopf zu schwirren beginnt, dem empfiehlt sich eine Sitzprobe im Maybach auf dem Mercedes-Stand. Denn dort demonstriert der Stuttgarter Hersteller, was das Auto für Fitness, Wellness und Gesundheit tun kann. Es schließt aus dem Puls und ein paar Rahmeninformationen zur aktuellen Situation auf den Gemüts- und Gesundheitszustand des Fahrers und schlägt im automatisch spezielle Programme zu Aktivierung oder Entspannung vor, erläutert Projektleiter Götz Renner: „Wir wollen, dass die Insassen am Ende Fahrt entspannter, fitter und erholter sind, als beim Einsteigen“; sagt Renner und verspricht erste Serienanwendungen aus diesem Messemodell bereits für dieses Jahr mit der Modellpflege der S-Klasse.
Zumindest über eine Frage muss man sich in Las Vegas den Kopf nicht zerbrechen: Mit welchem Antrieb die Autos in die Zukunft starten, diskutiert hier keiner mehr. Zwar zeigen Hersteller und Zulieferer zumindest am Rande ihrer Stände vor allem viele Anbieter von Sound- oder Lichtsystemen auf der Center Stage noch potente Sportwagen mit großvolumigen Verbrennern. Doch ist der Elektroantrieb auf der CES schon so selbstverständlich, dass kaum mehr jemand drüber spricht – außer Faraday Future. Denn während Chrysler, Honda oder Toyota mit ihren Showcars wie selbstverständlich auf die Bühne stromern, macht der selbsterklärte Tesla-Jäger ein ganz großes Fass auf und verkündet zur Premiere des ersten Serienautos FF91 nicht weniger als den Beginn einer neuen Ära. Zwar sind die Eckdaten der 5,25 Meter langen Luxuslimousine im Raumschiff-Design tatsächlich imposant Immerhin leisten die E-Motoren 1050 PS, die 130 kWh-Akku-Kapazität sollen für 700 Kilometer reichen und den Sprint von 0 auf 100 km/h schafft der vermutlich über 200 000 Euro teure Viersitzer in weniger als 2,4 Sekunden. Doch so revolutionär, wie Faraday gerne tut, ist das Auto am Ende doch nicht. Denn automatisch einparken und sich individuell auf die Insassen einstellen, das können sehr viel konventionellere Autos auch. Und vor allem stehen gerüchteweise so viele Fragezeichen hinter der Firma, dass nicht alle auf der Messe daran glauben, dass der Wagen tatsächlich nächstes Jahr ausgeliefert wird.
Wenn den Amerikanern das aber tatsächlich gelingt, dann ist das ein weiterer Beweis dafür, dass Wunsch und Wirklichkeit auf der CES viel näher zusammenliegen, als man gemeinhin glaubt und die Zukunft deshalb schon bald beginnen wird. Vorher allerdings wartet auf die PS-Branche noch der Reality-Check und statt des Fluxkompensators braucht man dafür nur ein Flugticket. Denn von Las Vegas zieht die Karawane weiter und trifft sich schon nächste Woche in Detroit zur ersten klassischen Automesse des Jahres. Verglichen mit der vom Silizium der Computerchips, von Cloud und Connectivity geprägten CES kommt das dem Rücksprung in die Eisenzeit gleich.