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Thank you very Matsch: Mit dem GTC4Lusso pfeift Ferrari auf Bentayga, Urus & Co

Published in motosound.de

Der Flirt mit dem Alltag geht auch bei Ferrari weiter. Zwar will die schnelle Fiat-Tochter partout kein SUV bauen wie Bentley, Lamborghini oder die Schwester Maserati. Doch damit man auch mit einem Sportwagen aus Maranello zum Brötchen holen, ins Büro oder zur Not sogar zum Baumarkt fahren kann, haben die Italiener seit drei Jahren den FF im Programm. Der hat nicht nur den Altersdurchschnitt um zehn Jahre gesenkt und die Jahreslaufleistung der Ferrari-Flotte verdoppelt. Sondern er hat die Marke tatsächlich im Alltag der Besserverdiener etabliert. Denn anders als die Coupés wird der erste und einzige Viersitzer mit Allradantrieb und Kofferraumklappe von den allermeisten Kunden tatsächlich jeden Tag bewegt. Damit die bei der Stange bleiben und nicht doch noch zu Bentayga oder Urus überlaufen, hat Ferrari jetzt noch einmal Hand an den familienfreundlichen Flachmann gelegt und beide Seiten der Medaille poliert: Das Auto wird deshalb nicht nur wieder etwas stärker und schneller, sondern es wird obendrein auch praktischer und alltagstauglicher. Und wie es gute Sitte ist bei Ferrari, gibt es mit den dezenten Designretuschen auch gleich einen neuen Namen. Wenn im September zu Preisen ab 261 883 Euro die Auslieferung beginnt, wird aus dem FF deshalb der GTC4Lusso.

Dass sich FF als GTC noch sportlicher und schärfer fahren lässt, liegt weniger am Feinschliff für den famosen V12-Motor, der einmal mehr dem Turbo-Wahn entgangen ist. Denn ob der Motor 670 oder nun 690 PS leistet, kann man genauso wenig herausfahren wie den minimalen Anstieg der Drehmomentkurve, selbst wenn die jetzt bei 697 Nm gipfelt und bereits jenseits von 2 000 Touren mindestens 80 Prozent der Anzugskraft zur Verfügung stehen.

Sondern was den Unterschied zum Vorgänger so deutlich macht, das ist die neue Allradlenkung. Im Zusammenspiel mit dem Allradantrieb, einer aus der Formel 1 entlehnten Traktionskontrolle und einem ausgefuchsten Torque Vectoring geht der Flachmann so schnell ums Eck, dass man die fast fünf Meter und die beinahe zwei Tonnen schon in der ersten Kurve vergessen hat. Obwohl der FF beinahe das Format eines Porsche Panamera hat, fühlt er sich so handlich und so leicht an wie ein Boxster – nur eben mit der doppelten Leistung. Zugleich allerdings steht die Allradlenkung auch für einen höheren Alltagsnutzen. Denn wer mit dem Tiefflieger einmal durch eine italienische Altstadt rangiert hat, der wird die virtuelle Radstandsverkürzung genauso zu schätzen wissen wie den um einen Meter geschrumpften Wendekreis. Im Parkhaus fühlt sich der Viersitzer damit genauso wenig an wie auf einer Passstraße.

Präzision, Power und Performance – all das sollte für einen Ferrari so selbstverständlich sein wie das Manettino, jener kleine, rote Schalter am Lenkrad, mit dem man über Motorelektronik, Stabilitätsprogramm und Federung den Charakter des Wagens verstellen kann. Doch was wirklich überraschend ist am GTC sind die Leichtigkeit und Eleganz, mit denen sich das Kraftpaket bewegen lässt. Denn wen man den Gasfuß nur ein ganz klein bisschen lupft und sich selbst ein wenig Luft zum Atmen gönnt, wird der bitterböse Kampfsportler zum lammfrommen Luxusliner, der sich nicht schwerer fahren lässt als ein Fiat Punto: Fast unwillkürlich winkelt man die dann die Beine ein wenig an, lässt den Sitz weiter nach hinten surren, legt den Arm auf der Türbrüstung ab und greift nur noch mit zwei Fingern ins Lenkrad – selten hat sich ein Auto mit so viel Leistung derart zahm und züchtig benommen wie der Ferrari GTC – selbst das Brüllen beim Anlassen haben die Italiener dem 6,3 Liter großen V12-Motor abgewöhnt, weil es vielen Kunden ein offenbar ein bisschen peinlich war. Und Spoiler oder Schweller sucht man auch nach dem Facelift vergebens an dem flachen Zweitürer – selbst wenn bei der Modellpflege nur die Frontscheibe übernommen wurde und das ganze Auto jetzt ein bisschen straffer, energischer daher kommt.

Wer den Wagen derart gelassen und gemütlich bewegt, der muss seinen Blick nicht stur auf die Straße heften und die Hände fest um das wie direkt aus einem Rennwagen übernommene Lenkrad krallen. Dann reicht die Aufmerksamkeit auch für den Rest des Autos. So lässt man die Augen schweifen und sieht mehr Lack und Leder als in mancher Luxuslimousine. Man merkt plötzlich, dass die Sitze nicht nur extrem festen Halt und gute Seitenführung bieten, sondern überraschend bequem sind. Man registriert viel Kopf- und Beinfreiheit und erinnert sich daran, dass sogar das Einstiegen einigermaßen bequem geklappt hat. Man man entdeckt immer wieder ein paar neue Funktionen, die man in so einem Auto nicht erwartetet hätte. Einen Gurtbringer zum Beispiel oder die umschaltbare Frontkamera, mit der man trotz der endlos langen Haube um gefährliche Ecken sehen kann.

Und spätestens wenn der Blick auf das neue Infotainment-Center fällt, kommt man aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Denn nachdem die Italiener früher um Jahre hinter der Entwicklung her gefahren sind und die Restbestände der Zuliefer aufgebraucht haben, prangt in der Mittelkonsole jetzt der schönste Touchscreen im ganzen Fiat-Konzern. Riesig groß, brillant und gut strukturiert lässt er selbst das Tesla-Cockpit alt aussehen. Und weil es so schön ist und so modern, hat Ferrari vor dem Sozius gleich noch ein zweites Display eingebaut, mit dem auch der Beifahrer ins Spiel eingreifen kann.

Obwohl die Italiener noch nie so viel Wert auf Variabilität und Alltagstauglichkeit gelegt haben, wie bei diesem Modell, obwohl sie allein 60 Liter an Ablagen im Innenraum verteilt haben und stolz sind auf einen Kofferraum von 450 bis 800 Litern und auf eine elektrische Heckklappe, haben sie ihre alten Tugenden nicht vergessen. Im Gegenteil. Der GTC ist nicht der geräumigste, sondern auch der schnellste Viersitzer in der Firmengeschichte: nicht umsonst schnellt er in 3,4 Sekunden azf Tempo 100 und schafft 335 km/h.

Der Motor stärker, das Fahrwerk feiner, die Allradlenkung ein echter Gewinn und  das Design gleichermaßen behutsam wie gründlich weiter entwickelt, so macht der GTC4Lusso jetzt tatsächlich eine noch bessere Figur. Am Wesen des Wagens ändert sich deshalb aber nicht. Sondern er bleibt eine luxuriöse Oase für sehr viel Besserverdiener, die ihre Freizeit bisweilen auch mal mit mehr als einem Menschen teilen und vor allem auf langen Strecken genießen möchten. Denn kein anderer Ferrari fährt sich auf Dauer so komfortabel und rückenschonend wie der GTC – und ist doch nur einen Fußtritt vom Supersportwagen entfernt. In keinem anderen sitzt man so bequem. In der ersten Reihe nicht und erst recht nicht im Fond – schließlich gibt es in Maranello keinen anderen Viersitzer und wenn man erst einmal nach hinten geklettert ist, sitzt man da tatsächlich gar nicht so schlecht. Und von den bis zu 800 Litern Kofferraum können andere Sportwagenfahrer diesseits der Corvette nur Träumen.

So gesehen ist der GTC4Lusso tatsächlich eine brauchbare Antwort auf den SUV-Trend bei den Luxusmarken. Denn viel mehr als einen luxuriösen Tourer mit ein bisschen mehr Platz und gehobener Ausstattung wollen auch Bentley-Kunden nicht haben, wenn sie den Bentayga bestellen. Aber selbst wem diese Antwort aus Maranello nicht gefällt, wird keine andere bekommen, beteuern die Italiener. Sollen die anderen ruhig ihre Sportwagen aufbocken. Ferrari behält die Bodenhaftung, betont Konzernchef Sergio Marchionne. „Einen Geländewagen im Zeichen des Cavallo Rampante gibt es nur über meine Leiche.“