Handwerkskunst: Mit 500 PS, Saugmotor und Schaltgetriebe ist der 911R ein Porsche für Puristen
Na also, es geht doch! Es mag ja sein, dass sich der Porsche 911 in den letzten Jahren ein wenig von seinem wahren Wesen entfernt und vom Sportwagen zum potenten Alltagsauto entwickelt hat. Und die Umstellung auf die geschrumpften Turbomotoren war für das Image der Ikone sicher auch nicht die beste Entscheidung. Doch wenn jetzt der neue 911R auf die Straße kommt, beweisen die Schwaben eindrucksvoll, dass sie die reine Lehre der Raserei noch nicht vergessen haben. Denn kein anderes Auto in der weit gefächerten Familie, ja vielleicht sogar in der ganzen Modellpalette, atmet so viel Porsche-Purismus wie der neue Tiefflieger an der Nahtstelle zwischen Straßenauto und Rennwagen. Nach klassischer Manier vor allem mit Leistung und Leichtbau geschärft, gibt er den freien Radikalen unter den mittlerweile arg angepassten Komfort-Sportlern und schiebt sich so noch vor die Sportversionen GT3 oder GT3 RS. Das gilt allerdings auch für den Preis – der bei stolzen 189 544 Euro beginnt.
Der Reiz des Rasens rührt in diesem Auto vor allem von zwei Faktoren, die jeder für sich schon ein gehöriges Faszinationspotential haben, in der Kombination aber ebenso selten wie spektakulär sind. Denn der 911R fährt mit einem Sechszylinder-Sauger von sündigen vier Litern Hubraum und einem – Achtung: kein Fehler – manuellen Schaltgetriebe: 500 PS, 460 Nm und ehrliche Handarbeit – das hat es bei Porsche so schon lange nicht mehr gegeben.
Entsprechend lustvoll und engagiert lässt sich dieser Elfer bewegen: Untermalt von einer wunderbaren Kakophonie der Mechanik, dreht der Sauger mit ungeahnter Leichtigkeit in Höhen, von denen Turbos nur träumen können. Von 0 auf 100 in 3,8 Sekunden und bei Vollgas 323 km/h – Zahlen wie diese können nicht einmal ansatzweise beschreiben, wie packend dieser Porsche ist, wie schnell er einen für sich einnimmt und wie eng Mensch und Maschine hier vielleicht zum letzten Mal miteinander verwachsen.
Bremsen, Lenken, Gasgeben und immer wieder Kuppeln und Schalten – das ist ein automobiler Fünfkampf, den viele Porsche-Fahrer fast schon vergessen haben, den man aber nach einer Fahrt im 911R nie wieder vergessen wird. Denn die Gänge klackern nur so durchs Getriebe und die Schaltung macht so schnell süchtig, dass man schon nach wenigen Kilometern ein Hoch auf die Handwerkskunst singt. Wer einmal 911R gefahren ist, dem können alle Doppelkuppler und Automatikgetriebe gestohlen bleiben. Auf ewig.
Gesteigert wird dieses Erlebnis noch durch den konsequenten Leichtbau, mit dem Projektleiter Andreas Preuninger gegenüber dem GT3 RS noch einmal einen runden Zentner gespart hat. Motorhaube und Kotflügel aus Karbon, das Dach aus Magnesium, die hinteren Scheiben aus Kunststoff und innen von der Rückbank über das Radio bis hin zu den Türgriffen alles ausgeräumt, was nicht wirklich nötig ist – das drückt das Trockengewicht auf 1 250 Kilo. Zwar ist das noch immer ein himmelweiter Unterschied zum ersten 911R von 1967, den Ferdinand Piech damals auf 800 Kilo abgespeckt und zum leichtesten Elfer aller Zeiten gemacht hat. Doch selbst betriebsfertig nur 1 370 Kilo schwer, ist der neue 911R zumindest im aktuellen Line-Up das Leichtgewicht.
Entsprechend leichtfüßig und agil tänzelt der 911R über die Landstraße, giert förmlich nach Gas und verbeißt sich giftig in jede Kurve. Doch anders als den GT3 RS muss man dieses Auto nicht im Kampf um den Kurs zwingen. Sondern mit einem Fahrwerk, das bei aller Härte noch überraschend viel Restkomfort bietet, kommt man so spielend leicht in einen wunderbaren Flow, dass man statt des Messers zwischen den Zähnen lieber ein Lächeln auf den Lippen trägt. In diesem Auto will man nicht möglichst schnell ans Ziel kommen, sondern möglichst lange fahren und genießen.
Bei alledem ist der 911R aber kein Auto für Aufschneider. Denn so intensiv und authentisch die Klangkulisse im Innenraum auch ist, weil alle überflüssige Dämmung dem Leichtbau geopfert wurde und man jetzt nicht mehr vor, sondern förnlich im Maschinenraum sitzt, so verhalten gibt sich der Wagen nach außen. Natürlich fährt den Passanten der Sechszylinder durch Mark und Bein, wenn man ihn beim Kickdown bis ans Limit von 8 500 Touren reißt und entsprechend laute Fanfaren durch die beiden in die Mitte gerückten Titan-Röhren posaunen. Doch künstliche Fehlzündungen beim Gangwechsel oder billiges Brabbeln im Schubbetrieb hat dieser Elfer nicht nötig. Genauso wenig wie ein brüllend lautes Design. Kenner werden schon aufmerken, wenn an Front und Heck die Schürzen des GT3 oder die matten 20-Zöller erkennen. Und spätestens im Innenraum künden die Pepita-Bezüge auf den Karbonschalen und die grünen Ziffern auf den Instrumenten von der Sonderstellung des 911R. Aber große Flügel, weiter ausgestellte Kotflügel und all die anderen Insignien der Wichtigtuer sucht man an diesem Auto vergebens. Wären da nicht die zwei bunten Streifen längs über die gesamte Karosse, würde der 911R bei flüchtiger Betrachtung gar als ganz normaler Elfer durchgehen.
Für Porsche hat der 911R vor allem eine strategische Bedeutung, weil er endlich mal wieder für ein bisschen Unvernunft steht und den Beweis erbringt, dass sie im Entwicklungszentrum in Weissach und mehr noch bei der Motorsportabteilung in Flacht nicht alle Ideale auf dem Altar der Political Correctness und dem Emissions-Prüfstand opfern. Und er zeigt, dass man mit Autos, die einerseits völlig unzeitgemäß und andererseits absolut zeitlos sind, offenbar gutes Geld verdienen kann. Denn kaum war der 911R auf dem Genfer Salon enthüllt, war die auf 991 Exemplare limitierte Kleinserie auch schon verkauft. Und noch bevor jetzt die Auslieferung beginnt, werden die ersten Gebrauchten im Internet bereits für den fünffachen Preis gehandelt.