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Adonis auf Abwegen: Mit dem Levante stürmt auch Maserati durch den Matsch

Published in motosound.de

In Schönheit sterben oder sich auf etwas Neues einlassen? Wie so viele kleine aber feine Autohersteller musste sich diese Frage in den letzten Jahren auch Maserati stellen – und hat sich für das Neuland entschieden. Und das kann man getrost wörtlich nehmen. Denn wenn die Italiener im Mai den Levante an den Start bringen, wagen sie sich mit ihrem ersten SUV in der Firmengeschichte tatsächlich auf neues Terrain: Ziemlich genau fünf Meter lang, für einen Geländewagen ungewöhnlich flach und stilistisch irgendwo in der Ecke von Porsche Cayenne, BMW X6 und Infiniti FX zu Hause, soll er nicht nur über die Boulevards flanieren, sondern tatsächlich auch die Buckelpiste stürmen.

„Selbst wenn es kein Kunde je ausprobieren wird, ist eine vernünftige Geländetauglichkeit die Eintrittskarte in dieses Segment“, sagt Firmenchef Harald Wester und begründet damit nicht nur die 6,5 Millionen Testkilometer in aller Herren Länder, sondern auch den hohen technischem Aufwand für den Adonis auf Abwegen. Nicht umsonst sind neben der Luftfederung und dem Sperrdifferential auch der Allradantrieb und fünf Fahrprogramme von Rennstrecke bis Rallyepiste serienmäßig an Bord. Und aus gutem Grund schickt er seine Premierengäste eben nicht nur über enge, kurvige Landstraßen in der Emilia Romagna, sondern ohne Rücksicht auf die edlen 21-Zöller oder die 13 schillernden Lackfarben auch durch das Unterholz: Ein Maserati im Matsch – das gab es bislang allenfalls nach groben Fahrfehlern.

Viel wichtiger aber als Böschungswinkel, Bodenfreiheit oder Wattiefe dürfte den Kunden eine ganze andere Zahl sein: 580. So viel Liter fasst der Kofferraum und macht den Levante zum praktischsten Maserati in der Firmengeschichte. Erst recht, wenn man die geteilte und bis 1,80 Meter auch ziemlich komfortable Rückbank umlegt, den Stauraum so auf rund 1 600 Liter erweitert und die elektrische Heckklappe mit einem Fußkick aufschwingen lässt. Sogar Gleitschienen im Kofferraum, variable Zurrösen und eine elektrisch ausfahrbare Anhängerkupplung hat Maserati dafür ins Programm genommen.

Maserati LevanteDoch wenn Wester und seine Mannschaft über ihren Grenzgänger sprechen, dann dauert es nur ein paar Minuten und sie kommen zurück auf vertrautes Terrain. Denn für sie ist der Levante in erste Linie Maserati und allenfalls in zweiter Linie ein SUV. Deshalb sprechen sie auch am liebsten über die Leistungsdaten und beginnen den Verkauf auch erst einmal mit dem vorerst stärksten Motor. Zwar müssen ungeduldige dann mindestens 88 000 Euro bezahlen, doch bekommen sie dafür einen leidenschaftlichen V6-Turbo mit sündigen 430 PS und imposanten 580 Nm. Selbst bei gut zwei Tonnen Leergewicht reicht das für einen Sprintwert von 5,2 Sekunden und ein Spitzentempo von 264 km/h. Wer halbwegs vernünftig ist und auf das ganz große Vergnügen verzichten mag, der bekommt ab Juli für knapp 18 000 Euro weniger einen ebenfalls drei Liter großen V6-Diesel, der mit 275 PS und ebenfalls 580 Nm kaum minder gut im Futter steht. Er klingt vielleicht nicht ganz so lüstern, bis Tempo 100 braucht er schon 6,9 Sekunden und bereits bei 230 km/h ist wieder Schluss. Doch der Punch beim Anfahren ist nicht minder heftig wie beim Benziner. Und statt 10,9 Liter stehen dann eben nur 7,2 Liter m Datenblatt. Später will Wester die Motorpalette weiter ausbauen: Für Knauser könnte es den im Rest der Welt schon zum Start verfügbaren V6-Benziner mit 350 PS geben, für Genießer einen mehr als 500 PS starken V8 aus dem Quattroporte und für Genießer mit gutem Gewissen verspricht er ab 2018 einen Plug-In-Hybrid.

So neu der Levante für die Italiener auch sein mag und so vorsichtig sie sich in das SUV-Segment hinein tasten, ist er doch ein typischer Maserati geworden. Das gilt im Guten für den atemberaubenden Sound, der mit dem ersten Gasstoß eine Gänsehaut aufs Trommelfell zaubert, genauso wie für das leidenschaftliche Design, das keinen Deut auf Konventionen gibt und deshalb so wütend drein schaut, dass Maserati den Schlund wie bei Hannibal Lector vergittert hat. Und es gilt für das ambitionierte Fahrverhalten. Zwar dürfte die Lenkung insbesondere beim Benziner etwas direkter sein und etwas mehr Kraft einfordern. Doch mit dem niedrigsten Schwerpunkt im Segment, mit insgesamt zwölf Zentimetern Höhendifferenz für die Luftfederung und einem Allradantrieb, der stets dem Heck den Vorzug gibt, geht der Levante um die Ecken wie ein Wirbelwind. Diesseits des Porsche Cayenne und des BMW X6 jedenfalls gibt es nicht viele SUV, die es ihm bei der Kurvenhatz gleich tun.

Allerdings ist der Levante auch im Schlechten ein Maserati wie jeder andere. Selbst wenn die Italiener beim Interieur einen deutlichen Schritt nach vorn gemacht haben und sogar Seide von Zenga verarbeiten, wirken Mitteltunnel und Cockpit nicht ganz so nobel wie nördlich der Alpen. Mit den rahmenlosen Seitenscheiben handeln sie sich bei hohem Tempo ordentliche Windgeräusche ein. Und auch mit der neuesten Generation ihrer Touchscreen-Navigation, einem Abstandsregeltempomat und einer 360-Grad-Panorama-Kamera bleiben sie bei Assistenz und Infotainment ein Stück hinter den großen Marken zurück. Aber ein bisschen Eigenverantwortung kann bei Fahren ja nicht schaden.

Maserati Levante Natürlich war der Ritt auf der SUV-Welle für die Italiener ein Wagnis. „Doch wenn man wachsen will, muss man in die Wachstumssegmente“, sagt Firmenchef Harald Wester mit Blick auf die mittlerweile 50 Prozent SUV-Abteil in der Luxusliga. Und wachsen will der ambitionierte Deutsche mit seiner schönen Fiat-Tochter auf jeden Fall. Nachdem Maserati seinen Absatz mit Quattroporte und Ghibli bereits von 6 000 auf über 30 000 Einheiten gesteigert hat, soll der Levante den Italienern über die 50 000er-Marke helfen und langfristig den Weg zu 75 000 Zulassungen ebnen. Die ersten Reaktionen auf das Auto stimmen Wester mehr als zuversichtlich: Seit das Auto in Genf enthüllt wurde, stehen die Kunden bei den Händlern Schlange, die Gästelisten für die Premieren-Events werden immer länger und schon vor der Markteinführung gibt es eine vierstellige Zahl an Vorbestellungen, sagt Wester: „In 102 Jahren hat es so etwas bei Maserati noch nicht gegeben.“