Viel Image, wenig Innovationen: In Motown spielt die PS-Branche das alte Lied
Dieser Mann ist nun wirklich nicht zu beneiden. Denn wo Matthias Müller auch hingeht in Detroit in diesen Tagen, ist er von einer dicken Menschentraube umgeben. Selbst beim Frühstück sitzt er mit Journalisten zusammen, auf dem Weg zwischen Hotel und Messe gibt er die ersten Interviews und auf dem Stand kann er im Pulk der Kameras kaum einen Schritt machen. Kein Wunder. Der Besuch der Motorshow im Herzen der amerikanischen PS-Branche ist der erste US-Auftritt des VW-Konzernchefs seit dem Beginn der Krise und seine Mine wichtiger als all die neuen Modelle, die seine Marken-Vorstände und zumindest die Konkurrenten aus Deutschland ins Rampenlicht rücken.
VW nutzt die Messe deshalb vor allem zur Image-Pflege, wiederholt den Kotau und kommt aus dem Entschuldigen kaum mehr heraus. Aber weil auch die Niedersachsen wissen, dass man das Vertrauen weniger mit Worten als mit Taten zurück gewinnt, reden sie nicht nur von Schuld und Sühne, sondern zumindest zwischen den Zeilen kommt immer wieder die Sprache auf den neuen Katalysator, mit dem VW die amerikanischen Behörden besänftigen will. Bis der seinen Segen hat, machen Konzernchef Müller und Markenchef Herbert Diess das, was jeder Entertainer macht: Gute Mine zum bösen Spiel und vor allem eine bunte Show. Die gilt in diesem Fall einer Spielart des Tiguan, der als Lückenbüßer bis zum Debüt der großen US-Version im nächsten Jahr den verwegenen Abenteurer gibt. Zwar hat es den Plug-In-Antrieb mit elektrischem Allrad so noch nicht gegeben. Doch mit etwas mehr Bodenfreiheit, breiten Planken an den Flanken und einem Leuchtgeweih auf dem Dach hat er trotzdem kaum mehr Substanz als ein Sondermodell – und für die Serie ohnehin keine Chance.
Bei den Konzerntöchtern sieht es nicht viel anders aus. Ausgerechnet in der für alles VW-Marken so entscheidenden Phase bleiben sie „Big News“ schuldig und machen lieber Business as usal: So hat Porsche lediglich die erstarkten Varianten des 911 Turbo im Gepäck und Audi mischt für Motown zwei bekannte Hits neu ab. Der A4 stakst als hochbeiniger Geländekombi Allroad auf die Bühne und die blaue IAA-Studie e-Tron Quattro Concept wird zum leuchtend gelben h-tron mit Brennstoffzelle. Damit ist der VW-Konzern allerdings in guter Gesellschaft: Auch BMW hat eher Nebendarsteller auf die Bühne geschickt. Denn so viel Spaß der neue M2 oder der X4 M4.0i auch machen werden, große Neuheiten sehen anders aus.
Einzig dicke Nummer aus Deutschland ist deshalb die zehnte Generation der E-Klasse, mit der Mercedes die Lufthoheit im Markt der Geschäftslimousinen zurück erobern will und gleichzeitig beweist, dass es neben dem ganzen Image-Gedöns eben doch auch um Innovationen geht. Nicht umsonst feiern sie die Limousine als schlaustes Auto im Segment und gehen vor allem beim assistierten Fahren bis an die Grenze dessen, was der Gesetzgeber erlaubt.
Mit dem Debüt der E-Klasse liegen die Schwaben voll im Trend. Denn ausgerechnet bei der Messe im Heimatland des SUV spielen Geländewagen in diesem Jahr kaum eine Rolle. Sondern egal ob Heimspieler oder Importeure – alle setzen sie auf das klassische Stufenheck. So meldet sich Lincoln mit einem neuen Continental im Oberhaus zurück, der neue Hyundai-Ableger Genesis wandelt mit dem G90 auf den Spuren von Lexus, Kia positioniert sich eine Klasse drunter mit dem aufgefrischten Kadenza und Volvo zieht jetzt auch noch einmal vor großem Publikum das Tuch vom neuen S90. Ach ja, und ein Facelift für den bei uns gerade erst eingeführten Mondeo-Zwilling Ford Fusion gibt es auch schon wieder.
Dazu gibt es für die Schöngeister unter den Stufenheck-Kunden noch ein paar schnittige Coupés in der Mittelklasse. So zielen nicht nur Infiniti und Lexus mit frischen Zweitürern auf BMW Vierer und Audi A5. Sondern auch Buick macht mit dem Avista Lust auf ein wenig Sinnlichkeit und zeichnet damit eine Blaupause, aus der Konzernschwester Opel lässig einen neuen Calibra machen könnte.
Nur Chrysler spielt mal wieder gegen den Trend. Denn die amerikanische Hälfte von Fiat hat weder eine Limousine, noch ein SUV zu bieten. Stattdessen versucht der kleinste der drei großen US-Hersteller mit dem Voyager-Nachfolger Pacifica den Sinkflug der Vans stoppen und setzt dabei zum ersten Mal auch auf Plug-In-Technik.
Ja, der Chrysler tankt an der Steckdose, die Tiguan-Studie fährt bis 40 Kilometer elektrisch und Audi schürt mit dem h-Tron die Hoffnung auf die Brennstoffzelle. Aber abgesehen vom Chevrolet Bolt, mit dem GM bei über 300 Kilometern Reichweite und unter 30 000 Dollar Preis vom ersten alltagstauglichen Elektro-Auto spricht, spielt die Autoindustrie in Motown das alte Lied. Dabei ist es beileibe nicht so, dass ihr die Ideen ausgegangen sind. Doch egal ob die eigentliche Weltpremiere des Bolt, der VW Budd-e oder die Autonomie der E-Klasse – die wirklich neuen Töne kommen nicht mehr aus Detroit, sondern von der CES in Las Vegas.
In normalen Jahren mag das vielleicht einen Unterschied machen. Doch was ist für die deutschen Hersteller in Detroit schon normal in so einem Jahr? Matthias Müller jedenfalls kann sich über mangelndes Interesse nicht beschweren. Und zumindest für VW ist das Image jetzt ohnehin erst einmal wichtiger als alle Innovationen.