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Mercedes B-Klasse electric drive: Stern unter Strom

Published in motosound.de

Elektrischer Tarnkappenbomber: Viel mehr als der blaue Stern weist bei der B-Klasse nicht auf den alternativen Antrieb hin.

Es hat ein bisschen gedauert, doch jetzt steht auch Mercedes endgültig unter Strom. Zwar hatte der Konzern mit dem Smart ed schon ziemlich früh ein Serienauto im Angebot, doch der Marke Mercedes fehlte so ein Modell. Und zuletzt stromerten auch noch Konkurrenzmodelle wie BMW i3 und VW E-Golf vorbei. Doch nun bringt Mercedes sozusagen als elektrische Retourkutsche die B-Klasse electric drive an den Start, das erste ernstzunehmende Akku-Auto von Mercedes, das im Sommer in den USA und zum Jahreswechsel auch hierzulande auf den Markt kommt und der Konkurrenz mit einer einfachen Formel die Schau stehlen will. „Emissionsfrei fahren ohne Kompromisse“, wiederholt Entwickler Jochen Strenkert das Marketing-Mantra und kündigt neben dem Fahrkomfort, dem Ambiente und dem Platzangebot einer normalen B-Klasse auch Fahrleistungen an, die sich hinter denen eines Verbrenners verstecken müssen.

Im Gegenteil. Im Stadtverkehr hat die elektrische B-Klasse sogar zumeist die Nase vorn – der Elektromotor leistet 180 PS und mobilisiert 340 Nm. Das reicht beim Kickdown für quietschende Reifen und bei Bedarf für einen Sprint von 0 auf 100 in 7,9 Sekunden. Und dass bei 160 km/h Schluss ist, liege nicht an mangelnder Kraft, sagt Entwickler Strenkert, sondern sei der Reichweite geschuldet. Sonst nämlich wären 200 Kilometer selbst in der Theorie nie zu schaffen – zumal der Aktionsradius laut Bordcomputer in der Praxis schon bei komfortablen Klimabedingungen und mäßigem Einsatz der elektrischen Zusatzverbraucher selten mehr als 130 Kilometer misst. Dann sind die mehr als 4000 Lithium-Ionen-Zellen im Wagenboden, die zusammen auf eine Kapazität von 28 kWh kommen, leer und die B-Klasse muss an die Steckdose – wahlweise drei Stunden an eine spezielle Wallbox oder eine Schnellladesäule oder über Nacht an eine 230-Volt-Buchse.

Alltagstauglicher Aktionsradius: Im besten Fall reichen die Akkus für 200 Kilometer.

Wie weit man mit der B-Klasse tatsächlich kommt und welche Ausschläge der punktgenau berechnete Aktionsradius auf dem Navi-Display zulässt, das kann der Fahrer gleich mehrfach selbst beeinflussen. Zum Beispiel mit der Eco-Taste. Sie limitiert die Leistung auf 132 PS und bremst den Stromer spürbar ein. Wer überholen möchte, braucht lediglich einmal beherzt aufs Fahrpedal zu treten, dann steht wieder die volle Kraft zur Verfügung und der Wagen schnellt beherzt nach vorn.

Die zweite große Stellschraube für die Reichweite ist der Grad der Rekuperation und damit der Widerstand des E-Motors, wenn er zum Generator wird und im Schubbetrieb Energie zurück gewinnt. Im Normalbetrieb ist dieser Zustand kaum spürbar und die B-Klasse fährt sich fast so wie ein konventionelles Auto. Erst mit einem Griff zu den Wippen am Lenkrad ändert sich das: Schaltet man hoch, lässt die Rekuperation nach und der Stromer segelt dahin, als hätte man in den Leerlauf gewechselt. Schaltet man dagegen runter, nimmt der Widerstand mit abnehmendem Pedaldruck deutlich zu und die B-Klasse verzögert sehr viel kräftiger. Allerdings ist das Auto selbst damit noch meilenweit entfernt vom so genannten „One-Pedal-Feeling“, das BMW proklamiert und das Bremspedal nahezu überflüssig macht.

Während man die unterschiedlich einstellbaren Rekuperationsstufen auch von der Konkurrenz kennt, hat sich Mercedes für die B-Klasse noch etwas Besonderes einfallen lassen. Zum ersten Mal wird die Rekuperation dort auch mit dem Abstandsradar gesteuert: Je größer die Lücke zum Vorausfahrenden, desto weiter lässt die Elektronik den Wagen rollen und je dichter man auffährt, desto stärker wird rekuperiert.

Kraftpaket: Die E-Maschine leistet bis zu 180 PS. Kein Schaden, bei 200 Kilo Mehrgewicht.

Zwar könnten Entwickler wie Jochen Strenkert stundenlang von den Fahr- und Rekuperationsmodi schwärmen und die Vorteile der einzelnen Betriebsstrategien abwägen. Und natürlich probiert man das bei der ersten Testfahrt alles auch mal durch. Doch wenn die erste Neugier gestillt und der Spieltrieb befriedigt ist, will man von all den vielen Möglichkeiten nichts mehr wissen, sondern einfach fahren. Und das ist vielleicht die größte Stärke dieser B-Klasse: Dass der Antrieb so spektakulär unspektakulär funktioniert; man vergisst spätestens nach einer Viertelstunde, dass man in einem Elektroauto sitzt.

Die elektrische B-Klasse fährt nicht nur völlig gewöhnlich, sie sieht leider auch so aus. Während der BMW i3 mit einer futuristischen Karosse alle Blicke fängt und so revolutionär aussieht wie seinerzeit das erste iPhone, wirkt die B-Klasse in etwa so innovativ wie ein Smartphone mit Wählscheibe. Denn auch die blauen Spiegelkappen, der blau eingefärbte Kühlergrill, die neuen Schürzen und die fast komplett geschlossenen Felgen machen den elektrischen Benz nicht gerade zum Blickfang. Alltag statt Avantgarde eben.

Auch wenn es die Entwickler immer wieder betonen – so ganz kompromisslos gelingt aber auch Mercedes die Elektrifizierung nicht. Denn das Fahrwerk zum Beispiel kann nicht verhehlen, dass der Wagen mit dem riesigen Akku-Pack rund 200 Kilo schwerer ist als das Serienmodell. Und während der Kofferraum mit einem Fassungsvermögen von 501 bis 1456 Litern tatsächlich unverändert ist und i3 und Konsorten plötzlich ganz klein aussehen lässt, zahlen die Hinterbänkler die Zeche für den so genannten Energy-Space im Wagenboden. Sie haben zwar reichlich Beinfreiheit. Aber der Fußraum wird durch die Akku-Pakete so flach, dass man die Knie ziemlich weit anwinkeln muss und nicht mehr ganz so bequem sitzt wie im Serienmodell.

Mäusekino: Bis auf die Anzeigen ändert sich nicht viel im Innenraum der B-Klasse.

Der größte Kompromiss jedoch ist beim Preis nötig. Denn auch wenn Mercedes noch nicht verraten will, wieviel genau die B-Klasse in Deutschland mal kosten wird: billig wird das Auto sicher nicht. Schon in den USA kostet der Wagen 41.450 Dollar, umgerechnet also rund 30.000 Euro. Hierzulande wird der Preis wohl bei knapp unter 40.000 Euro liegen. Damit das gelingt, wird die Aufpreispolitik vergleichsweise abenteuerlich. Statt das Hightech-Flaggschiff mit allem aufzurüsten, was die Forschungsabteilung hergibt, lässt sich Mercedes die meisten Extras auch extra bezahlen. Und das gilt nicht nur für konventionelle Positionen wie ansehnliche Reifen, Sitzheizung oder Xenonleuchten. Sondern auch spezielle E-Features wie die zusätzlichen Rekuperationsmodi oder die XL-Ladung, mit der sich die Kapazität der technisch unveränderten Batterien im Einzelfall um 15 Prozent steigern lässt, schlagen zusätzlich zu Buche. Und selbst das für die Reichweitenberechnung oder die Suche nach einer Ladesäule unerlässliche Navigationssystem kostet Aufpreis – wenn die Schwaben da mal nicht auf dem Irrweg sind.

So eindrucksvoll die elektrische B-Klasse fährt und so schnell man sich an den neuen Antrieb gewöhnen kann: Ihre Entstehungsgeschichte wirft ein paar Fragen auf. Denn obwohl Mercedes nicht nur jahrelange Entwicklungserfahrung mit Elektrofahrzeugen hat, sondern zum Konzern auch eine eigene Fabrik für Elektromotoren und ein Akku-Hersteller gehören, ist die B-Klasse eigentlich keine Eigenentwicklung. Sondern ausgerechnet der Erfinder des Automobils hat sich beim Antrieb Entwicklungshilfe geholt und wirbt jetzt stolz mit dem Slogan „Tesla Inside“: Sowohl die Akkus als auch der Motor stammen in direkter Linie vom Model S des amerikanischen Herstellers ab. Kein Problem, sagen die Mercedes-Leute, denn erstens ist das ja nicht die schlechteste Referenz. Und Entwickler Strenkert sagt: „Wir hatten ein fertiges Auto und die Kollegen einen fertigen Antrieb – so haben wir im Projekt glatt zwei Jahre gespart.“ Zudem ist Daimler an Tesla beteiligt, so dass die Entwicklungshilfe der Amerikaner im Prinzip nichts anderes ist als eine Dividende.

Original: Blog | MOTOSOUND

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