Ferrari 458 Speciale: Forza Italia!
Was sind schon 1,5 Sekunden? Im Stop-and-Go auf dem Weg ins Büro oder bei zäh fließendem Verkehr während der Fahrt in den Urlaub ist diese Zeitspanne nicht der Rede wert. Doch in Fiorano, der Hausstrecke von Ferrari, sind 1,5 Sekunden eine halbe Ewigkeit und bedeuten eine andere Welt. Denn wer auf dem 2997 Meter langen Rundkurs mit zwölf Kurven 1,5 Sekunden gut macht, der muss entweder ein verdammt guter Fahrer sein – oder ein verdammt gutes Auto haben. Eines wie den neuen Ferrari 458 Speciale zum Beispiel, der ein halbes Jahr nach dem Debüt auf der IAA in Frankfurt allmählich zu den Händlern rollt. Der Wagen jedenfalls schafft die Platzrunde auf der Ferrari-Testpiste in 1:23,5 Minuten und ist damit exakt 1,5 Sekunden schneller als der herkömmliche 458 Italia.
Nicht dass dieser zahm oder zahnlos wäre. Immerhin tritt der „Italia“ mit 570 PS und 540 Nm an, rennt von 0 auf 100 in 3,4 Sekunden und erreicht ein Spitzentempo von 325 km/h. Doch gegen die neue Sportversion wirkt das Serienmodell wie eine Portion Spaghetti alla arrabiata, bei der der Koch die Peperoncini vergessen hat. Denn der mindestens 232.530 Euro teure “Speciale” ist so scharf, dass es einem fast die Sprache raubt. Irre schnell und trotzdem narrensicher, beschleunigt das Auto fast explosiv, die Gangwechsel sind schnell und hart wie Gewehrschüsse und die Nadel des Drehzahlmessers dreht so rasant, dass der Fahrer kaum mehr mitkommt und dankbar auf die roten Blitze warten, die kurz vor dem Limit aus dem Cockpit flammen, um anzuzeigen, dass jetzt schleunigst hoch geschaltet werden muss. Dazu noch die Bremsen mit einer Verzögerung, die sich fast so anfühlt, als fahre man mit Vollgas gegen eine Betonmauer, und eine Lenkung, die direkter und präziser kaum sein könnte – so fährt man den Ferrari wie im Rausch. Außerdem bekommen auch die Vierpunkt-Gurte einen Sinn, die man anfangs vielleicht noch für eine Aufschneiderei gehalten hat.
Für das vielleicht rasanteste Erlebnis, das Ferrari diesseits der Rennstrecke im Augenblick zu bieten hat, haben die Techniker tiefer in die Trickkiste gegriffen, als je zuvor: Sie haben nicht nur den Motor getunt, die Leistung des 4,5-Liter-Triebwerks auf 605 PS gepusht und so den stärksten V8-Sauger in der Ferrari-Geschichte entwickelt. Sondern sie haben auch an der Aerodynamik gefeilt und am Gewicht gespart: Je nach Geschwindigkeit öffnen sich bis zu drei Luftklappen in der Frontpartie und erhöhen den Anpressdruck, gleichzeitig kanalisieren zwei elektrisch verstellbare Klappen unter dem Heck die Luft auf ihrem Weg durch den Diffusor. Und weil neben Nebensächlichkeiten wie Handschuhfach, lederner Innenraumverkleidung oder einer Mittelkonsole auch sämtliche Isolierung rausgeflogen sind sowie dünnere Scheiben eingebaut wurden, wiegt der Speciale satte 90 Kilo weniger und klingt obendrein noch viel brutaler als der Italia. Das magnetisch gesteuerte Fahrwerk ist spürbar härter abgestimmt und die Lenkung nun so kurz übersetzt, dass man auch in den engsten Kurven nicht mehr umgreifen muss und den Wagen mit einem kleinen Ruck in die richtige Richtung reissen kann.
Als wären die Reifen mit Superkleber bestrichen, klebt der straßenzugelassene Renner auf der Straße, giert nach Kurven und macht mit jedem Kilometer den Fahrer süchtiger. Trotz der Härte erweist sich das Auto als ausgesprochen umgänglicher Wegbegleiter. Während andere Sportwagen den Fahrer oftmals spüren lassen, dass er der limitierende Faktor ist, vermittelt einem der 458 Speciale geradezu gefährlich viel Vertrauen und motiviert zu mehr und immer noch mehr Rasanz. Bester Beleg dafür ist eine neue Elektronikfunktion, die Ferrari “Side Slip Angle Control” (SSC) nennt. Offiziell regelt sie das Zusammenspiel von Stabilitätskontrolle, Differential und Drehmomentverteilung, inoffiziell jedoch ist sie die perfekte Drifthilfe. Denn dank rasend schneller Sensoren kann das System erkennen, ob der 458 tatsächlich aus der Bahn läuft oder der Fahrer absichtlich ein Übersteuern provozieren möchte. Im ersten Fall fängt die Elektronik den Wagen im Nu wieder ein; im zweiten Fall lässt sie dem Schicksal so lange seien Lauf, bis die Reifen quietschen und das Adrenalin rauscht – nur um den Wagen im letzten Moment doch wieder auf die sichere Linie zurück zu führen: was für ein Höllenritt.
Für dieses fast schon teuflische Vergnügen muss man allerdings tief in die Tasche greifen. Denn der Speciale kostet ziemlich genau 15 Prozent mehr als der Italia. Aber was sind schon 30.000 Euro, wenn man dafür eine halbe Ewigkeit gewinnt. Zumindest in Fiorano.
Original: Blog | MOTOSOUND