Amphibienfahrzeug Watercar: Powerwelle
Normalerweise ist ein Jeep Wrangler ein ziemlich geländegängiges Fahrzeug, für das es kaum Grenzen gibt. Doch gegen eine neue, ziemlich freie Interpretation der amerikanischen Allrad-Legende ist der Original-Wrangler dann doch ein Waisenknabe. Denn was Dave March und Fred Selby in der Ortschaft Fountain Valley, eine Stunde südlich von Los Angeles, aus einem hausgemachten Gitterrohrrahmen und einer ebenfalls in Eigenregie geformten, glasfaserverstärkten Kunststoffkaroserie gebaut haben, ist das schnellste Amphibienfahrzeug der Welt.
Offiziell gibt es natürlich keine Parallelen zwischen dem Wrangler und dem Eigenbau, der als „Watercar“ firmiert. Denn March und Selby haben gute Anwälte und in Detroit verstehen sie mit der Interpretation ihrer Legenden keinen Spaß. Doch der kantige Kühlergrill mit sechs – statt der originalen sieben – Streben, die Kulleraugen-Scheinwerfer, die flache Motorhaube, die eingehängten Mini-Türen und die Frontscheibe zum umklappen kommen einem trotzdem bekannt vor.
Dann ist es mit den Parallelen aber auch schon vorbei. Denn so gut der Jeep in schweren Terrain auch voran kommt, spätestens an der Wasserlinie muss er das Watercar ziehen lassen. Denn wo man im Auto schon bald nasse Füße bekäme und dann rasch ganz absaufen würde, tritt Co-Konstrukteur Fred Selby einfach aufs Gaspedal, setzt ein Lächeln auf und stiehlt als Wellenreiter am Strand von Long Beach den coolsten Surfern die Schau. Schon beim ersten Gasstoß hebt sich der Bug des Watercars aus dem Wasser, die Gischt schäumt, der Fahrtwind zerrt an den Haaren und mit bis zu 70 km/h schießt das Amphibienmobil die Pazifikküste entlang. „Lust auf eine Runde Wasserski?“ ruft Captain Selby in den Fahrtwind. „Die Haken am Heck sind nämlich nicht nur Dekoration.“
Möglich wird der wilde Wellenritt dank einer ausgeklügelten Antriebstechnik. Denn der 250 PS starke V6-Motor aus dem Honda Odyssee treibt nicht nur die Hinterachse an, sondern wenn Selby einen Schalter umlegt, dann schließt sich ein Verteilergetriebe und aktiviert eine Jetdüse, die unter dem Motor im Heck montiert ist. Kein Wunder, dass dieses Gefährt jedes andere Amphibienauto abhängt.
Aber der Düsenantrieb ist nur die halbe Miete. Die andere Hälfte ist der eigenwillig konstruierte Unterboden. Es brauchte zwar mehr als 100 Entwürfe, doch jetzt sieht das Watercar von unten tatsächlich wie ein Boot aus, hat einen Rumpf, einen Kiel und einen gepfeilten Bug und liegt deshalb wie eine Eins im Wasser. Und damit die Räder die Strömung nicht stören, kann Selby sie auf Knopfdruck anlegen wie ein Hase seine Ohren. „So kann man das Ding mit dem kleinen Finger fahren“, sagt der Skipper und surft im Drift um die Bojen im Hafenbecken.
Ginge es nach Selby, könnte dieses Spiel stundenlang so weitergehen. Doch der freundliche Mittsechziger hat gerade keine Zeit für Spielereien. Denn was als Hobby begann, ist inzwischen ein Geschäft geworden. „Nachdem uns bei unseren Testfahrten immer mehr Beobachter angesprochen und sich Interessenten aus der ganzen Welt bei uns gemeldet haben, wollten wir es irgendwann nicht mehr bei einem Einzelstück belassen und haben uns zur Serienfertigung des Watercars entschieden“, sagt Selby. Nach mehr als zehn Jahren Entwicklungszeit haben er und sein Kumpel deshalb eine Kleinserienproduktion auf die Beine gestellt. Die dort gefertigten Watercars werden jetzt zum Stückpreis von 135.000 Dollar verkauft, seit dem vergangenen Herbst werden Bestellungen entgegen genommen. Mittlerweile steht eine „hohe zweistellige Anzahl“ an Orders in den Büchern, die erste Jahresproduktion ist ausverkauft. Etwa die Hälfte der Autos bleiben in den USA, der Rest geht nach China, Russland und in die Emirate. „Überall wo man einen Sinn für solche Spielsachen hat“, sagt Selby. Ob er auch nach Europa liefern würde? „Klar“, sagt der Amerikaner, „solange der Kunde den Papierkrieg mit den Behörden nicht scheut, sind wir für alles offen“, sagt Selby. „Deutschland? Warum nicht.“
Aber bevor das gelingt, muss Selby jetzt wirklich zurück in die kleine Fabrik, wo aktuell zehn Mitarbeiter die Kundenfahrzeuge auf die Räder stellen. Aber eine Runde kann er noch drehen. Denn wo während normale Skipper erst an den Steg schippern und ins Auto umsteigen müssen, klappt er einfach die Räder aus, öffnet das Verteilergetriebe, nimmt Kurs auf den Strand und tuckert als Kapitän der Landstraße nach Hause.
Original: Blog | MOTOSOUND