Chevrolet Corvette 427: Das Beste zum Schluss
Was Italienern Ferrari und den Deutschen Porsche, das ist für Amerikaner die Corvette. Kein anderer Sportwagen in den USA hat solch eine Tradition, einen so guten Ruf und einen derart großen Freundeskreis wie der heißeste Renner aus dem General-Motors-Imperium. Und so ist es kein Wunder, dass eine ganze Nation allmählich auf Drehzahl kommt, weil Chevrolet zum 60. Geburtstag der Corvette in der kommende Woche auf der Autoshow in Detroit die siebte Generation enthüllt. Jedes noch so kleine Informationshäppchen wird begierig aufgenommen, tausende Gerüchte jagen durchs Internet und PS-Paparazzi verdienen sich mit den Fotos der ersten Prototypen eine goldene Nase.
Doch auch wenn die Autowelt auf die C7, also die neue Corvette-Generation, wartet, lohnt sich noch einmal ein Blick auf die aktuelle Modellpalette. Nicht nur, weil es wohl Spätsommer wird, bis die ersten Autos auch nach Europa kommen. Sondern weil die US-Amerikaner nach dem Motto „das Beste zum Schluss“ jetzt noch einmal zu einem furiosen Finale blasen und die Corvette 427 lancieren. Die hat ihren Namen von den 427 cubic inches Hubraum des feuerrot lackierten V8-Motors, die sich in Europa zu imposanten sieben Liter umrechnen lassen. Und weil die Ingenieure diesem Koloss 512 PS entlocken und das Auto ausschließlich als Cabriolet angeboten wird, ist die 427er das stärksten Cabrio der Corvette-Geschichte.
Kraft allein jedoch war den Ingenieuren nicht genug. So wurde nicht nur der Motor getunt, sondern mit Karbonteilen aus den Sportmodellen Z06 und ZR1 auch das Gewicht gedrückt. Jetzt wiegt das Auto 1531 Kilo und jedes PS muss gerade mal sechs Pfund schleppen. „Damit haben wir ein besseres Leistungsgewicht als der Audi R8 Spyder oder der Ferrari California“, sagt Chefingenieur Tadge Juechter. Und das zu einem Preis, für den es die anderen Supersportwagen allenfalls als junge Gebrauchte gibt. Selbst wenn aus den 76.000 Dollar (so hoch ist der US-Preis) auf dem Weg über den Atlantik 100.750 Euro werden, ist die Corvette in dieser Liga geradezu ein Schnäppchen.
Wie so oft bei amerikanischen Sportwagen steht allerdings die Liebe zum Detail in einem krassen Gegensatz zur Lust an der Leistung. So akribisch die Ingenieure am Motor feilten, so oft sie für die Fahrwerksabstimmung um die Nordschleife gejagt sind, und so viel Karbon sie aus Gründen der Gewichtsersparnis auch einsetzten – genauso lustlos wirkt das Innenleben: Billiges Plastik, antiquierte Anzeigen, schlechte Sitze, ein Head-Up-Display das offenbar aus den Zeiten von Raumschiff Orion stammt und ein halbautomatisches Verdeck, das für den kurzen Weg unter die große Klappe eine halbe Ewigkeit braucht und obendrein nur im Stand bei angezogener Handbremse funktioniert. Solche Nachlässigkeiten werden durch Zierstreifen, eingestickte Corvette-Schriftzüge oder Zielflaggen-Logo mit dem Hinweis auf den 60. Geburtstag auch nicht rausgerissen.
Aber all das ist vergessen, wenn man per Knopfdruck der Motor startet. Ein Gasstoß im Leerlauf, dann wackeln beim Nachbarn die Wände und im Garten fällt das Laub von den Bäumen. Der Adrenalinpegel steigt, im Nacken stellen sich die Haare auf und plötzlich gibt es nur noch eine Richtung: nach vorn. Nur kurz geht ein Zittern durch das Auto wie bei einem Rennpferd am Start, die 335er Walzen auf den 20-Zoll-Rädern im breiten Heck gönnen sich zwei, drei Runden, ehe das Gummi sich mit dem Asphalt verzahnt und dann schleudern bis zu 637 Nm die Corvette dem Horizont entgegen. Von 0 auf 100 in 4,2 Sekunden und ein Spitzentempo von 307 km/h – das sind die Werte eines echten Supersportwagens. Aber Achtung: Wer das in den USA ausprobieren möchte, der muss ganz, ganz vorsichtig sein. Denn so gut gelaunt die Cops der Corvette bei der Testfahrt normalerweise hinterher winken, reichen solche Fahrten schnell für „lebenslänglich“.
Aber bei dem brettharten Fahrwerk und dem knochentrockenen Getriebe hält sich der Reiz des Rasens auf den miserablen Highways und Byways im Hinterland von Los Angeles ohnehin in Grenzen. Auf einer ordentlichen Rennstrecke, da mag die 427er vielleicht einem Porsche Paroli bieten oder einem Ferrari davon fahren. Aber der legendäre Mullholland-Drive ist mit diesem Auto ein Ritt auf Messers Schneide, nach dem einem selbst dann der Schweiß auf der Stirn steht, wenn die Sonne ausnahmsweise mal nicht vom Himmel brennt.
Deshalb muss man die Corvette nicht immer mit dem Messer zwischen den Zähnen fahren: Wer das Magnetic-Ride-Fahrwerk mit dem Drehschalter auf dem Mitteltunnel auf “Tour” einstellt, dem Tempomat bei 120 fixiert und sich den Wind durch die Haare wehen lässt, erlebt das Cabrio als Power-Cruiser erster Güte. Und in der Stadt wirkt es als perfekter Blickfang, dem sich bei jedem Ampelstart ein paar aufrechte Daumen entgegen recken.
Das faszinierendste an der Corvette allerdings ist der Klang. Laut, rau und ungehobelt macht sie einen Krawall wie Bruce Springsteen im Open-Air-Stadion. Mal leise säuselnd, mal dunkel grollend, mal brüllend laut und zwischendurch mit gellenden Fehlzündungen – so wird die Corvette zum Rockstar unter den Rennwagen und ist selbst dann noch zu hören, wenn das Cabrio schon längst in den Sonnenuntergang verschwunden ist.
Original: Blog | MOTOSOUND