Neuer Range Rover: Allrad-Adel auf Abwegen
Vergessen Sie Wanderstiefel und Cargohosen: Wer mit dem neuen Range Rover ins Gelände startet, kann den Smoking und die Lackschuhe anbehalten. Denn so vornehm wie das Flaggschiff der Briten war bislang kein anderes Geländefahrzeug. Zwar zahlt man bei einem Einstiegstarif von 89.100 Euro für das ab Januar lieferbare Dickschiff einen wahrlich stolzen Preis. Doch gibt es dafür im Prinzip auch zwei Autos in einem: Einen expeditionstauglichen Geländewagen, der mühelos durch nahezu jedes Gelände voran kommt, und darüber hinaus eine Luxuslimousine die sich vor jedem Grandhotel ausgezeichnet macht.
Im Gelände war der Range Rover schon bislang ziemlich stark. Nicht umsonst halten sich die Briten jetzt schon mehr als 40 Jahre an der Spitze des Segments der Luxus-Offroader. Doch für die mittlerweile vierte Generation wurden alle Fähigkeiten noch einmal optimiert: Die Federwege der automatischen Luftfederung und mit ihr die Bodenfreiheit sind größer denn je, die Watttiefe steigt enorme 90 Zentimeter und der Allradantrieb stellt sich jetzt samt Stabilitätsprogramm und Fahrwerksregelung automatisch auf jedes Terrain ein. So dürfen die Bäche noch tiefer, Felshänge noch ruppiger und Dünen noch steiler sein.
Neu sind beim neuen Modell jedoch die Qualitäten auf der Straße. „Wir wollten uns nicht nur mit den besten Geländewagen, sondern auch mit den komfortabelsten Limousinen messen“, sagt Chefingenieur Mick Cameron. Dann öffnet er die Tür zum Luxussalon auf Rädern. Man kann jetzt bequemer einsteigen, hat vorn etwas mehr und hinten (plus zwölf Zentimeter Beinfreiheit) sogar deutlich mehr Platz als bislang und bekommt auf Wunsch anstelle einer Rückbank jetzt auch zwei feudale Einzelsitze im Fond. Vor allem aber reist man in einem Ambiente, das nobel ist wie in einem Grand Hotel, ohne jedoch opulent oder überladen zu wirken. Während das Außendesign nur dezent retuschiert wurde, um den Wagen zu strecken und ihn etwas schnittiger durch den Wind zu treiben, wirkt er innen jetzt modern statt mondän und stylish statt schwülstig. Da ist das Ergebnis der Anstrengung, etwa die Hälfte der bisherigen Schalter und Tasten zu eliminieren und stattdessen noch mehr Lederoberflächen und Zierkonsolen ins Auto zu bringen.
Egal ob Prunkschiff oder Schlachtross, Boulevard oder Buckelpiste – was den Range Rover auszeichnet, ist die absolute Mühelosigkeit, mit der er jedes Terrain meistert. Er lässt sich genauso leicht mit Vollgas über die Autobahn treiben wie im Kriechgang durch ein Flussbett oder mit ausgefahrenen Luftfedern über eine Geröllhalde. Viel mehr als den großen Zeh auf dem Gaspedal und den kleinen Finger am Lenkrad braucht es dabei nicht. Und wo man in anderen Geländewagen je nach Konstruktion und Einsatzzweck wahlweise auf- oder abseits der Straße irgendwann an die Grenzen des Konzepts gelangt, bleibt der Range einfach nur souverän. Selbst bei hohem Tempo ist es gespenstisch ruhig an Bord, auch in engen Kurven hält sich das Dickschiff dank der adaptiven Luftfederung lotrecht, und das Gelände muss schon arg wüst sein, damit der Earl Grey aus den Bechern in den Getränkehaltern schwappt.
Wer mit dem Range Rover auf dem Autobahn keine BMW 5er und Mercedes E-Klassen jagen will, der muss künftig auch nicht mehr zum V8-Motor greifen. Denn erstmals nach langer Zeit bieten die Briten wieder einen Sechszylinder-Diesel an, der mit 258 PS und 600 Nm Drehmoment mehr als genug Kraft aufbringt. Er ist laufruhig und harmoniert perfekt mit der Achtgang-Automatik. Er beschleunigt in 7,9 Sekunden von 0 auf 100 und ermöglicht 209 km/h. Und vor allem verbraucht er auf dem Prüfstand lediglich 7,5 Liter. Das sind bei nahezu identischen Fahrleistungen 22 Prozent weniger als früher und demonstriert, welchen Aufwand die Briten beim Generationswechsel getrieben haben. Denn für mehr Dynamik und weniger Verbrauch hat der Range Rover erstaunliche 420 Kilo abgespeckt. Dafür wurde er als erster Geländewagen der Welt komplett aus Aluminium gefertigt. Zwar stehen am Ende noch immer imposante 2160 Kilo Mindestgewicht im Fahrzeugschein. Doch die Rohkarosse wiegt jetzt nur noch 280 Kilo und ist damit sogar um 23 Kilo leichter als die eines BMW 3ers. Außerdem besteht auch das Fahrwerk zu weiten Teilen aus Aluminium, der Luftwiderstand wurde optimiert und an jeder anderen Stellschraube zugunsten des Verbrauchs gedreht.
Nur bei der Lust an der Leistung macht Land Rover keine Kompromisse: Neben dem V6-Diesel gibt es deshalb auch weiterhin den V8-Diesel (ab 107 100 Euro), der bei 4,4 Litern Hubraum jetzt auf 339 PS und 700 Nm kommt, 217 km/h erreicht und trotzdem nur noch 8,7 Liter verbraucht. Und wer kein Umweltgewissen aber dafür jede Menge Geld hat, der gönnt sich für weitere 6 500 Euro Aufschlag den wunderschön antiquierten V8-Kompressor und pfeift mit dem Nachdruck von fünf Litern Hubraum und 510 PS auf den Zeitgeist. Egal, wenn schon auf dem Prüfstand 13,8 Liter durch die Zylinder rauschen: Immerhin gehen hier 625 Nm zu Werke, die das Prunkschiff in 5,4 Sekunden auf Tempo 100 wuchten und mit den richtigen Reifen erstmals in der Modellgeschichte 250 km/h ermöglichen. Wer hat, der hat, denkt der Kenner, tritt aufs Gas, schweigt und genießt den knurrigen Krawall, der aus den Tiefen des Motorraums in den Innenraum dringt und das noble Soundsystem praktisch überflüssig macht.
Natürlich nehmen die Briten den Mund ein wenig voll, wenn das neues Flaggschiff forsch als „bestes Auto der Welt“ bezeichnen und sich dafür nicht nur mit Offroadern wie dem Audi Q7 und dem BMW X5 vergleichen, sondern auch mit Luxuslinern wie der Mercedes S-Klasse oder dem Rolls-Royce Ghost. Doch völlig daneben liegen sie nun auch wieder nicht: Im Gelände können dem Range Rover nicht viele Autos das Wasser reichen, und auf der Straße kommt er der artfremden Konkurrenz ziemlich nahe. Jedenfalls bleibt diese typisch britische Kombination aus Auto-Adel und Abenteurer in dieser Art weithin unerreicht.
Original: Blog | MOTOSOUND