Aston Martin Vanquish: Gerührt, geschüttelt, gefahren
Power, Beauty and Soul – wenn man Ulrich Bez nach den Kernwerten eines Aston Martin fragt, reichen ihm diese drei Worte. Kraft und Seele, das gibt es bei anderen Herstellern natürlich auch. Aber der Schönheit huldigt niemand so treu und ehrfürchtig wie die Briten. Während sich Lamborghini fast schon pornografisch gibt und Ferrari die Leistung lasziv inszeniert, bleibt Aston Martin stets so stilvoll und elegant, dass man ästhetisch kaum noch etwas verbessern kann. Ob vor dem Parkhotel oder dem Pub, auf dem Schlosshof oder in der Siedlung – wo ein Aston Martin vorfährt, sind ihm bewundernde Blicke sicher. Zu verdanken ist das neben Klassikern wie dem von James Bond im neuen Film einmal mehr bevorzugten DB5 vor allem dem Vanquish, mit dem die Briten vor gut zehn Jahren eine Renaissance begannen. Mit dem Sportwagen hat es die Marke zurück in den Fuhrpark von 007 und auf die Shopping-Liste der Superreichen gebracht. 2007 allerdings machten neue Abgasnormen dem Spitzensportler den Garaus.
Jetzt meldet sich der Gran Turismo zurück. Noch bevor der neue Bond in die Kinos kommt, rollt die Neuauflage seines ehemaligen Dienstwagens zu Preisen ab 249.995 Euro auf die Straße und macht die Überholspur zum Laufsteg. Denn kein anderes Coupé inszeniert seine Power so cool wie der Typ aus Gaydon: Die Front geduckt und markant, ohne aggressiv zu sein, die Flanken potent aber nicht protzig und das Heck zu kräftig und knackig, so dass man es sogleich tätscheln möchte. So müssen Autos sein, wenn sie Begehrlichkeit wecken sollen.
Für diese Eleganz treibt Aston Martin einen gewaltigen Aufwand und fertigt erstmals die gesamte Karosserie aus Karbon. Andere Hersteller greifen zu dieser Maßnahme, um das Gewicht zu senken; den Briten jedoch geht es eher um die Form, denn manche der Kanten und Schwünge des neuen Vanquish könnten in Blech einfach nicht verwirklicht werden. Zudem lassen sich aus Karbon größere Bauteile fertigen, was wiederum zu weniger Fugen führt. Auch der Heckspoiler ist deshalb nicht aufgeschraubt, sondern wird aus einem Stück im Verbund mit der Kofferraumklappe modelliert – selbst wenn der Zulieferer allein an dieserm Bauteil zwei Tage arbeitet. Die Gewichtsersparnis der Karbon-Karosserie gegenüber einer aus Aluminium ist übrigens marginal – sie betrüge in diesem Fall lediglich sechs Kilogramm.
Auch innen hegen die Briten den hohen Anspruch. Sie verarbeiten mehr Leder und steppen mehr Nähte als die Konkurrenz. Der Zündschlüssel wirkt wie aus Kristallglas und damit so vornehm, dass Aston Martin ihn als „Emotion Control Unit“ bezeichnet. Und auf der neuen Mittelkonsole gibt es für Klimaanlage & Co. spezielle Sensorfelder, die sich wie bei einem iPhone hinter schwarzem Glas verbergen.
So weit, so gut. Nur leider haben die Engländer über die Kür die Pflicht vergessen: Die Sitze im Fond beispielsweise taugen nicht einmal als Alibi und auch die beiden Sportsitze in der ersten Reihe dürften mehr Kontur und Komfort bieten. Auch die Verarbeitungsqualität lässt zumindest bei den frühen Testwagen noch zu Wünschen übrig. Das Navigationssystem kennt man aus französischen Kleinwagen, die Lenkstockhebel erinnern verdächtig an den alten Kooperationspartner Ford und die manuelle Handbremse im Fußraum wirkt genauso von gestern wie die extrem kurze Liste der Assistenzsysteme: Weil Aston-Martin-Fahrer vorausschauend seien und Firmenchef Bez die meisten elektronischen Assistenzsysteme ohnehin für Spielerei hält, sucht man nach Extras wie etwa einer Abstandsregelung vergebens.
Der Sound des des Zwölfzylindermotors übertönt derartige Einwände souverän. Wenn die Maschine erst einmal läuft, hat man keinen Blick mehr für mangelhafte Verarbeitung, kein Gehör mehr für knarzende Bauteile und eine Aufmerksamkeit mehr für ein Navigationssystem, das regelmäßig abstürzt. Dann möchte man nur noch aufs Gas treten, immer und immer wieder aufs Gas treten, den Sound genießen und die fast explosive Beschleunigung fühlen, wenn der sechs Liter große Motor das 1,7 Tonnen schwere Coupé nach vorn treibt.
Ja, es gibt Supersportwagen, die haben mehr als 573 PS und 620 Nm, und es gibt in dieser Liga auch Autos, die weniger als 4,1 Sekunden bis Tempo 100 brauchen oder schneller fahren als 300 km/h. Aber wer gerne Sport im Smoking treibt, der will aus diesem Auto nicht mehr aussteigen. Denn auch beim Sprint bleibt der Aston ganz britischer Gentleman und macht sich nicht gemein mit den Rambos unter den Rennern. Das gilt übrigens auch für die Trinksitten, die mit einem Normverbrauch von 14,4 Litern für diese Klasse gar nicht so schlecht sind.
Zumindest nicht, so lange man die Finger von den Sporttasten auf dem ungewöhnlich eckigen Lenkrad lässt. Die rechte Taste kann man bedenkenlos drücken. Sie steuert Getriebe, Motorelektronik und die Schallklappen im Auspuff und bringt wunderbar das Blut in Wallung. Die linke dagegen strafft das Fahrwerk und ist zumindest auf englischen Landstraßen mit Vorsicht zu gebrauchen. Ohnehin eher auf eine kompromisslos sichere als eine komfortable Straßenlage ausgelegt, wird der Vanquish dann vollends zu einem bocksteifen Gesellen, der seine Passagiere ordentlich malträtiert. Dafür hält er dann eisern die Spur. Wellige Geraden, enge Kurven, lange Bögen oder verwinkelte Ecken – leichtfüßig, agil, perfekt ausbalanciert und giftig verbeißt sich der Vanquish in die Ideallinie.
Während das gesamte Auto in England gebaut wird, kommt der Motor übrigens aus Deutschland. Aus alter Verbundenheit lässt Aston Martin das Triebwerk bei Ford in Köln bauen – wobei der einstigen Konzernmutter mittlerweile nur noch die Halle gehört: „Maschinen und Mitarbeiter sind von Aston Martin, und die Konstruktion natürlich ohnehin“, sagt Entwicklungschef Ian Minards.
Eine völlig neue Karbon-Karosserie mit vielen Designzitaten aus dem millionenschweren Supersportwagen One-77, ein Motor, der mit dem Vorgänger nur noch den Hubraum gemein hat, bessere Fahrleistungen und weniger Verbrauch – für Aston Martin-Chef Bez braucht es nicht viele Worte, um den neuen Vanquish in die Modellpalette einzuordnen. „Er ist nicht weniger als das beste Auto, das wir je gebaut haben.“ Die ersten Kunden werden das in ein paar Wochen überprüfen können. Nur der vielleicht wichtigste Aston-Martin-Fahrer darf vorerst nicht hinters Steuer. In neuen Film nämlich fährt James Bond wieder mit einen alten DB5.
Original: Blog | MOTOSOUND