Morgan Threewheeler: Der hat doch ein Rad ab
Die müssen einfach verrückt sein! Anders lässt sich nicht erklären, was die knapp 200 Mitarbeiter von Morgan in Malvern Link da auf die Räder stellen. Denn in Zeiten, in denen Apps vielen Kunden wichtiger sind als die Motorleistung, in denen sich schon Kleinwagen ohne Klimaautomatik kaum mehr verkaufen lassen und in denen stetig mehr Assistenzsysteme die Autofahrerei erleichtern, bauen die Briten ein Fahrzeug, das anachronistischer kaum sein könnte. Eine filigrane Aluröhre, ein bisschen Leder, zwei winzige Sitze, fünf Schalter im Cockpit und wohl nicht mehr als zehn Kabel unter der Karosserie. Der Motor ist laut und ungehobelt wie ein Kirmesboxer. Und dann lassen die Konstrukteure auch noch ein Rad weg: So etwas wie der Morgan Threewheeler kann einfach nur aus England kommen. Denn kein anderes Volk hat einen derartigen Humor, der solch’ skurrile Autos hervorbringt. Aber darüber sollten niemand den Kopf schütteln, sondern Autofans sollten froh und dankbar sein. Denn für kaum mehr als 40.000 Euro gibt es auf diese Art ein Mobil für passionierte Schnellfahrer, das jedem Ferrari, Lamborghini oder Bugatti die Schau stielt – und so viel Spaß macht, dass man am liebsten gar nicht mehr aussteigen möchte.
Vorher allerdings muss man erst einmal einsteigen. Und das ist selbst mit dem abnehmbaren Holzlenkrad keine leichte Übung. Wer schon mal versucht hat, mit zwei Füßen in einen Stiefel zu schlüpfen, kennt das Gefühl, das beim Einsteigen in den Threewheeler vorherrscht. Viel mehr Platz gibt es nämlich nicht in dem Tunnel, der an drei winzigen Pedalen mündet. Und das ist nicht das einzige Problem: Um die Hüfte zwickt der Wagen derart, als sei er eigentlich als Seifenkiste gedacht. Und den Beifahrer muss man schon sehr gern haben, wenn man gemeinsam auf Tour gehen will. Denn ohne Tuchfühlung ist das ein Ding der Unmöglichkeit. Dass es nach oben etwas luftiger wird, ist nur ein schwacher Trost und vor allem eine Untertreibung: Weil die beiden Windabweiser vor dem Cockpit nur als Scherz gedacht sein können, es weder Türen noch Seitenscheiben gibt und selbstverständlich auch kein Dach, wird es schon im Stadtverkehr verdammt stürmisch. Bei Überlandfahrten sitzt man quasi nackt im Sturm. Jeder Regentropfen schmerzt wie ein Nadelstich, und ständig schlagen einem Fliegen ins Gesicht.
„Mund zu, es zieht“, warnt die innere Stimme, während man die nächste Mücke zwischen die Zähne klatscht. Andererseits tragen Threewheeler-Fahrer meist ein breites Dauergrinsen im Gesicht, das selbst Wind und Wetter nicht vertreiben können. Zu sinnlich ist der Klang des offen vor den Bug geschraubten V2-Motors, dessen Kolben im Leerlauf so gemächlich durch die jeweils einen Liter großen Brennkammern stampfen wie bei einem Hamburger Hafenschlepper. Zu verlockend ist das Heulen, wenn man dem Motor die Sporen gibt. Und zu schnell kommt das Dreirad in Fahrt, wenn man des darauf anlegt. Zwar hat der Threewheeler lediglich 85 PS, doch wiegt die Aluzigarre auch kaum 600 Kilo. Deshalb schießt man an der grünen Ampel jedem anderen Auto davon, ist in 6,0 Sekunden auf Tempo 100 und fühlt sich ein bisschen wie der Rote Baron im Jagdflieger. Fast genauso wendig ist der Threewheeler auch. Er beißt sich tapfer durch Kurven, findet fast überall eine Lücke und macht Lust auf die nächste Landstraße. Natürlich hat immer wieder Angst, dass das Dreirad irgendwann umkippt oder zumindest um den Fahrer kreiselt. Aber tatsächlich ist der Wagen so stabil, dass ihm die Briten sogar 185 km/h zutrauen – wenngleich sich dieses Tempo von den wenigen Kunden in Deutschland bislang nach Angaben des Importeurs noch keiner getraut hat.
Natürlich ist der nostalgische Zweisitzer kaum mehr als ein Exot für Exzentriker, die im Kindergarten zu früh vom Dreirad mussten oder sich nicht auf einer Harley sehen lassen wollen. Doch in der Frühzeit der Massenmobilisierung sah das ganz anders aus: Weil die dreirädrige Fahrzeuge damals von der Steuer begünstigt waren, hat Morgan zwischen 1909 und 1953 mehr als 30.000 Threewheeler-Exemplare gebaut. Allerdings vor allem für den Heimatmarkt – in England ist das Ding also kein verschrobenes Gerät, sondern ein klassisches Alltagsmobil.
Original: Blog | MOTOSOUND