GASTBEITRAG: Der SL, das Schicksal und ich
Wiebke Brauer hat Benzin im Blut, das merkt man(n) sofort wenn man einen ihrer Texte liest. So erging es mir (Dreikommanull) jedenfalls, als ich vor etlichen Wochen einen Bericht über Frauen und SUVs gelesen hatte.
Da wollte ich doch mehr wissen und als ich feststellte, dass sie ihre Kindheit ebenfalls auf der Rücksitzbank eines dunkelblauen W123 verbrachte und heute einen alten SL ihr Eigen nennt, da war klar ich musste sie bitten für uns zu schreiben!
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Ich habe diesen Wagen nie gewollt. Ein schwarzer 380SL (R107) mit öddeligem Zierstreifen, bordeauxroten Ledersitzen, ein US-Reimport, eine Schleuder von 1985, ein Säufer, ein geldgefräßiges Cabriolet mit einem Hang zum Rost und Verrotten. Ein Wagen, der nicht gerade die edelsten Charakterzüge im Menschen weckt, ein Prolet mit schlechten Manieren und einem noch mieseren Lackzustand.
Wie konnte diese Kiste mir nur zulaufen? Schließlich war es damals so, dass ich mir von Herzen einen SLC wünschte. Ein 123er-Coupé nannte ich schon mein eigen, schokoladenbraun, ein 230er, eine brave Kiste, die ich alle zwei Jahre schweißen und die mich nie im Stich ließ. Aber irgendwie stach mich der Hafer. Ein Zweitwagen sollte her, ein bisschen was Schnelleres und Gediegeneres. Und weil ich mich heillos in die Lamellen im Heckfenster des SLC verguckt hatte, sollte es genau dieses Auto sein.
Was ich nicht bedacht hatte: Es gab nicht mehr allzuviele dieser Modelle – und wenn, waren sie verottert oder preislich jenseits von Gut und Böse. Trotzdem machte ich mich auf die Suche. Bei einem recht bekannten Oldtimer-Händler in Hamburg sichtete ich zunächst einen SLC für über 20.000 Euro, die Lackfarbe nennt man wahrscheinlich Distelgrün-Metallic, mich erinnerte sie an das Schillern eines alten, also wirklich sehr alten Schinkens. Die Farbe der Innenausstattung muss ich verdrängt haben, aber wenn ich hier so sitze und darüber nachdenke, würde ich auf „Ocker“ tippen. Ein anderes Exemplar, für das ich nach Rendsburg fuhr, besaß keine nennenswerten Bremseigenschaften mehr. Mein Werkstatt-Zauberer, dem ich den Wagen zur Begutachtung brachte, meinte nur lapidar: „Nimm den Schrott bloß wieder mit, sowas will ich hier nicht auf dem Hof haben.“ Ende der Besichtigung.
Den nächsten Termin muss ich versehentlich gemacht haben. Ein blauer 280SL, er stand in einem sehr feinen Stadtteil von Hamburg, der Verkäufer musste ihn loswerden. „Das zweite Kind ist unterwegs, meine Frau macht mir die Hölle heiß.“ Natürlich formulierte der Herr das um einiges wohlfeiler, sein Polohemd war teuer, seine Anwaltsfrisur auch. Ich fuhr den Wagen um den Block – und bekam Platzangst. Nach dem Coupé erschien mir der Innenraum winzig, das Lenkrad völlig überdimensioniert und die Motorleistung lächerlich. Als der Verkäufer zum Abschluss des Gesprächs auch noch hinzufügte, er habe mit einem Freund an dem Auto ein bisschen gespachtelt, „hier und da an den Schwellern“ waren für mich zwei Dinge klar:
- Erstens: Sollte der Mann jemals Autohändler werden wollen, er würde verhungern.
- Zweitens: Einen SL werde ich niemals fahren. Nach wie vor war ich davon überzeugt, dass es sich um eine Neureichen-Schleuder handelte, von (kleinen) Männern gefahren, die sich mit dem Cabrio einen Anstrich von Individualität und Stilbewusstein verpassen wollten. Und wieso auch ein Cabrio? Ich fuhr schon Motorrad, das reichte, um den Dreck der Straße zu schlucken.
Gut, warum ich dann eine Woche später in einem 560SL saß, kann ich nicht mehr ganz rekonstruieren. Es könnte irgendetwas mit der Motorleistung zu tun gehabt haben. Mit einem Male erschien mir der Wagen nicht mehr ganz so beengt, und der Motor dröhnte als unüberhörbares Argument. Sogar der Preis war in Ordnung.
Einziges Manko: Die dattelfarbene Innenausstattung. Indiskutabel. Beim besten Willen nicht mit einer Dattel vergleichbar, nicht mit altem Tabak oder Walnuss. Sie glänzte wie Plastik im Sonnenlicht, gelblich, enervierend, magenverstimmend. Zugegebermaßen mache ich die Farbe im Nachhinein schlechter, denn unter uns: 5,6-Liter hätte ich schon gern. Das würde ich aber niemals laut sagen.
Tja, und dann geschah es. Ein Freund traf einen Freund, und der hatte einen gewissen schwarzen Wagen aus Florida importiert. Ich könne mir den ja mal ansehen. Schicksalsmelodie! Ich stelle mir einen kleinen dicken Autogott vor, der die Geschicke der Fahrzeuge lenkt, auf einer Wolke von Auspuffgasen sitzt, sich den Bauch hält und „Gnihihi“ macht. Vielleicht ist der Wagen mir auch eigenmächtig zugelaufen, wer weiß. In jedem Fall trat ich aus der Haustür, und da stand die Kiste. Ich habe das Bild noch genau vor Augen. Diese bescheuerten amerikanischen Stoßstangen, der abgerockte Lack, die aufgeklebte Zierleiste, die ich später zu entfernen versuchte und feststellte, dass sie jemand mit dem Cutter gezogen hatte. Aber der Wagen sah mich an, und ich schwöre, der hat gegrient. Bestimmt sagte der sich: „Lass die Alte mal einsteigen. Dann kann sie mal schön den Schlüssel drehen, dann zeige ich ihr mal, was ein V8 ist.“ Und was soll ich sagen – er hat Recht behalten. Ich stieg ein, drehte den Schlüssel – der Rest ist Geschichte.
Ich habe den SL jetzt seit viereinhalb Jahren und erschrecke noch immer zu gerne Fußgänger, indem ich einmal das Pedal bis zum Boden durchdrücke. Das 123er-Coupé („Mit dem werde ich alt“) ist verkauft, der SL hat ein neues Verdeck, wurde komplett gefettet, hat neue Reifen und Felgen.
An letzteres möchte ich eigentlich nicht erinnert werden, weil ich nie geahnt hätte, wie viele schlaflose Nächte mich das kosten würde. Grund: Die Felge an sich zieht verschiedene schicksalsträchtige Fragen nach sich. Plötzlich spricht der kleine Autogott zu Dir: „Willst Du Bling-Bling? Das Original? Willst Du sparen? Wirst Du mit dieser Felge für den Rest Deines Lebens glücklich? Überlege es Dir gut.“ Ich habe gut überlegt, nicht gespart – aber ob es nun die richtige Entscheidung war, weiß ich immer noch nicht. Barock ist okay, aber nachts träume ich immer noch von diesen perversen BBS-Felgen in Gold. Das muss die dunkle Seite in mir sein.
Und wenn wir davon ausgehen, dass ich den Wagen ausgesucht habe, und nicht er mich – genau diese dunkle Seite in mir hat sich auch für den schwarzen SL aus Florida entschieden. Weil er ein bisschen prollig ist, ein bisschen abgelebt und abgeliebt. Weil er trotz aller Beduftungsversuche nach Ammoniak stinkt, warum auch immer. Wegen der Risse im dunkelroten Leder. Ja, vielleicht, weil er vieles nicht ist. Nicht perfekt, nicht geleckt, kein Klassiker. Nur eine heiß geliebte amerikanische Geschmacklosigkeit mit einer verdammt langen Motorhaube und einem V8-Motor.
Fotos: ©fuenfkommasechs/Wiebke BrauerOriginal: 5komma6