Kn(a)utschzone - Kokovorismus
Der "Kokovorismus" bezeichnet eine nudistisch lebende, religiöse Gemeinschaft, die in der Verehrung der Kokosnuss Erfüllung und Unsterblichkeit sucht. Das mag den Leser amüsieren, es sei jedoch die Frage erlaubt, ob es den Verehrern von 80er-Jahre-Luxusfahrzeugen ernsthaft besser ergeht? Ich selbst komme mir vor wie ein Altenpfleger: Schnell mal vorbei schauen; oh, lebt immer noch; Inkontinenzen beseitigen; mit Gummihandschuhen auf die Schnelle Neuteile applizieren und sich anschließend wundern, dass all die Präventivdiagnostik und Pflege lediglich mit neuer bisher unbekannter Genußdekrementierung entlohnt wird, deren Monetär-Impact man wohl oder übel entweder auf die to-do oder die ignore-list setzen muss. Zweitgenanntes ist erfahrungsgemäß kostenneutraler, jedoch für den ernsthaften Enthusiasten direkt korreliert mit kognitiver Dissonanz und führt in der Community der W126 Liebhaber auf direktem Weg in die Hall-of-Shame. Irgendwo auf den Cook-Islands muss wohl ein Voodoo-Meister sitzen, der für jedes existente ältere Fahrzeug Schieberegler zur Verfügung hat, die er nach Belieben zwischen „Alles-gut“ und „Was-ist-das-denn-jetzt-schon-wieder?“ betätigen kann.
Neben einigen Pflegemaßnahmen (für die ich als vielbeschäftigte Bürohusche ohnehin besser geeignet bin und über die es in einem separaten Artikel noch zu berichten gilt) habe ich mich in meinem Perfektionswahn vom Bericht eines wohlbekannten Eigentümers eines kurz vor dem Export stehenden, nautikblauen und übermotorisierten Schlachtfahrzeuges nervös machen lassen. Mir kam gerüchteweise zu Ohren, dass vorgenanntes Fahrzeug so eben noch einem Eifeler Großgrundbesitzer für grobe landwirtschaftliche Einsätze dienstbar sein kann und ansonsten in einem leberwurstfarbenen Mangeltürer teilweise wiedergeboren werden soll, aber das ist eine andere Geschichte. Die Vorstellung, eventuell vom gleichen Problem heimgesucht worden zu sein war eidetisch, und so habe ich die Kofferraumverkleidung meines aufwändig vernachlässigten Fahrzeuges sofort entfernt, konnte mich ob des Ergebnisses jedoch entspannt zurücklehnen. (Übrigens eine meiner Kernkompetenzen)
Leider muss ich mich als Opfer einer Kollektivverblendung bezeichnen (Notiz schreiben: Rechtsanwalt nach potentiellem Klageerfolg fragen) die mir einredet, dass sub-optimale Zustände für einen ehemaligen Luxusgegenstand untragbar sind und beseitigt werden sollten müssen. Leider kann ich ohne Fremdbeatmung Kfz-technischen Missständen bestenfalls mittels Psychokinese begegnen, womit ich bei Schildkröten hinter der Fensterscheibe des Zoofachhandels in meiner Jugend sehr unterhaltsame Erfolge erzielen konnte, beim W126 jedoch mehrfach versagt habe.
Ab einem gewissen Grad von Sophistikation ist jedoch auch Technik kaum mehr von Hexerei zu unterscheiden, ich verfüge daher über eine ganz besondere Sonderausstattung, die einen Kobold, der mir aufgrund einer weit zurückliegenden Lehensherrschaft zu Diensten verpflichtet ist, herbeiruft.
Knopf gedrückt und schon muss der Kobold seine Kölner Wohnhöhle verlassen und auf einem schwarzen fliegenden Teppich zu mir eilen, um mir in seinen güldenen Pantoffeln zur Seite zu stehen. Hört sich komisch an, ist aber so. Da ich aber durchaus lernbereit bin, und überdies nicht weiß, wie lange diese übernatürliche Dienstleistung noch zur Verfügung steht, habe ich bei den im folgenden beschriebenen Optimierungsmaßnahmen auch selbst Hand angelegt.
Vom Diktum des gelben Forums indoktriniert stand der Austausch zweier Komponenten der KE-Jetronic des M103 an. Der präventive Austausch von LMM-Poti und EHS ist nicht nur eine technische Notwendigkeit, sondern quasi auch eine Frage der Männerehre, da bleibt auch beim militantesten Originalo kein Platz für Nostalgie. Der damit verbundene grobmotorischen Bastelanteil läge durchaus noch im Bereich meiner technischen Möglichkeiten, die anschließend notwendigen Mess- und Einregelarbeiten würden jedoch im Hinblick auf ein optimales Ergebnis Marcs Hilfe notwendig machen.
Materialauswahl: Bezüglich LMM-Poti hatte ich die Wahl:
Letztlich habe ich mich schlichtweg aufgrund haptischer Eigenschaften und der, dem groben Anschein nach, besseren Verarbeitungsqualität für das Original entschieden.
Beim EHS gab es keine Wahl, außer dem des Beschaffungszeitpunktes, da zwischenzeitlich wohl Preiserhöhungen stattgefunden haben. Ich mag dieses Gefühl, wieder einmal alles richtig gemacht zu haben, mein Dank geht an Marc, der mich rechtzeitig darauf aufmerksam machte. Verwundert hat mich jedoch das Herstelldatum aus 2002, das Teil ist bereits jetzt halb so alt wie das im Fahrzeug vorhandene.
Bevor wir gemeinsam zur Tat schritten, dachte ich mir „Das ist Deine Chance ein Held zu sein" und habe mich dem (kaum) invasivem Eingriff selbständig gestellt, dass alte LMM-Poti entfernt und das neue eingesetzt. War auch dringend notwendig, so sehen die Schleifbahnen aus ...
... die im japanischen Stadtverkehr in einem sehr engen Bereich abgenutzt wurden. Links alt, rechts neu.
Marc hat dann, dem Äquilibristen gleich, mit geübter Hand und einem Lächeln das EHS getauscht. (Nicht irgendein Lächeln, sondern dieses überlegene Lächeln, wie wenn die Millionenfrage richtig beantwortet wurde und das Publikum befreit ausatmet.) Für mich ist so etwas ja eher so emotionsbeladen wie Mengenlehre und alleine der Gedanke daran, Kraftstoff führende Bauteile aufzutrennen, bringt mich an den Rand einer Nahtoderfahrung. Anschließend haben wir gemessen, gestartet, geregelt, wieder gemessen usw., usw. bis der Meister, zufrieden mit seinem Werk, einen Schritt zurücktrat um mir wortlos zu bedeuten: Optimal.
Obwohl kaum sichtbar, machen die Neu-Teile auch optisch im Motorraum richtig was her. Der einfache Geist nimmt bei Betrachtung des M103 nur wirres Kabel- und Leitungsgewirr wahr, der Liebhaber aber erkennt hier schemenhaft das Antlitz Christi. Wir kamen dann so gerade noch dazu, das Genom-Projekt und die Verhinderung der Ausbreitung von Bilharziose in Ägypten anzudiskutieren, bevor es dann zur Probefahrt ging. S-Klasse fahren ... Ich mag das Gefühl, wie mein Körper immer wieder nur feinste Anpassungen vornehmen muss, jede Veränderung in Geschwindigkeit und Richtung nur leicht ausgleicht und spontan auf newtonsche Kräfte reagiert, die herrlich sanft eintreten und ebenso real wie unsichtbar sind. Das Ergebnis unserer gemeinsamen Aktion ist das gleiche wie in vielen vorher berichteten Fällen: Ansprechverhalten, Laufkultur, Leerlauf, alles so, wie es sein soll und damit genau das, was wir uns von diesem Eingriff erhofft hatten. Auch das Beschleunigungsverhalten ist jetzt wunderbar gleichmäßig und gefühlt kraftvoller. Wie formulierte Walter Röhrl einst so treffend: „Beschleunigung ist, wenn Tränen der Ergriffenheit waagrecht zum Ohr fließen". Nachdem ich das Taschentuch bei Seite gelegt hatte, musste ich demütig admitieren, dass ich aufgrund des Zuspruches von Marc dieses überaus positive Ergebnis schon früher hätte genießen können, aber wie wir alle wissen: Die meisten Menschen reagieren erst dann mit Vernunft, wenn sie alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft haben.
Meine Klage über olfaktorische Belästigungen aus dem Motorraum hat Marc dann mit Hinweis auf kleine weiße Rauchschwaden mit einer wohl leicht undichten Ventildeckeldichtung diagnostiziert, da müssen wir nochmal ran. Außerdem haben wir (o.k. ... Marc) diese wohl nur bei Exportfahrzeugen zu findende technische Einrichtung am M103 entdeckt:
Interessant nicht wahr? Gehört zur Wellnessausstattung (jedoch nicht für den Fahrer), und ich stelle dies hier mal als Rätsel in den Raum und erbitte Antwortversuche über die Kommentarfunktion.
Original: Fünfkommasechs.de | Aktuelles