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Im Trockensumpf der Macht (Teil 1)

Published in fünfkommasechs.de

Die Enttäuschung in den Reihen der glühenden Verehrer war groß, als 1973 eine „lediglich“ 4,5-Liter große, 225PS starke Oberklasselimousine der neuen Baureihe W116 – erstmals offiziell als S-Klasse von Mercedes-Benz bezeichnet – das schwere Erbe des 300 SEL 6,3 antreten sollte, jenem von Erich Waxenberger kreierten rasenden Chefzimmer.

Die Strategen in Stuttgart-Untertürkheim haben damals jedoch äußerst weitsichtig gehandelt; die Ölkrise und der Jom-Kippur-Krieg haben sich fest in den Köpfen der Bevölkerung eingebrannt, und in dieser Zeit hätte die Präsentation einer mehr als üppig motorisierten und luxuriös ausgestatteten Über-S-Klasse sicher auf wenig Gegenliebe hoffen können.

Finanzstarken und leistungsverliebten Kunden wurde jedoch bereits damals hinter vorgehaltener Hand bestätigt: „Da kommt noch was!“

M100Als sich 1975 die Welt wieder ein wenig langsamer und vor allem gleichmäßiger drehte, entschied man in der Stuttgarter Chefetage, dass nun der Zeitpunkt gekommen war, den legitimen Nachfolger des 6,3ers – wie er in Fach- und Verehrerkreisen genannt wurde und wird – zum Verkauf anzubieten. Kein europäischer Nachkriegs-V8-Benzinmotor bot mehr Hubraum als der Mercedes Benz W116 450 SEL 6,9. Nicht wenige der Kunden, die liquide genug waren, sich diese automobile Machtdemonstration aus Stuttgart vor die Haustür – pardon – in die Garage zu stellen, verzichteten aus Angst vor Neid auf den prestigeträchtigen Doppelschriftzug am Heck des Wagens.

heckdeckel
Lettern, die die Welt bedeuten. Die Über-S-Klasse ist in den Herzen der Fans angekommen. Und in meiner Garage. |
Foto: Gerold Saxler

Nun verhielt es sich Anfang der Neunziger Jahre des vergangenen Jahrtausends so, dass der 6,9er immer unattraktiver für den normalen Gebrauch wurde, die Kosten für Steuern und Kraftstoff stiegen stetig und auch die Instandhaltung der oftmals vernachlässigten Technik verlangte ihren Tribut. Ein junger Jedi – äh – Jeck (wie der Kölsche zu sagen pflegt) hatte sich jedoch bereits damals in den Kopf gesetzt: So einen muss ich haben!

In der Pre-Internet-Ära gab es eine zentrale Rufnummer im Hause Daimler, unter der man sich dann nach Wunschfahrzeugangabe per Fax Angebote für Gebrauchtwagen zusenden lassen konnte. Rund 10.000 Mark (West) wären seinerzeit für einen fahrbereiten 450 SEL 6,9 bei Ihrem Mercedes-Benz Händler fällig gewesen; der junge Jeck hat nämlich dort angerufen und nach eben jener Speerspitze der deutschen Automobilproduktion nachgefragt (damals konnte er noch unbehelligt Autos hinterher telefonieren, heute oftmals aufgrund der strengen Wacht des Nicht-Mannes nur heimlich möglich).

Je mehr der 6,9er zu einer Randfigur auf dem Gebrauchtwagenmarkt wurde, desto mehr wuchs die glühende Begeisterung des Heranwachsenden; statt dem prestigeträchtigen Doppelschriftzug prangte jedoch ein einfaches 200D Typenschild auf dem Heckdeckel des ersten Autos. Das Gefühl „Mercedes fahren“ war aber da, so fühlt sich „Willkommen zu Hause“ an. Natürlich versetzt der OM 601 mit seinen wackeren 60 Pferden keine Berge, der Platz hinter dem großen Volant bereitete den jungen Mercedes-Jünger aber schonend auf das vor, was da noch kommen sollte.

Front
So schlicht kann „Oben“ sein. Direktoren und Vorstandsvorsitzende brauchten 1975 noch keinen rechten Außenspiegel – warum auch? Wer sollte von hinten drängeln?
| Foto: Gerold Saxler

Der Anfang war also gemacht, die Fahrtrichtung gesetzt – dem Stern Richtung Horizont folgend. Aus schierem Respekt vor möglichen Folgekosten setzte der attraktive junge Mann zunächst auf den bewährten Reihensechszylinder M110 in seiner ersten eigenen S-Klasse. Das Volant war noch größer als im 123er, die Sitze rochen bereits nach Vorfahrt und der Automatikwählhebel lag vom ersten Moment an sicher in der Hand; die Zick-Zack-Kulisse sollte zum vertrauten Wegbegleiter auf allen Straßen werden. Es fühlte sich schon gut an wenn die 177PS des 1978er 280SE kreischend zum Einsatz kamen; längst vergessen die stoische Trägheit, mit der der 200D agiert hat.

Unbeschreiblich das Gefühl als sich zum ersten Mal der Stern auf der Haube beim Kickdown gen Himmel reckte. Fast hatte sich der Held unserer Erzählung von seinem Traum, einmal einen 450 SEL 6,9 zu besitzen, verabschiedet. So ein 280er reicht doch. Ja, tut er auch. Dumm nur, wenn Herz und Hirn nicht im Einklang arbeiten und phasenversetzt Argumente liefern warum ein 280er ausreicht – und warum nicht.

Nach einer aufwendigen Instandsetzung eines 350SEL hatte das Hirn endgültig verloren; der unbedingte Wille, den Monumental-Achtzylinder zu besitzen, ließ sich nicht mehr unterdrücken. Probefahrten mit diversen solcher Hubraumgiganten machten den Heißhunger nur noch schlimmer. Eben jener wuchs inzwischen aber auch wieder beim Rest der mercedesverliebten Automobilwelt und der 6,9er wurde bald zum gesuchten Sammlerobjekt, die Preise hoben sich schnell von denen der übrigen 116er-Modelle nach oben hin ab. Heute werden laut Liste für einen Zustand-3-Sechskommaneuner bereits über 22.000 Euro aufgerufen, Zustand 1 notiert bei 50.000 Euro. Sammler sind auch bereit, für entsprechende Farb- und Ausstattungskombinationen noch deutlich mehr auf den Tisch zu legen.

Motorraum
Passt nur dank Trockensumpfschmierung ohne Karosserieretuschen unter die Haube – und nur knapp in meine Garage: der 6834ccm große Graugußachtzylinder M100 im Typ 116.
| Foto: Gerold Saxler

Während des Studiums hing ein Farbfoto über dem Schreibtisch unseres jungen, attraktiven Freundes, ein Foto das einen wenig artgerecht bewegten 6,9er zeigt – quer treibend und mit mächtig Qualm in den Radkästen hat dieses Fahrzeug bereits rund 25m Straße mit schwarzen Strichen bemalt. Angesichts der Preise für die originalen Michelin XWX und den restlichen Verschleiß ein ungeheurer Frevel, aber auch eine bildliche Darstellung des Begriffes „Schub“. Wer will denn noch den Privatjet nutzen wenn ein 6,9er in der Garage wartet?

Burnout
Pin-Up aus Studienzeiten. Quelle: http://www.mercedesclubs.de/berichte/clubzeitung/stammtische/landshut/landshut.html

Zwischenzeitlich ist unser Akteur beim 126er angekommen, dank Katalysator, ABS, Airbags und wirtschaftlicheren Motoren noch halbwegs alltagstauglich; bedenke man, dass ein forsch bewegter 450 SEL 6,9 nach rund 400km Fahrstrecke wieder betankt werden muss – mit 96 Litern Super-Plus.

Zwar fährt sich ein 126er überaus angenehm und speziell der 560er bietet auch für heutige Verhältnisse immer noch bestechende Fahrleistungen, den „Oben-Drüber-Mercedes“-Appeal, den der 6,9er bietet, hat er jedoch nie wirklich gehabt. So wie das Verlangen nach dem 6,9er gestiegen ist, so steigen derzeit auch dessen Preise. Das Katz- und Maus-Spiel zwischen Kontostand und Wertentwicklung des Typs 116036 bereitete unserem jungen Drachentöter immer wieder Kopfzerbrechen. Zwar gibt es Restaurationsobjekte bereits deutlich unter 10.000 Euro, die Folgekosten sind jedoch meist so enorm, dass sich dieser Schritt nicht lohnen würde. Desweiteren ist die Freizeit inzwischen auf ein solches Minimum zusammengeschrumpft, dass der bereits in der Garage auf die Fortführung seiner Restauration wartende 500SEC des Typs 126 seit Weihnachten 2010 kein Tageslicht mehr zu sehen bekommen hat.

Immer wieder die Angebote der bekannten Fahrzeugmärkte studierend tat sich an einem Sonntag vor etwa 2 Wochen ein Fahrzeug in unmittelbarer Nähe auf, 1975 neu vom Vater des jetzigen Anbieters in der Niederlassung Köln gekauft, 1980 verkauft und 1994 vom Sohn wieder in den Familienbesitz zurückgekauft. Dass das Fahrzeug in nun mehr 35 Jahren scheinbar recht wenig gelitten hat, zeigen der gute Allgemeinzustand sowie die tadellos funktionierende Technik.

Plakette

Nach mehreren Tagen der Schlaflosigkeit, noch gefördert durch die Aussage des Nicht-Mannes „Wenn du meinst, das ist was, dann kauf ihn halt.“ fiel die Entscheidung zu Gunsten von Fahrgestell-Endnummer 332 von 7380; ein sehr frühes Modell des Typs 6,9, noch mit Zebranoholz, und kleinem, linkem Außenspiegel sowie den Lautsprechern in der unteren Hälfte des Armaturenbretts. Wirklich realisiert, was er da getan hat, hat der holde Jüngling erst, als der Hubraumgigant sicher in der heimischen Garage stand.

Innenraum

In den kommenden Tagen geht es in Teil II weiter; soviel nur vorab: Er macht süchtig!

Original: Fünfkommasechs.de | Aktuelles

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