ATS 2500 GT
Kind der Revolution
Es war – wahrscheinlich – einer der ganz wichtigen Momente der Automobil-Geschichte. Im Sommer 1961 kam es immer wieder zu Streit zwischen der Gattin von Enzo Ferrari, Laura, und dem damaligen Geschäftsführer von Ferrari, Girolamo Gardini. Laura, so heisst es, war nicht zufrieden mit den Resultaten der Rennabteilung, kritisierte die Arbeit der Techniker – und Gardini stellte sich gegen sie und vor seine Mitarbeiter. Im November eskalierte der Streit, Laura keifte, Gardini wurde entlassen. Aus Solidarität reichten am gleichen Tag noch auch Romolo Tavoni (Rennleiter der Scuderia Ferrari), Enzo Selmi (Personaldirektor), Fausto Galassi (Chef der Giesserei), Carlo Chiti (Entwicklungschef) und Giotto Bizzarrini (Leiter der Prototypenentwicklung) ihre Kündigung ein.
Dazu muss man wissen: Chiti und und vor allem Bizzarrini waren vor ihrem Abgang entscheidend an der Konstruktion des legendären 250 GTO beteiligt gewesen. Und sie hatten ihre Finger und vor allem Köpfe auch drin im Projekt 250P sowie dem auch bereits angedachten 250 LM, den ersten Mittelmotor-Sportwagen aus Maranello. Es heisst nun, dass Chiti bei seinem Abgang zumindest ein paar Kopien der Konstruktionspläne für diese Mittelmotor-Ferrari mitgenommen habe.
1962 gründeten Chiti und Bizzarrini sowie die vier anderen Ferrari-Revolutionäre die Automobili Turismo e Sport SpA, ATS; offizielles Ziel war es, Sportwagen und auch Formel-1-Renner zu bauen. Inoffiziell ging es in erster Linie gegen alles, was ein «cavallino rampante» trug. Geld erhielten sie anfangs von Giorgio Billi, einem italienischen Industriellen, und Jaime Ortiz-Patino, einem bolivianischen Zink-Baron; später kam dann noch Graf Giovanni Volpi dazu. Ganz besonders die Beziehung zu Volpi, der mit seiner Scuderia Serenissima einer der besten Kunden von Ferrari war, ist wichtig, denn Enzo Ferrari verkaufte dem reichen Grafen keine Autos mehr, sobald er von dessen Engagement bei ATS hörte.
Und noch ein Name wird hier wichtig: Phil Hill, der 1961 für Ferrari Formel-1-Weltmeister geworden war und 1962 für Ferrari die 24 Stunden von Le Mans gewonnen hatte. Auch Hill musste gehen bei Ferrari, als bekannt wurde, dass er sich mit ATS verbandelt hatte. Wobei: es ist nicht ganz klar, was jeweils zuerst geschah, das eine – oder doch das andere. Wie auch immer: 1963 trat der Amerikaner (im Team mit Giancarlo Baghetti) in der Formel 1 mit einer ATS-Konstruktion an, doch er konnte mit dem Tipo 100 keinen Blumentopf gewinnen, es brach einmal die Hinterachse, dann gab es Getriebeprobleme und auch noch Zündaussetzer. Es war allerdings eine interessante Konstruktion, angetrieben von einem 1,5-Liter-V8, der 188 PS geleistet haben soll. Nach fünf Rennen beendete ATS das Abenteuer Formel 1.
Das kleine Unternehmen befand sich 1963 bereits wieder auf dem absteigenden Ast. Was in erster Linie an Giorgio Billi lag, der 40 Prozent der Aktien an ATS besass (Volpi und Ortiz-Patino hatten je 20 Prozent, die Ferrari-Revolutionäre besassen gemeinsam die restlichen 20 Prozent), aber zu wenig Geld in das junge Unternehmen einfliessen lassen konnte, weil er sich bei anderen Projekten finanziell ebenfalls übernommen hatte. Billi hatte für ATS zwar noch ein riesiges Gelände in der Nähe von Bologna gekauft, doch sowohl Renn- wie auch Sportwagen entstanden – auf einem Bauernhof. Volpi, der die Mittel besessen hätte, warf den Bettel schnell wieder hin – und nahm zum Abschied das Fahrzeug mit, das wir hier vorstellen, Chassisnummer 2004.
Man schrieb auch das Jahr 1963, als ATS auf dem Genfer Auto-Salon den 2500 GT vorstellte. Es war ein ausserordentlich fortschrittliches Gefährt, das das die Italiener da zeigten, ein Rohrrahmen-Chassis aus Chrom-Molybdenum, sehr steif, sehr leicht, darin mittig und dann längs eingebaut ein von Chiti konstruierter 2,5-Liter-V8 mit Alu-Block und -Zylinderköpfen, eine obenliegende Nockenwelle pro Zylinderbank, dazu vier Weber-Doppelvergaser. Offiziell leistete die Maschine 210 PS bei 7500/min, es sollen aber eher 250 PS gewesen sein. Es gab aber auch noch die GTS-Version, die schaffte offiziell 245 PS bei 7700/min. Geschaltet wurden beide Varianten über ein 5-Gang-Getriebe von ZF. Einzelrad-Aufhängung mit Trapez-Dreieckquerlenkern vorne versteht sich von selbst, Scheibenbremsen (von Dunlop) rundum auch.
Die Karosserie wurde von Serafino Allemano gebaut, das Design stammte aus den begabten Händen von Franco Scaglione. Die zwei Tanks waren übrigens rechts und links in den Schwellern angebracht. Trotzdem: ein schönes, ein stimmiges Fahrzeug – und sämtliche Ähnlichkeiten mit dem Ferrari 250P/LM sind natürlich absolut zufällig. Die Karosse des GT bestand aus Stahl, beim GTS war es dann Aluminium, deshalb soll er nur gerade 756 Kilo gewogen haben (beim GT wurden 817 Kilo angegeben, aber die Italiener haben es ja bekanntlich nicht so mit der Genauigkeit in Sachen Gewicht). Der Preis von 4,7 Millionen Lire (5,3 Millionen für den GTS, umgerechnet etwa 33’000 Franken) lag um einiges tiefer als bei einem zeitgenössischen Ferrari 250 GT.
Zeitgenössische Testberichte lobten den ATS über alle Masse. Er sei nicht nur einfach zu fahren (was bei einem Mittelmotor-Fahrzeug ja nicht unbedingt gegeben ist), sondern auch ausserordentlich schnell (über 240 km/h lagen locker drin) und agil. Und man tut dem ATS 2500 GT wahrscheinlich nicht unrecht, wenn man ihn als den ersten ernsthaften Mittelmotor-Sportwagen der Automobil-Geschichte überhaupt bezeichnet. Schön folgendes Zitat von Wolfgang Blauble, einem Automobil-Historiker, der die Geschichte von ATS bestens kennt und die Wagen auch schon fahren konnte: «Die Kupplung bleibt das einzige, was roher Gewalt bedarf. Alles andere ist mit autoritärem Zugriff perfekt bedienbar. Und arbeitet doch so präzise, wie ich es bei klassischen Autos nie zuvor erlebt habe. Insgesamt fühlt sich der ATS noch am ehesten wie ein Dino 246 GT an, allerdings vereiteln das halbe Leistungsgewicht und die damit verbundene gefühlte Dynamik-Verdopplung diese vage Parallele. Ein Lamborghini Miura jedenfalls wirkt gegen den 2500 GTS – Vergebung für diesen Vergleich – wie ein behäbiger Brauereilaster.»
Es kam trotzdem nicht gut: je nach Quelle wurden sechs, acht oder zwölf ATS GT/GTS gebaut. Als sicher gilt anscheinend, dass sechs Fahrzeuge auf dem Bauernhof hergestellt wurden, davon gingen aber zwei bei einem Unfall, als sich die Fahrzeuge auf einem Transporter auf dem Weg zum Nürburgring befanden, verloren. Zu einem späteren Zeitpunkt sollen aber aus dem vorhandenen Material noch weitere Wagen «erschaffen» worden sein; heute gibt es «offiziell» fünf «echte» ATS-Coupé.
Das hier gezeigte Fahrzeug mit der Chassisnummer 2004 hat dann noch eine ganz besondere Geschichte. Graf Volpi nahm es mit, als er entnervt aus dem Unternehmen ausschied. Es heisst, Volpi habe auch vier weitere Chassis im Gepäck gehabt, aus denen dann seine Serenissima entstanden. In diesem Fahrzeug ist auch ein auf 3 Liter Hubraum aufgebohrter Chiti-V8 montiert, der es locker auf 300 PS bringt. Dieser Wagen wurde 2009 von RM Auctions für 308’000 Pfund versteigert – ein Schnäppchen, wenn man seine Geschichte und die Rolle von ATS in der Automobil-Geschichte berücksichtigt. Ab Ende 1963 wurden bei ATS keine Autos mehr gebaut, 1965 wurde das Unternehmen aufgelöst. Chiti gründete «Autodelta», die Renn-Abteilung von Alfa Romeo – und Bizzarrini konstruierte zuerst für Lamborghini den ersten V12-Motor, erarbeitete für Iso den Grifo und machte sich dann mit seiner eigenen, legendären Marke selbständig.
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