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Lamborghini 350 GTV

Published in radical-mag.com

Wie alles begann

Es gibt, wie von allen Legenden, auch von dieser Geschichte mehrere Versionen. Und einen Funken Wahrheit haben sie wohl alle in sich. Aber diese, die wir hier verbreiten wollen, haben wir vor vielen, vielen Jahren einmal am späten Abend, beim zweiten oder auch vierten Grappa, von einem Mann gehört, der Ferruccio Lamborghini sehr nahe stand. Wir könnten auch seinen Namen nennen, und der geneigte Freund von Lamborghini-Automobilen würde ihn dann kennen, doch das gehört sich nicht, ganz besonders nicht im Zusammenhang mit all diesen Grappe.

Ferruccio, geboren am 28. April 1916, war in Bologna zum Ingenieur ausgebildet worden. Im 2. Weltkrieg diente er als Mechaniker bei der italienischen Luftwaffe auf der Insel Rhodos. Dort geriet er in englische Gefangenschaft – und soll, sagt man, viel gelernt haben über angelsächsiche Qualitätsstandards. Man könnte jetzt meinen, dass dies wenig erstrebenswert sei, doch die Engländer und Amerikaner waren damals noch führend, was die Zuverlässigkeit von Motoren betraf (im Vergleich zu den Italienern sowieso), und sie wussten vor allem um die Wichtigkeit von Ersatz- und Austauschteilen. Lamborghini sei beeindruckt gewesen. Und habe die Lektion verstanden. Und dann, nach dem Kreig, aus dem er erst 1946 heimkehrte, auch anzuwenden gewusst.

Die Legenden hingegen, dass er seine Ideen für eine neue italienische Traktoren-Industrie während der (gemäss Gerüchten abgebrochenen) Hochzeitsreise gehabt und dass er zudem nach einem Unfall bei der Mille Miglia 1948 eine Abneigung gegen den Rennsport entwickelt haben soll, die lassen sich nicht nachweisen. Aber wir wollen hier ja auch nicht erzählen, wie Lamborghini zu einem der grössten Traktoren-Hersteller Italiens aufstieg und, so nebenbei, auch als Produzent von Heizungsbrennern sowie Klimaanlagen erfolgreich war sowie, so nebenbei, auch noch eine Hubschrauber-Fabrikation in Gang bringen wollte, sondern wie es dazu kam, dass er Autos baute.

Ferruccio Lamborghini war in den 50er-Jahren bereits ein reicher Mann. Und wie es sich für einen reichen Italiener gehörte, besass er einen anständigen Fuhrpark: einen Mercedes 300SL, mindestens zwei Maserati 3500 GT – «zu schwer, zu langsam» – und schon früh einen Jaguar E-Type. Seinen ersten Ferrari kaufte er direkt ab Werk im Jahr 1958, einen 250 GT mit einer der ersten Karosserien, die Pininfarina für den Sportwagenbauer aus Maranello geschaffen hatte. Lamborghini hatte Freude an diesem Wagen. Er kaufte weitere Ferrari, etwa eine 250 GT SWB Berlinetta sowie einen 250 GT 2+2. Mit einem dieser 250 GT hatte Lamborghini Ärger mit der Kupplung. Er fuhr (1962) immer wieder nach Maranello, wo der Wagen dann für mehrere Stunden in der Werkstatt verschwand. Doch das Problem konnte nie zur Zufriedenheit von Ferruccio gelöst werden.

Er fand dann heraus, dass Ferrari seine Kupplung beim gleichen Hersteller bezog wie er jene für seine Traktoren, und masste sich nicht nur an, eine stärkere Variante in seinen Ferrari einzubauen, sondern diese Modifikation auch noch in Maranello vorführen zu wollen. Enzo Ferrari soll, aufbrausend und stolz wie er war, seinem guten Kunden dann persönlich mitgeteilt haben, er könne vielleicht Traktoren bauen, aber Auto fahren könne er anscheinend nicht, denn sonst könne er besser mit der Kupplung umgehen. Das ist ein grober Schlag unter die Gürtellinie – einem Italiener ins Gesicht zu sagen, er sei ein schlechter Autofahrer, dass ist so etwa wie, naja, Sie wissen schon. Aber: Was der «Commendatore» dem Traktorenbauer unter vier Augen genau erzählt hatte, das wissen nur die beiden Herren selbst. Und wir werden es nie mehr erfahren, denn weder Ferruccio noch Enzo erwähnten den Vorfall in ihren Memoiren.

Fama est, dass Lamborghini nach diesem Gespräch wutentbrannt nach Cento in seine Traktoren-Fabrik zurückgefahren sei mit einem festen Plan: Dem werde ich es zeigen. Mit grösster Wahrscheinlichkeit war es nicht so. Möglich, dass Ferruccio sauer war, doch er war zu sehr Geschäftsmann, als dass er nicht auch einen «business case» gesehen hätte. Denn abgesehen von den Problemen mit der Kupplung hatte er seine Ferrari immer als zu laut erachtet – und zu wenig strassentauglich, zu sehr Rennwagen. Der Groschen, spekulieren wir jetzt mal, fiel aber erst nach eingehender Analyse – und im Wissen, dass einige der talentiertesten Mitarbeiter Ferrari verfügbar waren. Denn im November 1961 mussten nach der so genannten Palastrevolution der damalige Verkaufschef Girolamo Gardini, der Chef der Scuderia Ferrari, Romolo Tavoni, Chefingenieur Carlo Chiti, und der Chef der Sportwagen-Entwicklungsabteilung, Gioto Bizzarrini, Ferrari verlassen.

Ferruccio Lamborghini hatte eine Vision. Und er hatte Geld. Aber sonst hatte er gar nichts. Doch dann heuerte er (unterdessen geht das Jahr 1962 zu Ende) das 38-jährige Genie Gioto Bizzarrini an, der ihm einen Motor konstruieren sollte. Und den erst 23-jährigen Gian Paolo Dallara als Chefkonstrukteur. Und den 46-jährigen Kettenraucher Franco Scaglione als Designer. Scaglione ist nicht eine der grossen Nummern in Italien, nicht wie Pininfarina, Bertone, Vignale, Ghia. Aber Scaglione hatte bei Bertone die herrlichen «BAT»-Alfa gezeichnet und war ein eleganter Mann, der in einem schicken Mercedes in der nicht sonderlich eleganten Traktoren-Fabrik vorfuhr, begleitet von einer «Sekretärin von atemberaubender Schönheit», und er antworte auf die Frage des ungeduldigen Jung-Autobauers, wann er denn erste Entwürfe sehen könne, ganz ruhig: «Ihr Auto wird in einer Woche fertig sein.»

Bizzarini konstruierte in Rekordzeit – und sicher mit Hilfe seiner alten Ferrari-Zeichnungen – einen 3,5-Liter-V12 im 60-Grad-Winkel, mit vier obenliegenden Nockenwellen, Trockensumpf-Schmierung, einem Kurbelgehäuse aus Alu mit eingepressten Grausguss-Laufbuchsen und sechs Fallstrom-Weber-Doppelvergasern. Auf dem Prüfstand schaffte die kurzhubige Maschine (Bohrung 77 Millimeter, Hub 62 Millimeter, Hubraum 3464 ccm) rennsporttaugliche 347 PS bei 8000/min. Das maximale Drehmoment von 326 Nm fiel bei 6000/min an. Der 3-Liter-V12 des Ferrari 250 GTO kam auf 300 Pferde, aber das war ein reinrassiger Renn-Motor. Es heisst, der begeisterte Lamborghini habe sich diesen Motor gleich in einen seiner privaten Wagen einbauen lassen – in einen Ferrari.

Bloss – der von Bizzarini in Livorno konstruierte Motor passte nicht in die von Scaglione in Turin gezeichnete und bei Sargiotto (Turin) gebaute Karosse des Fahrzeugs, das den Namen Lamborghini 350 GTV trug. Er sei zu hoch und zu lang gewesen. Und die Verarbeitung dieser Karosserie, die auf einem Rohrrahmen von Marchesi (Modena) und einem Chassis von Neri & Bonacini (Mailand) stand, war ein Alptraum, alles andere als die Qualität, die Ferruccio verlangte hatte. Und Lamborghini mochte auch die Linien nicht. Ihm gefiel die scharfe Nase nicht, und die Klappscheinwerfer auch nicht, und das grosszügig verglaste Heck erst recht nicht. Gleich nach der Motor Show in Turin im Herbst 1963, wo der 350 GTV ohne Motor, aber dafür mit Keramikplatten im Motorraum dem Publikum vorgeführt wurde, stellte der Traktoren-Hersteller sein erstes eigenes Automobil in eine Ecke. Und begann nochmals von vorne. Aber das ist eine andere Geschichte, die wir dann auch noch erzählen können.

In besagter Ecke stand der «Gran Turismo Veloce» übrigens bis 1985. Dann kaufte ihn ein amerikanischer Sammler. Gemäss einer weiteren Legende restaurierte er für ein Dankeschön den intern Tipo 103 genannten Wagen – und setzte ihm einen funktionierenden Motor ein. Zwar nicht das Bizzarini-Meisterwerk von 1963, aber besser als die Keramikplatten ist es alleweil.

Mehr Lamborghini haben wir in unserem Archiv. Und wir werden in der Folge alle historischen Modelle aus Sant’Agata aufarbeiten.

Der Beitrag Lamborghini 350 GTV erschien zuerst auf radicalmag.