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Ferrari 400 Superamerica

Published in radical-mag.com

Ganz, ganz oben

Enzo Ferrari war, man darf es zumindest annehmen, so ein bisschen schlauer, cleverer, geschäftstüchtiger als noch so manch ein anderer. Das Spielchen von den Rennsiegen am Sonntag und der Verkaufserfolgen dann am Montag, das hatte er schon früh erkannt. Und es gefiel ihm bestens, vor allem deshalb, weil ihm die Strassen-Ferrari nicht nur die Schatulle füllten, sondern weitere Rennautos ermöglichten, mehr Siege; ein sinnvoller Kreislauf. Und obwohl der grosse «Commendatore» sich am liebsten in der Region Modena aufhielt, war ihm auch schön früh klar geworden, dass Amerika ein wunderbarer Markt war, dort liess sich noch mehr Geld verdienen als anderswo, und ausserdem war die Kundschaft nicht so zickig wie europäische, leichter zufrieden zu stellen.

Doch die USA und Ferrari, das war in erster Linie ein Name: Luigi Chinetti. Was Mercedes, BMW und Porsche an Maxi Hoffman hatten, nämlich einen genialen Verkäufer und Strategen, das war Chinetti für Ferrari. Der Italiener Chinetti, geboren im Jahre 1900, wanderte schon früh nach Frankreich aus und war ein sehr begabter Rennfahrer, gewann 1932 auf einem Alfa Romeo die 24 Stunden von Le Mans (zusammen mit Raymond Sommer), konnte 1934 noch einmal nachlegen (wieder auf Alfa, diesmal zusammen mit Philippe Etancelin) – und emigrierte im 2. Weltkrieg in die USA. 1949 wurde Chinetti zum ersten Piloten, der Le Mans zum 3. Mal gewinnen konnte – und es war dies, zusammen mit Peter Mitchell-Thomson, dem 2. Baron Selsdon, auch der erste Sieg von Ferrari beim berühmtesten Langstreckenrennen der Welt. Im Alter von 50 Jahren gewann Chinetti dann auch noch die Carrera Panamericana, zusammen mit Piero Taruffi in einem Ferrari 212.

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Doch Chinetti war weit mehr, schon in den 30er Jahren hatte er in Frankreich ein gutes Händchen als Auto-Händler bewiesen. In den 50er Jahren wurde er zum ersten Ferrari-Händler in den USA, eine Position, die er für viele Jahre an der Ostküste exklusiv halten konnte. In dieser Funktion gründete er auch den N.A.R.T.-Rennstall, der bis weit in die 70er Jahre viele Rennsiege für Ferrari erringen konnte, weil, eben: win on Sundays, sell on Mondays.

Aber während Hoffman von den deutschen Herstellern sportlichere Modelle verlangt hatte, kleinere, handlichere, brauchte Chinetti grösseres, komfortableres Material. So kam es zur «America»-Linie, es begann mit dem von 1951 bis 1955 gebauten 375 America, ein absoluter Supersportwagen, wie ihn die Welt damals noch nie gesehen hatte. Der von Aurelio Lampredi konstruierte V12 stammte direkt aus der Formel 1, hatte 4,5 Liter Hubraum und schaffte etwa 300 PS. Für den 1955 vorgestellten 410 Superamerica wurde der Hubraum auf 4962 ccm (Bohrung x Hub: 88 x 68 mm) vergrössert, mit drei Weber-Doppelvergasern (40DCF) und erhöhter Verdichtung (8,5:1) stieg die Leistung auf 340 PS. Geschaltet wurde über ein manuelles Viergang-Getriebe.

Das Fahrwerk entsprach mit dem Kastenrahmen, doppelten Dreieckslenkern vorne, einer Starrachse hinten und den Trommelbremsen dem 250 GT, dem Brot-und-Butter-Auto von Ferrari in jenen Jahren. Vom 410 Superamerica gab es drei Serien, gebaut wurde er bis 1959, und die Anzahl war eher gering, dafür die Marge gross. Die Wagen hatten allerdings auch ein Problem: sie waren zu schwer. Ferrari gab 1200 Kilo an, doch es waren dann wohl eher 1700.

Zurück zu einem mehr sportlichen Fahrzeug musste man also, das wusste Enzo, das verlangte Chinetti, und deshalb musste der massive Lampredi-V12 dem Colombo-V12 weichen. Einst (1946) als 1,5-Liter-Rennmaschine konstruiert, zeigte dieses Aggregat über die Jahre eine erstaunliche Flexibilität und kam im neuen Modell als Tipo 163 auf 4 Liter Hubraum (genauer: 3967 cm3, Bohrung x Hub 77 x 71 mm; drei Weber 42DCW-Vergaser, 340 PS). Und wer jetzt rechnen mag, der müsste behaupten, dass dies neue Modell dann die Typen-Bezeichnung 330 hätte tragen sollen, doch erstmals wich Ferrari bei diesem Wagen vom üblichen Schema ab und nannte ihn: 400 Superamerica. Warum gerade 400? Keine Ahnung.

Erstmals gezeigt wurde das neue Modell auf dem Turiner Salon 1959, damals aber noch nicht mit der neuen Bezeichnung und auch nicht als Serien-Fahrzeug, sondern als Sonderanfertigung für Fiat-Chef Gianni Agnelli, ein Coupé Speciale von Pininfarina. Unter dem Blech: das Chassis des 250 GT (Kastenrahmen, hintere Starrachse) mit einem Radstand von 2,5 Metern. Dies wurde dann aber nicht für die erste Serie übernommen, denn die hatte dann einen Radstand von 2,42 Metern (wie die letzte Serie des 410 Superamerica). Es folgten dann drei Cabrios mit dem kürzeren Radstand, die aus ein paar Metern Entfernung durchaus auch als 250 GT Cabriolet hätten durchgehen können, aber besser ausgestattet waren, alles Einzelanfertigungen nach besonderen Kundenwünschen.

Im Oktober 1960 stellte dann Pininfarina die Studie Superfast II vor (der Superfast I war schon 1956 entstanden, auf Basis eines 410 Superamerica, Chassisnummer 0483SA), welche die späteren «Aerodinamica»-Coupé vorwegnahm (und sie alle waren heftig inspiriert von der «Super Flow»-Serie auf Alfa-Basis). Im Gegensatz zu den Serienmodellen hatte der Superfast II noch Klappscheinwerfer, einen kleineren Kühlergrill und hinten teilverkleidete Radläufe, wobei – die Geschichte wird dann ziemlich verworren. Denn es gibt wohl keine zwei 400 Superamerica, die genau gleich aussehen, es gab sie mit abgedeckten Scheinwerfern, mit Klapp- und auch Doppelscheinwerfern, mit senkrecht im Fahrtwind stehenden Streuscheiben.

Und weil auch innen auf die individuellen Kundenwünsche eingegangen wurde, ist es ein bisschen schwierig mit der Zuordnung. Und dies, obwohl von der ersten Serie, die ihr offizielles Debut 1961 auf dem Genfer Salon hatte (Chassisnummer 2373SA, ein Aerodinamica-Coupé – anscheinend war es aber bereits der 9. Wagen der Serie…) nur gerade 23 Stück (oder waren es 25?) gebaut wurden. 12 Aerodinamica-Coupé von Pininfarina (oder waren es 15?), das erste, schon erwähnte Ausstellungsmodell ebenfalls von Pininfarina, die Studien Superfast II (die später zum Superfast IV umgebaut wurde) und Superfast III, fünf Cabriolets (von Pininfarina), ein 2+2-sitziges Coupé (von Pininfarina – oder vielleicht von Scaglietti?) und schliesslich noch zwei von Scaglietti eingekleidete Fahrzeuge, ein Spider und eine Berlinetta (ergibt, hmm, 23, ist das jetzt komisch…). Die Aufbauten bestanden manchmal aus Stahl, manchmal aus Alu, Ferrari gab ein Gewicht von 1280 Kilo an, doch das war eher die Vorgabe an die Ingenieure als die Realität.

(Noch ein bisschen mehr Verwirrung gefällig? Es gab da den persönlichen 400 Superamerica von Enzo Ferrari, ein Aerodinamica-Coupé mit der Chassis-Nummer 3097SA, das aber später in 4031SA umgetauft wurde – aus welchem Grund, das weiss niemand. Und weil dieser Wagen dann einen neuen Namen hatte, wird er gerne der Serie II zugeordnet. Doch die Serie II hat den längeren Radstand von 2,6 Metern, und 3097/4031SA verfügte über den kurzen Radstand. Die Frage darf nun sein, weshalb der «Commendatore» überhaupt so einen 400er als Aerodinamica Coupé sein eigen nennen wollte, denn erstens sagte er ganz unverfroren, dass ihm seine eigene Produkte zu teuer seien, er sich so einen Ferrari nie leisten würde. Im Falle des 400 Superamerica hatte er auch vollkommen recht, das Ding kostete 1962 so viel wie vier Jaguar E-Type. Und zweitens empfand Enzo Ferrari Aerodynamik als völlig unnütz: «Das ist etwas für Menschen, die keine Motoren bauen können». Trotzdem, er hatte einen – aus dem sogar zwei wurden…).

Im September 1962 erschien dann die Serie II, mit dem gerade erwähnten längeren Radstand von 2,6 Metern. Auch hier sind die genauen Produktionszahlen etwas schleierhaft, 22 Stück sollen es gewesen sein, 18 Aerodinamica-Coupé von Pininfarina und vier Cabriolets, ebenfalls von Pininfarina. Es könnten aber auch 19 Coupé gewesen sein.

Irgendwo haben wir es schon erwähnt: 340 PS. Offiziell war der 400 Superamerica, geschaltet über ein selbstverständlich manuelles 4-Gang-Getriebe (auf Wunsch mit Overdrive), 265 km/h schnell. Das schaffte er ziemlich locker, in zeitgenössischen Berichten ist auch von 280 km/h die Rede – selbstverständlich war der 400 Superamerica das «schnellste Serienauto der Welt». Wobei, eigentlich war es ja keine Serie, wenn jedes Ding einzeln aufgebaut und ausgestattet wird; zum Serien-Produkt wurde dann erst der 500 Superamerica, der 1964 auf den Markt kam.

Das hier oben gezeigte blaue Exemplar, Chassisnummer 3559SA mit Jahrgang 1962, kam 2013 in Villa D’Este bei der RM-Auktion unter den Hammer. Das Fahrzeug wurde ursprünglich in die USA ausgeliefert, war von 1989 bis 2003 im Besitz der Schweizer Gebrüder Meier, ging dann wieder in die USA zurück und gehörte zuletzt dem bekannten Rennfahrer Skip Barber. Er wurde für 2,184 Millionen Euro zugeschlagen. Der silberne Wagen, Chassisnummer 3931SA, kommt Anfang Februar bei RM Sotheby’s in Paris zur Versteigerung – es werden unterdessen mindestens 3 Millionen Euro erwartet. Und der Ordnung halber haben wir auch noch einen offenen 400 Superamerica, 1945SA, bei dem gewisse Zweifel bestehen, der aber im vergangenen Jahr trotzdem 6,38 Millionen Dollar erzielte… Wir haben selbstverständlich noch mehr Bilder, das bringen wir dann auch noch, irgendwann.

Photos: ©Courtesy of RM Sotheby’s.

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Der Beitrag Ferrari 400 Superamerica erschien zuerst auf radicalmag.