Test Alfa Romeo Stelvio QV
Holla, die Waldfee oder: die Greta-Frage
Ach, lang und breiter müssten wir hier eigentlich über Sinn und Zweck dieser übermotorisierten SUV sinnieren. Gut, wir haben das schon andernorts getan (siehe zum Beispiel: Lamborghini Urus) und wir machen ja ganz allgemein aus unserer Abneigung gegen das Baugruppenmuster SUV keinen Hehl, doch es wäre auch hier im Test des Alfa Romeo Stelvio QV sicher wieder am Platz. 510 PS bewegen 1,8 Tonnen sich gegen den Wind stemmenden Stahl allradgetrieben durch Stadt und übers Land – man kann sich da tatsächlich die Greta-Frage stellen. In diesem Zusammenhang: Unser Testverbrauch lag bei 12,9 Litern – gemäss Werksangabe sollten es deren 9,8 sein. Getretner Quark wird breit, nicht stark.
Aber, um bei Goethe zu bleiben: Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust. Ja, es dürfte uns allen klar sein, dass es so nicht weitergeht, dass ein SUV, das sich in deutlich unter acht Minuten um die Nordschleife prügeln lässt und in 3,8 Sekunden von 0 auf 100 km/h beschleunigt, die Menschheit und die Welt und ganz besonders das Klima nicht weiterbringt. Andererseits: In 10 oder 15 oder auch erst in 25 Jahren, wenn dann sämtliche Motorengeräusche von der Strasse verschwunden sind, nur noch Elektromotoren surren (woran wir beim besten Willen nicht glauben), werden wir uns mit Wehmut an das, sorry, geile Knallen des 2,9-Liter-V6 erinnern, wenn er in den Begrenzer gedreht wird. Holla, die Waldfee – das ist nun nicht von Goethe, sondern von Hansi Hinterseer.
Allein der Kaltstart, des Morgens – mit einem heiseren Brüllen begrüsst der Italiener Passagiere und Umwelt. Es ist besser, wenn man sich dann gerade keine Gedanken zum Klimawandel macht – und noch selten war ein Weckruf schöner. Danach verfällt er in ein zwar gut hörbares, aber nicht unangenehmes Brabbeln – und hält sich sehr, sehr lange bedeckt, gibt sich alle Mühe, mit möglichst tiefer Drehzahl ganz friedlich einherzurollen. Dabei hilft natürlich das maximale Drehmoment von 600 Nm ab 2500/min (mit sehr flacher Kurve) – und die ausgezeichnet abgestimmte 8-Gang-Automatik von ZF, die sehr sanft schaltet – und bei Bedarf die Gänge auch richtig knackig sortiert. Wenn man über die riesigen Paddels manuell eingreift (handgefräst aus einem Stück Alu, auch haptisch eine Freud’), dann erfolgen die Wechsel blitzschnell, das kennen wir in dieser Form bei den anderen ZF-Abnehmern, etwa Volvo und Jaguar, nicht. Und wenn er nur so rollt, der böse Stelvio, dann sind auch Verbräuche unter 9 Liter möglich. Bloss will ja niemand mit dem QV so fahren, zu sehr verleitet er dazu, über 4500/min zu drehen, dorthin, wo er laut wird und schnell und vielscharfmitalles.
Ärgerlich ist nun aber: mit solchen SUV wie dem Stelvio QV kann, ok, könnte man ja ganz gut leben. Zwar ist er in seiner Form sinnbefreit, doch als Automobil, da ist er schon eine Pracht. Den Stelvio haben wir ja schon ausführlich erklärt, im Fahrbericht, im Test, auch den Quadrifoglio haben wir schon den Berg hochgetrieben – eigentlich ist er ja eine Giulia, einfach etwas höher und ausladender. Gerade diese Nähe zum klassischen Personenwagen (Gewichtsverteilung 50:50) bringt im Fahrverhalten entscheidende Vorteile gegenüber anderen SUV, die sogar bei Porsche aus der Nutzfahrzeug-Abteilung stammen. Mit einer Höhe von 1,65 Metern gehört er zu den Flachbauten unter diesen Pseudo-Abenteurern, die Bodenfreiheit von 20 Zentimetern lädt auch nicht unbedingt zu grobem Off-Roading ein (die feisten Pirelli-Schlappen erst recht nicht), und so halten sich halt die SUV-typischen Wankbewegungen in sehr engen Grenzen. Dies ist schon im «Normal»-Modus so, wenn man dann auf «D» (wie dynamisch) stellt, dann wird der Alfa quasi zum Sportwagen. Inklusive der entsprechenden Härte. Aber was den Stelvio halt wirklich einmalig macht: die wahrscheinlich beste Lenkung überhaupt in einem SUV. Angenehm leichtgängig und doch wunderbar präzis, sehr direkt und trotz Allradantrieb komplett frei von spürbaren Kraftflüssen. Da darf man Alfa Romeo wirklich ein Kränzchen binden. Und ja, das ESP lässt sich komplett ausknipsen – es sei solches Tun auf öffentlichen Strassen aber nicht empfohlen, trotz 4×4 benimmt sich der Italiener dann wie ein heckgetriebener Sportler.
Es mag Fahrzeuge geben, deren Bedienkonzept etwas logischer aufgebaut ist. Wir hatten drei Wochen lang das Vergnügen mit dem Stelvio – und hatten das System schon nach wenigen Tagen blind im Griff. Er hat alles, was es heute an Connectivity braucht, das Handy koppelt sofort, wir mögen das Navi, weil es unter der Einstellung «kürzeste Strecke» über Gassen führt, die nur Einheimische kennen können. Ja, der Screen könnte etwas grösser sein, andererseits will der Italiener halt lieber gut aussehen als nur praktisch sein. Über die Verarbeitungsqualität können wir uns nicht beklagen, kein Quietschen, kein gar nichts, obwohl wir nun wirklich nicht immer nur freundlich waren mit dem Alfa. Die Sitzposition liegt nicht ganz so hoch wie in anderen SUV, die Sitze selber sind auch auf langen Strecken komfortabel (obwohl oder gerade weil: ziemlich hart), Kinder sitzen hinten gerne und auch gut, und das Kofferraumvolumen von 525 Litern (bei abgeklappten Rücksitzen: 1600 Liter) ist jetzt nicht bahnbrechend, aber mehr als nur anständig für einen Sportwagen. Zudem glänzt der Alfa mit einer vollkommen ebenen Ladefläche und einer erfreulich tief liegenden Ladekante (was bei einem SUV ja immer relativ ist im Vergleich zu einem Kombi). Das gilt unbedingt auch für das Gewicht, die 1830 Kilo sind im Vergleich zur Konkurrenz ein Federgewicht.
Ach ja, die Konkurrenz, was nimmt man denn da? Audi hat wohl derzeit nichts Vergleichbares, bei BMW kommen dann X3/X4 M, doch die sind halt deutlich kompakter; bei den Benzen haben wir längst die Übersicht verloren, was könnte es denn sein, GLE 43 4Matic Coupé (bitte nicht…). Von den Fahrleistungen her müsste es ein Porsche Cayenne Turbo sein (ab 183’900 Franken…), bei Jaguar (gibt es die noch?) ein F-Pace SVR (ab 120’000 Franken). Der Alfa Romeo Stelvio Quadrifoglio ist mit 109’500 Franken angeschrieben, er ist damit das Schnäppchen in dieser (immer grösser werdenden) Gruppe der fahrenden Widersprüche. In der Summe seiner Eigenschaften, Design, Fahrverhalten, Antrieb und vor allem beim Spassfaktor darf er aber locker die Führungsrolle beanspruchen.
PS: Gestern Nacht gab es bei uns im Dorf einen kompletten Stromausfall. Acht Stunden kein Licht, kein gar nichts, also auch keine Energie für E-Autos. Den passenden Song zum Fahrzeug haben also erst heute früh geunden, hier. Ausserdem: Mehr Alfa Romeo haben wir in unserem Archiv.
Der Beitrag Test Alfa Romeo Stelvio QV erschien zuerst auf radicalmag.