Open Menu
Open Menu
 ::

Citroën Méhari

Published in radical-mag.com

Das Renn-Dromedar

Erstaunlich ist nicht allein, dass ein Fahrzeug wie der Citroën Méhari überhaupt gebaut wurde. Noch viel überraschender ist, dass von dem Ding, das manch ein Unkundiger als Eigenbau betrachtet, tatsächlich 144’953 Stück produziert wurden. Gut – Citroën brauchte dafür gut 20 Jahre, von 1968 bis 1987, aber trotzdem.

Wer die Idee hatte für den Méhari, das lässt sich heute nicht mehr feststellen. Man darf davon ausgehen, dass es durchaus die französische Armee gewesen sein könnte – oder vielleicht gar die Schweizer Post, der mit Abstand grösste Einzelkunde für die allradgetrieben Citroën. Ab Ende der 50er-Jahre hatte Citroën den 2CV Sahara gebaut, ein kühnes Werk. Ein im Kofferraum eingebauter zusätzlicher Motor hatte die Ente herrlich geländetauglich gemacht, doch der Sahara war schwierig zu fahren und mindestens doppelt so anfällig wie ein gewöhnlicher 2CV. Nach gut 700 Exemplaren, die alle im Pariser Panhard-Werk zusammengebastelt worden waren, war dann leider Schluss. 1967 wurden die ersten Méhari von einer französischen Firma namens SEAB – spezialisiert auf Kunststoff-Basteleien – gebaut. Aufgebaut waren sie auf der Dyane 6. Dem Unterbau wurden 13 ABS-Komponenten übergestülpt. ABS ist ein leicht verformbarer, leicht zu färbender, aber auch leicht brennbarer Kunststoff, und noch manch ein Méhari (benannt nach Dromedaren, die von den Berbern gerne bei Rennen eingesetzt wurden) wurde ein Raub der Flammen. Ausserdem gab es eine wilde Dachkonstruktion, doch die hätte man sich von Anfang an sparen können, denn niemand fuhr den Méhari je geschlossen. Dafür gab es keinen Grund, denn mit Verdeck war er etwa so dicht wie ohne. Mal ganz abgesehen davon, dass er auch absolut besch…eiden aussah mit geschlossenem Dach, mehr wie ein Zelt auf Rädern als wie ein Automobil.

Zu Beginn seiner Karriere knatterte der Méhari mit 28 PS aus 602 ccm durch die Gegend, selbstverständlich geschöpft aus dem bekannten Zweizylinder-Boxerchen. Aber schon ein Jahr später wurde die Leistung heftig gesteigert: auf 28,5 Pferdchen. Auf den nächsten wilden Sprung, hoch auf fantastische 29 PS, musste der Méhari dann aber 10 Jahre warten. Die Fahrleistungen blieben über all die Jahre immer etwa gleich. Sie waren ob des noch schlechteren Luftwiderstandes noch schlechter als beim 2CV, aber 110 km/h waren möglich, und ausgewiesene Könner schafften es von 0 auf 100 km/h in weniger als 30 Sekunden. Das heisst: Falls die Abendsonne schien, der Fahrer Heimweh hatte und nicht mehr als 50 Kilo wog, und der Tank quasi leer war. Auch sonst war alles so, wie es bei einem 2CV-Derivat zu sein hatte. Geschaltet wurde über die Revolver-Schaltung, die auch einen guten Diebstahl-Schutz darstellte. Niemand ausser einem 2CV- oder Renault-4-Piloten konnte damit etwas anfangen. So ein Méhari war (und ist) 3,52 Meter lang, 1,53 Meter breit und (mit Dach) 1,63 Meter hoch. Und nur gerade 555 Kilo schwer. Stand so ein Méhari auf dem falschen Parkplatz, konnte man ihn einfach wegschaukeln. Aber Méhari wurden nur selten dort gefahren, wo man sich um ein mangelndes Angebot an Parkplätzen Sorgen machen musste.

Es sieht zwar so aus, aber die Bodenfreiheit des Méhari ist nicht grösser als beim 2CV. Er hat nicht den längeren Radstand, obwohl das auf den ersten Blick so erscheint; er ist im genau gleichen Masse geländetauglich wie eine Ente, also nicht besonders, denn bei Ausflügen ins gröbere Gelände rissen gerne die Antriebswellen ab. Was das Fortkommen dann grundsätzlich erschwerte, auch auf Asphalt. Anfangs gab es natürlich Trommelbremsen, 1978 bekam das Fahrzeug vorne dann Scheibenbremsen Die ersten Méhari waren Vier- oder gar Fünfsitzer, wie sich das für einen 2CV-Abkömmling gehört. Aber schon ab 1970 wurde er auch auch als Zweisitzer angeboten. Dies aus dem einfachen Grund, dass in Frankreich Zweisitzer mit Ladefläche als Lieferwagen galten und von der Mehrwertsteuer befreit waren. Das waren noch gute Zeiten, als die Automobilhersteller ihren Kunden aktiv dabei halfen, Geld zu sparen. Gleichzeitig wurden dem Méhari auch neue Frontlampen sowie ein neuer Frontgrill spendiert. Man konnte aber nicht behaupten, dass der Méhari dann moderner wirkte, solches war einst kaum je ein Beweggrund für Citroën. 1978 wurde dann am Grill nochmals nachgerüstet, aber das war es dann eigentlich schon mit den Auf- und Nachbesserungen am Méhari.

Schon ziemlich spät in seinem Leben erhielt der Méhari aber dann doch eine Neuerung, die für grosses Aufsehen sorgte, wenn auch vor allem in der Citroën-Gemeinde. Diesmal war es bestimmt das französische Militär, das den Anstoss gab. Man war Ende der 70er-Jahre nämlich auf der Suche nach einem neuen, leichten Geländewagen. Citroën baute einige Versuchsträger mit Allradantrieb, Scheibenbremsen an allen vier Rädern, einem leicht abgewandelten Rahmen für die Aufnahme der Kardanwelle, einem durchgehenden Unterbodenschutz und natürlich einer neuen Hinterachse. Das hintere Differential hatte eine Sperre, die sich aus dem Wageninneren bedienen liess. Das Getriebe war eine sehr spezielle Konstruktion: Es gab sieben Vorwärtsgänge, vier wie immer, dazu noch drei untersetzte plus einen ebenfalls untersetzten Rückwärtsgang. Den Kraftschluss besorgte eine Klauenkupplung an der Antriebswelle zu den Hinterrädern. Von aussen zu erkennen war der 4×4-Méhari am besten am Reserverad, das auf die Motorhaube montiert wurde. Zwischen 1980 und Juni 1982 wurden gerade einmal 1213 4×4-Méhari, bezeichnet als ACYE, gebaut. Nicht gerade ein Renner, obwohl das Teil Steigungen bis 70 Prozent erklimmen konnte, mehr eine Gemse war denn ein Renn-Dromedar. Legendär ist der Auftritt der 4×4-Méhari an der Rallye Paris-Dakar im Jahr 1980. Zehn Stück fuhren zur medizinischen Versorgung des Renntrosses mit, ausgestattet mit Bahren, Sauerstoffflaschen, Geräten zur Bluttransfusion; alle zehn erreichten Dakar, im Gegensatz zu einem Grossteil der Rennfahrzeuge.

Aber renntauglich, das war so ein Méhari nun wirklich nie. Die schon beim 2CV bedrohliche Seitenneigung in den Kurven erfahren die Passagiere im Méhari noch viel unmittelbarer, weil der Aufbau die Höhe eines Baby-Swimming-Pools hat und auch keinerlei Haltemöglichkeiten bietet. Einst gab es nicht einmal Türen. Zur Absicherung der vorderen Passagiere mussten Seile ausreichen. Doch auch mit den tellergrossen Dingern, die Türen sein wollen, ist die Gefahr gross, dass hin und wieder ein Passagier oder eine Beifahrerin verloren geht; der Fahrer kann sich ja wenigstens am Lenkrad festhalten. Gibt es Sicherheitsgurten? Gibt es nicht. Überhaupt möchte man mit einem Méhari nicht dringend in einen Unfall verwickelt werden, selbst ein Kinder-Dreirad stellt für den Franzosen eine ernsthafte Bedrohung dar. Doch Méhari zu fahren macht halt extremen Spass, nicht nur am Strand. Mehr an der frischen Luft kann man in einem Automobil eigentlich nicht sitzen. Irgendwie haben es die Citroën-Konstrukteure geschafft, dass Karosse und Frontscheibe den Wind nicht abhalten, sondern noch verstärken. Ohne Brille geht nichts mehr über 80 km/h, und einen Radio braucht man auch nicht – der Fahrtwind ist viel zu laut. Auf langen Strecken macht das keinen Spass. Auch wird man mangels Motorleistung nicht unbedingt die grosse Pässefahrt wagen wollen, doch für einen romantischen Ausflug an den See oder Fluss, da gibt es wohl kein cooleres Teil als einen Méhari.

Es waren übrigens sogar mehr als die eingangs genannten 144’953 Exemplare, die vom Méhari gebaut wurden. Die französische Armee erhielt auch 20’000 Stück, aber die zählen nicht als für den Strassenverkehr zugelassen. 5000 davon waren übrigens allradgetrieben, mit dem stärkeren Motor aus dem Visa ausgestattet und sind heute höchst begehrt. Überhaupt kosten die Méhari heute deutlich mehr als sie einst gekostet hatten. Und sie werden leider immer seltener.

Es ist dies ein weiterer Artikel zu: 100 Jahre Citroën.

Der Beitrag Citroën Méhari erschien zuerst auf radicalmag.