Fahrbericht Kia e-Niro
Die Demokratisierung der e-Mobilität
Es ist, als ob die Koreaner fast ein bisschen selber erschrecken ob ihres eigenen Mutes. Sie lächeln zwar, auch die Vorstellung des Produktes ist ziemlich vollmundig – und doch schauen sie etwas unsicher um sich, ob jemand vielleicht irgendeinen Fehler entdeckt, etwas, was sie übersehen haben könnten oder falsch gedacht. Denn eigentlich, das weiss Kia selber, ist der e-Niro fast zu gut, um wahr zu sein. Es werden quasi alle Vorurteile, die man bislang noch gegen ein e-Auto haben konnte – zu teuer, zu wenig Reichweite, zu wenig Platz – auf einen Schlag ad absurdum geführt; es kommen uns jetzt nicht viele Argumente in den Sinn, die gegen das koreanische Wunder sprechen. Ok, ganz günstig wird das alles schon nicht, einen offiziellen Preis gibt es noch nicht, aber man hört so sagen, dass der e-Niro in Frankreich ab 37’000 Euro angeboten werden wird (ohne Subventionen), dann darf man davon ausgehen, dass dies die Richtgrösse sein wird, für die Schweiz werden es sicher ein paar Tausender mehr sein. Sprich: man befindet sich in etwa auf der Höhe eines Nissan Leaf, kann aber schon noch so ein paar Pluspunkte bieten. Theoretisch lässt er sich auch mit 100 kW laden, der On-Board-Charger kommt aber auf nur 7,2 kW; da bleibt noch Luft nach oben.
Aber beginnen wir bei der Reichweite. Es wird zwei Versionen geben, die günstigere mit einer Batterie-Kapazität von knapp 40 kWh und einer Reichweite nach WLTP von 289 Kilometern, die grössere mit 64 kWh und einer Reichweite von beachtlichen 455 Kilometern (dies bei einem durchschnittlichen Verbrauch von 159 Wh/km). Das ist dann: gut, damit kann eine grosse Mehrheit der Automobilsten wohl bestens leben. Ok, allzu oft wird man ihn dann nicht in den vom Werk versprochenen 7,8 Sekunden von 0 auf 100 km/h hauen, aber bei unserer sicher nicht gemächlichen ersten Ausfahrt inklusive Autobahn kamen wir ganz in die Nähe des versprochenen Wertes, es wären gut über 400 Kilometer möglich gewesen, auch mit Klimaanlage. Es fährt sich übrigens auch ganz flott, es stehen umgerechnet 204 PS Leistung sowie ein maximales Drehmoment von 395 Nm zur Verfügung, da geht in Sachen Längsbeschleunigung so einiges. Wild in und durch die Kurven ist nicht so, da steht dem Kia seine doch beachtliche Höhe von 1,56 Metern halt auch etwas im Weg, zumal das Fahrwerk eher komfortabel ausgelegt ist. Das soll nun aber nicht heissen, dass man keine Fahrfreud’ haben kann im e-Niro, nein, er ist durchaus agil, lenkt präzis genug ein, bremst auch so, wie man sich das von einem modernen Fahrzeug gewohnt ist. Nun wird man ihn aber eh hauptsächlich so bewegen/bremsen, dass er optimal rekuperiert, und dafür stehen verschiedene Modi zur Verfügung – an die man sich herantasten muss, für sich selber herausfinden, was am besten passt. Lässt man ihn auf der heftigsten Stufe rekuperieren, dann wird die Fahrweise etwas ruppig, das wird dann wohl kaum alle Passagiere begeistern.
Womit der Koreaner aber wohl am meisten überzeugen kann, ist seine volle Alltagstauglichkeit. Es gibt einen sehr anständigen Kofferraum, 451 bis 1405 Liter, auch die hinteren Passagiere sitzen anständig – und es gibt alles an Assi-Systemen und Sicherheitsfeautures, was heute bei e-Fahrzeugen möglich ist, also auch halbautonomes Fahren auf Level 2. Es soll dies im Alltag geniessen, wer mag, wir geben jeweils nach ein paar Minuten auf; Spass macht das ja alles nicht, ausser vielleicht, wenn man im Stau steht. Was ja dann ein Widerspruch in sich selber ist. Im so stillen Elektro-Auto werden sich aber gute HiFi-Anlagen in neue Höhen schwingen können, im e-Niro kommt ein JBL-System zum Zug, das wahrscheinlich nicht ganz günstig ist, aber einen sehr sauberen Klang vermittelt. Ansonsten ist die Bedienung so problemfrei wie bei einem Kühlschrank. Würde Kia nun noch etwas besser auf die Einheit der Materie achten beim Verarbeiten der unterschiedlichsten Formen von Plastik im Interieur, dann wäre das alles halt: schöner. Das Design, tja, der Koreaner ist ein SUV oder Crossover, das hat ja derzeit bekanntlich seine Vorteile an der Verkaufsfront. Und es ist sicher kein Grund, den e-Niro nicht zu kaufen.
Man darf Kia wirklich loben für den e-Niro – es ist dies ein e-Auto, das hervorragend in die Modell-Palette noch so vieler Hersteller passen würde. Aber gerade in Deutschland gibt es solches nicht, und man wird sicher auch noch länger gedulden müssen – und ob es dann zu kundenfreundlichen Preis angeboten werden kann von deutschen Herstellern, das muss sich auch noch weisen. Die Koreaner werden aber in der Zwischenzeit nicht schlafen, der Niro ist eh schon das einzige Fahrzeug im Segment, das in allen nur erdenklichen Elektrifizierungsvarianten erhältlich ist – die Zeit des Kopierens ist endgültig vorbei, man spielt jetzt Vorreiter. Derzeit wird auch geprüft, ob es den neuen Ceed auch als reines Elektro-Auto geben wird.
(Nein, «radical» steht der e-Mobilität nicht uneingeschränkt positiv gegenüber, siehe auch: hier.) Mehr Kia haben wir in unserem Archiv.
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