When the shit hits the fan
Ford GT40 (4)
Es war ein komplettes Desaster. Die Sonne war noch nicht untergegangen über Le Mans an diesem 19. Juni 1965, als der Ford GT40 mit der Startnummer 15 mit Maurice Trintignant/Guy Ligier mit seinem Ford GT40 an die Box fuhr: Getriebe-Probleme. Kurz darauf kam die Startnummer 7 von Bob Bondurant/ Umberto Maglioli an die Box: Zylinderkopfdichtung. Es folgte fast zeitgleich die Startnummer 6 von Herbert Müller/Ronnie Bucknum, ebenfalls die Zylinderkopfdichtung. Eine Stunde später: Startnummer 1 von Ken Miles/Bruce McLaren, Getriebe. Um zehn Uhr abends: Startnummer 14 von Sir John Whitmore/Innes Ireland, Zylinderkopfdichtung. Und noch vor Mitternacht: Startnummer 2 von Phil Hill/Chris Amon, wieder Getriebe.
Die beste Platzierung eines Fahrzeugs «powered by Ford» schaffte eine Cobra, Jack Sears/Richard Thompson kamen auf den 8. Rang. Mit mehr als 600 Kilometer Rückstand auf die Sieger Masten Gregory/Jochen Rindt auf ihrem Ferrari 275 LM. Platz 2? Ferrari. Platz 3? Ferrari. Kleine Randbemerkung zum Sieger-Fahrzeug: dieses war nicht von Ferrari gemeldet, sondern vom amerikanischen Importeur Luigi Chinetti – Enzo Ferrari tobte. Und: es gab da noch diesen unbekannten Dritten in diesem Wagen, Ed Hugus. Er war nicht gemeldet, er fuhr offiziell auch gar nicht mit, aber er tat es halt doch. Weil Jochen Rindt nicht in der Box war, als der stark kurzsichtige Gregory Rauch in die Augen bekommen hatte, setzte sich Hugus einfach den Helm von Gregory auf, fuhr seine zwei Stunden, tat, als ob nichts geschehen wäre – und blieb der «unbekannte Dritte» bis 2005, als er in einem Brief die ganze Geschichte öffentlich machte.
Aber zurück zu Ford. Schon am Montag nach dem 24-Stunden-Rennen von Le Mans von 1964 stand ein grosser Mann mit strengem Blick in Slough: Leo Beebe. Beebe war die rechte und linke Hand von Henry Ford II, er sah gemäss John Wyer aus wie ein «evangelischer Missionar», und er sprach nicht viel. Er verlangte von Wyer ganz einfach, dass alles besser werde. Sofort. Und er hatte auch einen klaren Vorschlag mitgebracht aus Dearborn: 427 cubic inch. Wyer griff sich an den Kopf, erklärte Beebe, wie das Leben so ist auf der Rennstrecke. Denn ein solcher Motor, allein schon über 300 Kilo schwer, würde den GT40 auf über 1500 Kilo bringen. Dafür müsste man ein komplett neues Auto bauen – und Bremsen, die ein solches Gerät entschleunigen könnten, gab es auch nicht. Hirnverbrannt sei das. Beebe lächelte grimmig – und rief wenige Tage in Los Angeles einen Mann an, der die Probleme von Ford lösen konnte: Carroll Shelby. Und schon kurz darauf stand ein erster GT40 in der Garage von Shelby.
Und nun kommt ein weiterer Mann ins Spiel, der viel zur Geschichte des Ford GT40 beigetragen hat: Ken Miles. 1964 war der Engländer schon 46 Jahre alt, ein erfahrener Rennfahrer, der auch schon einige Erfolge gefeiert hatte, doch in erster Linie ein Ingenieur, der wusste, von was er sprach und um was es ging. Nachdem er mit dem GT40 einige Runden auf dem Riverside Raceway gedreht hatte, stieg er aus, wandte sich an Shelby, sagte:
– Das Auto ist grauenhaft.
Am 27. Januar 1965 verkündete Leo Beebe der Presse, dass Carroll Shelby die Verantwortung über das Rennprogramm von Ford übernehmen werde. Und schon im Februar belegten die von Shelby aufbereiteten Ford bei den 2000 Kilometern von Daytona, dem damals wichtigsten Langstrecken-Rennen in den USA, die Ränge 1, 2, 3, 4 und 5.
Das Projekt Le Mans nahm nun eine eigenartige Dynamik an. Während Shelby und Miles daran arbeiteten, den GT40 zu verbessern (und auch standfester zu machen) und Wyer immer noch beleidigt war, hatte sich Roy Lunn heimlich einen der 7-Liter-Motoren beschafft. Und ihn von Kar Kraft in einen GT40 einbauen lassen. Was so einfach nicht war, das ganze Fahrzeug musste umgebaut werden. Niemand weiss so ganz genau, wie das kleine Team um Lunn bei Kar Kraft das schaffte, doch Anfang Mai stand der erste Prototyp bereit. Und als Ken Miles diesen zum ersten Mal fahren durfte, meinte er danach ganz nüchtern:
– Mit diesem Fahrzeug will ich in Le Mans antreten.
Bloss, dass die Vorbereitungszeit bei weitem nicht reichte. Siehe oben.
Einen Monat nach dem katastrophalen Rennen, das Henry Ford mindestens 6 Millionen Dollar gekostet hatte, sassen Don Frey, unterdessen Ford-Chef, Leo Beebe und Carroll Shelby im Büro von «the Deuce». Er schaute jedem tief in die Augen, verteilte Namensschildchen, auf denen unter dem Namen stand: «Ford wins Le Mans in 1966». Dann sagte er:
– Jedem von Euch wurde der Arsch gewischt.
Und dann sagte er auch noch:
– Wenn ihr nächstes Jahr noch einen Job haben wollt, dann wisst ihr jetzt, was ihr zu tun habt.
Das war der Moment, sagte ein Ford-Mitarbeiter später, «when the shit hit the fan». (Und ja, Henry Ford II sprach tatsächlich so – er war wohl der letzte grosse Diktator in der Auto-Industrie.)
Es begann schon im August 1965 ein Test-Programm, wie es die Welt noch nie gesehen hatte. Hätte Carroll Shelby gewünscht, dass das Getriebe vergoldet wird, Ford hätte es ihm vergoldet. Ken Miles war buchstäblich Tag und auch Nacht auf der Rennstrecke unterwegs, testete, testete, testete. Zwar wurden Motor und Getriebe immer standfester, doch die Bremsen waren immer noch ein Problem, vor allem die Bremsflüssigkeit, die zum Überhitzen neigte. Die 24 Stunden von Daytona, die 1966 zum ersten Mal rund um die Uhr stattfanden, gewannen Ken Miles/Lloyd Ruby locker. Aber Ferrari war nicht angetreten. Miles/ruby gewannen auch die 12 Stunden von Sebring, allerdings starb der GT40-Pilot Bob McLean bei diesem Rennen (und ausserdem vier Zuschauer); Ferrari war mit dem neuen 330 P3 angetreten, hatte aber nach Getriebeproblemen aufgeben müssen. Im April bei den Testtagen in Le Mans starb GT40-Fahrer Walt Hansgen nach einem tragischen Unfall; John Surtess auf seinem Ferrari P3 hatte die schnellste Zeit gefahren. Es blieben noch zwei Monate bis Le Mans 1966.
Teil 1: hier.
Teil 2: hier.
Teil 3: hier.
Mehr Ford: im Archiv.
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