40 Jahre VW Golf GTI
Happy Birthday
Es stand nicht gut um Volkswagen, Ende der 60er-Jahre. Der Käfer hatte seine besten Zeiten längst hinter sich, und alles, was Wolfsburg als mögliche Nachfolger des Typ 1 konstruiert hatte, ging mächtig in die Hose. Seit 1970 wurde aber an einem komplett neuen Fahrzeug gearbeitet – nichts mehr war mit luftgekühlten Heckmotoren, es gab Frontantrieb und einen ganz anderen Namen: Golf. Doch es war Anfang der 70er-Jahre auch die Zeit der Ölkrise und der Sonntagsfahrverbote, und so beschloss Wolfsburg, dass 70 PS der Gipfel des Vergnügens beim neuen Modell sein sollten. 1974 wurde der Golf dem Publikum vorgestellt. Er war von Anfang an ein Erfolg.
Doch es gab bei Volkswagen eine Gruppe von Ingenieuren, denen waren die 70 Pferdchen einfach zu wenig. Schon 1973, noch bevor der Golf vorgestellt wurde, hatte Alfons Löwenberg ein paar enthusiastische Ingenieure um sich geschart, die dem neuen Golf das Fliegen beibringen wollten. Sie bastelten in der Freizeit, und ihre «Entschuldigung» war, dass sich mit einem stärker motorisierten Modell die Grenzen des Fahrwerks besser ausloten liessen. Weil der neue Golf sich weit besser verkaufte, als VW in den kühnsten Träumen erwartet hatte, war auch mehr Geld in der Kasse, und die Konzernleitung interessierte sich plötzlich für den verstärkten Golf aus der Versuchsabteilung. Im November 1974 gaben die VW-Bosse grünes Licht für die weitere Entwicklung, bei der es vor allem um eine neue Einspritzanlage (K-Jetronic von Bosch, schon 1975 im Audi 80 GT/E eingesetzt) ging, welche die Leistung auf 110 PS brachte. Aber es war schon ein feiner Motor, für damalige Verhältnisse. Die Verdichtung wurde von 8,2:1 auf 9,5:1 angehoben (darum brauchte der GTI dann unbedingt Super), grössere Einlassventile gab es und einen grösseren Ölkühler, einen nach dem Heron-Prinzip in den Kolben verlegten Brennraum.
Im September 1975 erlebte der Golf GTI – «GT» für Gran Turismo, «I» für Injection, Einspritzung – auf der IAA in Frankfurt seine Weltpremiere. Bis aber die ersten Serienmodelle vom Band liefen, wurde es Juni 1976. Doch was die Kunden für damals 13’850 Mark erhielten, war eine kleine Sensation: Mit einem Leergewicht von 860 Kilo – andere sagen: 810 Kilo – schaffte der Sport-Golf den Sprint von 0 auf 100 km/h in nur 9,2 Sekunden. Die Höchstgeschwindigkeit lag bei damals fantastischen 180 km/h. Also, das waren die Werksangaben. Im Test der «Automobil Revue» (Ausgabe 32/1976) waren es dann 10,2 Sekunden für den Sprint, die Höchstgeschwindigkeit lag bei 183 km/h (bei 6200/min im 4. Gang). Erkennbar war der GTI an der Gummispoilerlippe, statt Chrom trug er Mattschwarz, innen gab es karierte Sportsitze. Und natürlich den berühmten Schaltknauf in der Optik eines Golfballs. Allerdings hatten gerade die erste GTI-Serie Mühe, die versprochenen Fahrleistungen zu erreichen. Es waren nur selten echte 110 PS, die der 1,6-Liter-Vierzylinder zu entwickeln vermochte.
Wir hatten kürzlich das Vergnügen mit so einem GTI aus der ersten Serie, einem Fahrzeug aus der Sammlung des Schweizer VW-Importeurs, der Amag. Selten sind sie geworden, frühe und doch saubere GTI, viele wurden verbastelt, getunt, von der Strasse geworfen, um einen Baum gewickelt oder litten an zu heftigem Rostfrass. Doch dieses Exemplar glänzt in schönem, echtem Rot, die Sitze sind fast wie neu, es hat zwar da und dort Gebrauchsspuren, doch der Wagen ist in einem erfreulich guten Zustand. Einziger Schönheitsfehler: die billigen Gislaved-Reifen, 175/70er zwar, aber nur kleine 13 Zoll gross.
Innen, da ist viel Plastik, billiger Plastik. Himmel – da müssen den Haptik-Fetischisten von Volkswagen heute die Augen tränen, wenn sie das sehen. Und riechen. Wir staunen vor allem über die Blinker- und Scheibenwischer-Hebelchen. Wie konnten diese die vergangenen 35 Jahre überleben? Und fast ein bisschen verdrängt hatten wir das Lenkrad, das damals den Übernamen «Spucknapf» trug, weil es in der Mitte, eben, einen Spucknapf hat. Die Sitze sind dünn, der Seitenhalt mässig – bequem ist anders, und beim etwas sportiveren Angasen herrscht Rutschfest. Aber das Cockpit ist sehr übersichtlich, halt auch mangels Schnickschnack; der Tacho geht bis 220 km/h. Das sorgte damals bei den kleinen Buben für grosse Augen. Und auch die Bedienung ist auf Anhieb klar, weil es gar nichts gibt, was unklar sein könnte.
Erstaunlich sind die Platzverhältnisse. Dabei ist das Auto doch nur 3,7 Meter lang. Was ist denn falsch gelaufen in den vergangenen Jahren, dass ein neuer Golf VII mehr als einen halben Meter mehr misst, aber trotzdem nicht mehr Platz bietet? Auch gegen oben ist alles gut. Kopffreiheit heisst das, und rechts wird das Fahrerknie noch nicht von einem Riesentrumm von Mittelkonsole eingeengt. Die Scheiben dreht man von Hand nach unten. Und oben. Wie es sich für einen «alten» Volkswagen gehört, müssen die Türen mit Schwung geschlossen werden. Und dann hat man auch gleich ein wenig Angst, dass sie abfallen. Oder sich verbiegen. Denn dünn sind sie, die Türen, und sehr dünn ist das Blech. Damals gab es halt noch keine Seiten- und sonstigen Airbags. Aber es passten auch keine anständigen Lautsprecher in die Fahrertür, daran kann ich mich noch erinnern. Man musste die Hutablage zweckentfremden. Oder gleich den ganzen Kofferaum.
Das Fahrerlebnis ist toll. Echt – eine Freude. Natürlich sind 110 PS jetzt nicht gerade das, was heftig in den Sitz drücken würde. Theoretisch würde der Vierzylinder ja bis 6100/min drehen, doch so ab 5000 wird er unwillig. Aber solche Drehzahlorgien sind auch gar nicht nötig. Er zieht eigentlich ganz schön aus dem Keller (obwohl er sein maximales Drehmoment von gerade einmal 137 Nm erst bei 5000/min erreicht). Auch wenn es natürlich nicht so ist, wie einst ein geflügeltes Wort im Zusammenhang mit dem GTI hiess: «Nimmt Gas an, wenn man nur mit dem grossen Zeh wackelt.» Dafür soll er auch nicht viel gebraucht haben. Acht Liter im Schnitt (im erwähnten AR-Test waren es dann aber 10,2 Liter). Auch da fragt man sich: Wo bleibt der Fortschritt? Wobei es halt so ist, dass ein moderner Golf auch knapp über 800 Kilo wiegt, allerdings zwischen Vorder- und Hinterachse.
Das Getriebe hat klassische vier Gänge, die Schaltwege erscheinen ewig lang, doch es geht gut – man fährt weniger hektisch, weil man gar nicht dauernd schalten kann. Denn, eben, man bewegt etwas über 800 Kilo (plus den Fahrer), das ist halt allgemein lockerer, fröhlicher als so ein 1,5-Tonnen-Panzerchen. Das gilt übrigens nicht für die Bremsen. Die sind eher schwach. Da sind wir uns heute ganz andere Verzögerungen gewohnt. Aber da passt man dann halt den Fahrstil an. Das geschieht auch deshalb automatisch, weil man am Lenkrad ziehen und drehen muss wie ein Esel; Arbeit ist es, aber schöne.
Das Fahrwerk erträgt erstaunlich viel. Wobei der GTI natürlich ein gnadenloser Untersteurer ist und wilde Seitenneigung entwickelt in den Kurven. Dies trotz zusätzlicher Stabis. Aber das tut dem Fahrspass keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil: Man kommt an die Grenzen des GTI schon in Geschwindigkeitsbereichen, bei denen man noch nicht mit beiden Beinen im Gefängnis steht. Damals, als wir noch dachten, wir seien die wildesten Hunde auf Erden (ich habe auf einem solchen GTI fahren gelernt), da gingen wir vielleicht etwas mehr ans Limit, als wir es jetzt mit dem 35jährigen Exemplar tun wollen. Aber so richtig schnell war es halt doch nicht, damals; zumindest bei weitem nicht so schnell, wie es unsere eigenen Legenden erzählen. Aber er ist laut, der Golf, und ein wenig ungehobelt. Man muss das Radio schon ziemlich aufdrehen, wenn man Boney M. hören will. Und Boney M. wird ja irgendwie nicht besser, nur, weil man es laut hört. Also stellt man das Radio wieder ab. Dann hört man dafür umso besser, wie der Golf ächzt und stöhnt und knirscht. Haben wir das damals eigentlich nicht gehört, oder sind das Alterserscheinungen?
Die VW-Bosse hatten eine Sonderserie von 5000 Stück geplant von der ersten Serie des Golf GTI. Doch sie hatten sich sanft verschätzt: Bis 1981 sollten es 461’690 Exemplare werden. Mehr VW haben wir im Archiv.
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