Zukünftige Klassiker: Lamborghini Gallardo
Nie war er besser
Ein Tränchen vielleicht? Nein, so schlimm ist es dann doch auch wieder nicht. Doch als ich da vor diesem silber-grauen Gallardo stehe, an einigen Accessoires und dem riesigen Heckflügel als Squadra Corsa zu erkennen, da bin ich schon ein wenig gerührt. Darob, dass uns Lamborghini nochmals einen Gallardo gibt für eine Woche, obwohl der längst offiziell schon für tot erklärt wurde. Und auch deswegen, weil dies wohl meine letzte Ausfahrt wird in einem Auto, das ich und das mich über die vergangenen fast zwanzig Jahre begleitet hat. So vergeht die Zeit. Das stimmt nicht immer nur fröhlich.
Nein, wir waren nicht immer nur freundlich zu Lamborghini: «Natürlich hat so ein Lamborghini auch immer etwas Halbstarkes. So Typus: Lederjacke mit Fransen. Oder eher sogar etwas: Zuhälterhaftes, Sie wissen schon, das Hemd mindestens zwei Knöpfe zu weit offen für diese offensive Menge an Körperbehaarung, die Hose nicht nur am Knöchel zu eng, die dicke Goldkette am fitness-studio-gestählten Arm. Zu laut – vorlaut? – ist so ein Lambo, zu penetrant, zu aufdringlich, fast so ein bisschen: notgeil. Lamborghini-Fahrer werden oft als Lotto-Gewinnler wahrgenommen, oder Midlife-Crisis-Verlierer, oder haben sonst einen nicht nur seriösen Beruf. Es braucht einen ganzen Berg an Selbstvertrauen, um sich gegen solche Klischees behaupten zu können.» Aber jetzt: Squadra Corsa. Eine der 32 Versionen, die Lamborghini vom Gallardo gebaut hat; gegen Ende der Karriere gab es fast mehr Sondermodelle als Kunden. Mit 570 PS, also dem stärksten Motor, und 1340 Kilo Leergewicht, also der wohl leichtesten Variante, ist dieser Squadra Corsa so etwas wie die Quintessenz aus zehn Jahren Gallardo-Geschichte. Ok, so ganz persönlich: der nur heckgetriebene «Balboni» ist noch so ein bisserl bescheuerter, und auch die offenen Gallardo haben noch dieses zusätzliche gewisse Etwas. Und ja, dieser Zehnzylinder, eigentlich eine Fehlkonstruktion, zu teuer in der Produktion, zu schwer, anfangs auch anfällig, doch er machte dann über die Jahre Karriere, bescherte auch ein paar RS-Modellen von Audi ihre besten Momente.
Aber, was wir dann in den nächsten Tagen erleben werden: nie war der Gallardo besser als jetzt, wo es ihn nicht mehr gibt. Vor allem in Sachen Qualität ist man in Sant’Agata dort angekommen, wo man schon vor Jahren hätte sein müssen. Die Gallardo, die wir in der Vergangenheit fahren durften, haben immer irgendwelche Geräusche gemacht, die sie nicht hätten machen sollen, und einst war auch nicht alles so sauber verbaut, vernäht, versteckt, wie das hätte sein können. In diesem Squadra Corsa aber: sauber, bestens. Und nichts knackt oder ächzt. Und: Alcantara allerorten. Das ist gut, das gibt Rennsport-Feeling. Das kleine, aber nicht zu kleine Lenkrad steht irgendwie verquer im Raum, aber das ist ok. Und diese langen Dödels, also: Schalt-Paddels, wunderbar. Auch deshalb, weil sie stehenbleiben.
So muss das sein, meiner Meinung nach, man muss so gewisse Punkte haben im Leben, die anzeigen, wo man gerade so ist. Sie fühlen sich ausserdem gut an, sind so ein bisschen: kühl. Das braucht man dann, wenn die Situationen brenzlig werden. Die Sitze sind genial, dünn, hart, man sitzt wie festgeschraubt. Und man sitzt so unglaublich tief, man hat dauernd ein bisschen Angst, der Allerwerteste könne sich an einem scharfen Kieselstein ritzen. Aber diese tiefe Sitzposition hat auch ihre Vorteile, natürlich den tiefen Schwerpunkt, und eben dieser Allerwerteste scheint irgendwie besser mitzubekommen, was da so abgeht. Was gut ist im Squadra Corsa: kein Radio, kein Navi. Man kann wieder einmal mitdenken, es lenkt der Arsch, nicht eine dröge Frauenstimme.
Die einigermassen ständesgemässe Bewegung eines Lamborghini ist in der Schweiz, schreiben wir mal: schwierig. Wobei wir unter standesgemäss selbstverständlich nicht verstehen, den linken Arm samt Goldkette aus dem Fenster hängen zu lassen und das Brusthaar im zu weit offenen Hemd zu lüften und die thai-gefakte Sonnenbrille im Schritttempo vor Diskos und Baren spazieren zu führen, sondern. Doch wir wohnen ja auf dem Lande, und wir kennen da die eine oder andere Gasse, welche der uniformierte Freund und Helfer höchst selten frequentiert, wahrscheinlich nicht einmal kennt oder nur in Begleitung eines Kampfhundes heimsucht, und wenn man da bei X rechts abbiegt und kurz darauf wieder links, dann kommt man in ein hübsches, kaum bewohntes Tal, wo man auf feinem Asphalt und durch gewundenes Geläuf dann durchaus auch einmal mit 80+ gleiten kann. 12 Kilometer, zurück dann also 24, und back and forth and back and forth, da kommt dann schön was zusammen in zwei Stunden.
Es wird laut. Sehr, sehr – sehr laut. Der 5,2-Liter-V10 saugt selbstverständlich frei, er ist schon unter 4000/min kein Kind von Traurigkeit, darüber beginnt er zu kreischen – und wenn man ihn ausdreht, bis 8000/min, dann ist da ein bisserl: Inferno. Trompeten von Jericho. Im Tal kommt dieser Lärm besonders gut, und man bewegt ihn gerne so zwischen 5500 und 7500/min – auch deshalb, weil man den Schaltvorgang ein bisserl fürchtet. Denn da ist noch immer dieses eigenartige automatisierte Getriebe, bei jedem Gangwechsel nicken die Insassen. Aber die Schaltzeiten wurden über die Jahre derart verkürzt, dass keine Nackenschmerzen mehr auftreten, auch nach längeren Ausfahrten nicht.
Natürlich geht man auf öffentlichen Strassen nicht ans Limit oder auch nur in die Nähe davon, ausser vielleicht mit einem Nissan Micra. Aber auch wenn man jetzt nicht das ganze Potenzial einfordert, man merkt schon: fahrdynamisch bewegt sich der Gallardo auf einem sehr anständigen Niveau. Bretterhart ist er, doch er will trotzdem alleweil am Boden bleiben – er frisst sie geradezu, die Strasse. Auch wenn man mit etwas Überschuss in die Kurve kommt, warumauchimmer, undoder zu früh auf den Pinsel geht, er schiebt kaum, weder hinten noch vorne; dem Allradantrieb seis gedankt, und auch den elektronischen Helferlein, über die so ein Gallardo selbstverständlich auch verfügt. Wir haben sie dann fast ganz deaktiviert, aber auch dann: man muss schon fast mutwillig etwas falsch machen, um den Squadra Corsa aus seiner Spur zu bringen. Feine Bremsen, schön dosierbar – und wenn es sein muss, dann packen sie so richtig grob zu. Als ob man in einen Wand fährt. Es bewahrheitet sich wieder einmal: geringes Gewicht ist alles. Punkt. Jede Menge Carbon ist am Squadra Corsa verbaut, auch der riesige Heckflügel besteht aus diesem teuren Material.
Was man dann auch merkt: der Gallardo, 4,39 Meter lang, 1,9 Meter breit und 1,17 Meter hoch, ist ein kompaktes Auto. Vor 10 Jahren erschien er uns mächtig, doch unterdessen ist viel passiert, jeder Golf ist grösser, doch der Gallardo: deutlich kürzer als ein 911 ist er, und auch kaum breiter (und, äh, 350 Kilo leichter als 911 Turbo S…). Ich kann mich erinnern an erste Ausfahrten, vor zehn Jahren, Blut und Rotz habe ich geschwitzt, weil ich ja gar nix sah, weder vorne noch hinten sowieso nicht. Vielleicht hat es auch etwas mit Gewöhnung zu tun. An den Sound werde ich mich nicht gewöhnen, aber so ist das wohl mit der Schwärmerei, der Verliebtheit. Es soll tatsächlich Menschen geben, die kaufen ihre Fahrzeuge nur nach Gehör. Ich habe Verständnis.
Und einfach, weil wir das einst so hübsch geschrieben haben, nochmals: «Es geht um Musik, eine kurze, vielleicht fünf Sekunden währende Momentaufnahme, um Rolling Stones meets AC/DC, um einen schlecht gelaunten Mick Jagger, der zusammen mit einem noch schlechter gelaunten Angus Young eine Art Urschrei des Heavy Metal produzieren will. Morgens nämlich, wenn der Lambo-Motor noch völlig kalt ist, über Nacht in sich selber ruhen durfte, um dann mit einer kurzen Drehung des Zündschlüssels zum ersten Mal wieder zum Leben zu erwachen, genau dann und nur dann, kreischen die Trompeten von Jericho.»
Und deshalb mache ich dann auch noch einen Ausflug über die Grenze, gen Norden. Und da kann er es halt auch: edel. Einverstanden, er geht wie die Sau. Doch das reicht auf deutschen Autobahnen ja unterdessen nicht mehr, bis 250 machst Du auch im Lambo alle diese fetten Diesel-Kombis nicht so richtig nass. Aber: der Gallardo hat ein richtig scharfes Überhol-Pretsige, die Opel und Förder und Gölfer werfen sich förmlich von der Gasse, und auch die sonst so beinhart rechts verweilenden BMW sowie, noch viel beinhärter: Audi zucken ebenfalls vor lauter Ehrfurcht links rein. Und wenn man den Gallardo einmal im Fluss hat, der Tacho über 300 eilt, dann kann Dich nichts stoppen, zwei Porsche hab ich vernudelt. Ausser vielleicht: die Tankuhr. So einfach mal über den Daumen gerechnet sind 70 Liter für knapp über 200 Kilometer – ein bisserl viel. Wtf. Die grosse, böse Biegung dann auf dem Heimweg in Richtung Schaffhausen, die ein bisschen zumacht, die ging mit Tacho 280; das habe ich noch nicht gewagt bisher.
Es gibt noch einige wenige Squadra Corsa zu kaufen, auch in der Schweiz. Zwar kommt ja dann bald der Huracan als Nachfolger, der dann mit 610 PS und endlich einem Doppelkupplungsgetriebe, doch diese letzten Gallardo sind unbedingt eine Alternative. Und ein Squadra Corsa dürfte über die Jahre sogar im Preis zulegen, er hat auf jeden Fall das Zeug zum Sammlerstück. Tja, dann also: bye bye, Gallardo. Wir waren nicht immer Freunde, ich hab Dich manchmal belächelt, aber jetzt, als Squadra Corsa, da bist Du ein wirklich feiner Kerl geworden. Immer noch ein bisserl aufdringlich, immer noch eine zu grosse Klappe, aber unterdessen kannst Du Dir das auch leisten. Es ist vielleicht wie so oft im Leben: erst wenn man etwas nicht mehr hat, merkt man dann auch, was es einem wert war. Du hast abgenommen über die Jahre, das kann sonst kaum ein Fahrzeug behaupten, bist hübscher geworden, ziehst Dich besser an. Und Du hast Charakter, etwas, was den meisten Wagen leider abgeht.
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