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Test Kia Niro PHEV

Published in radical-mag.com

Von Nutzerprofilen und Sonderfällen

Vielleicht sind tatsächlich die Plug-in-Hybriden die (derzeit) beste, sinnvollste Lösung.

Doch wir wollen, müssen anders beginnen. Zuerst geht es um Nutzerprofile. Dazu braucht es ein paar Zahlen: Im Schnitt werden Automobile in Mitteleuropa etwa 25 Kilometer pro Tag bewegt. Davon entfallen deutlich weniger als 50 Prozent auf den Arbeitsweg, wichtigster Verwendungszweck ist: die Freizeit. Jede zehnte Fahrt geht weniger weit als einen Kilometer, rund ein Drittel aller Fahrten führen über weniger als drei Kilometer. Über die letzten drei Punkte (und auch darüber, dass mehr als ein Drittel des gesamten Jahresmobilität von Herr und Frau Schweizer auf Flugreisen entfällt) könnte man sich nun so einige Gedanken machen, aber das wollen wir hier nicht tun, sondern uns auf ein Fahrprofil eines durchschnittlichen Automobilisten beschränken. Weil ja nun nicht alle Autos an allen Tagen bewegt werden, kommt man auf eine automobile Tages-Mobilität von weniger als 40 Kilometern, inkl. Arbeitsweg, Einkaufen und Freizeit. Das bedeutet: mit einem Fahrzeug, das diese 40 Kilometer rein elektrisch zurücklegen kann, könnte der individuelle Mobilitätsbedarf theoretisch gedeckt werden. Ein vernünftiges E-Auto sollte auf einen Verbrauch von maximal 20 kWh auf 100 Kilometern kommen, sprich: für 40 Kilometer müsste eine 10-kWh-Batterie ausreichen. Ein solcher Akku ist in der Herstellung noch so einigermassen vernünftig (ca. 1,5 bis 2 Tonnen zusätzliche CO2-Belastung), das Gewicht könnte sich in sehr engen Grenzen halten (eine solche Batterie wiegt derzeit etwa 100 Kilo). Nicht einmal über das Laden einer solchen Batterie muss man sich wirklich Gedanken machen, auch an einer normalen Haushaltssteckdose ist der Akku nach spätestens vier Stunden wieder voll.

Daraus könnte sich nun ergeben, dass der durchschnittliche Mobilitätsbedarf von einem kleinen, leichten E-Auto gedeckt werden könnte. Ein solches ist aber nicht auf dem Markt, aus welchen Gründen auch immer (aus welchen eigentlich?). Denn es gibt ja eben auch noch: die Sonderfälle. Das heisst: alle Fahrten, die über diese durchschnittlichen 40 Kilometer hinausgehen. Im modernen Leben sind ja die Ausnahmen die Regel – und folglich will der Mensch mehr. Vor allem: mehr Reichweite. Das suggeriert Unabhängigkeit – eines der primären Ziele der individuellen Mobilität. Und deshalb gibt es E-Automobile mit riesigen Akkus. Und auch Plug-in-Hybride wie den Kia Niro PHEV. Der mit seiner 8,9-kWh-Batterie, einer theoretischen rein elektrischen Reichweite von 65 Kilometern sowie dem 1,6-Liter-Benziner eigentlich wie geschaffen scheint für den «Durchschnitt» mitsamt seinen Sonderfällen.

Eigentlich? Die 65 Kilometer rein elektrisch haben wir nie auch nur annähernd erreicht, 41 Kilometer waren im Dezember/Januar das Maximum – und die 37 Kilometer im Schnitt sind dann unter dem Durchschnitt. Nun kommt es sehr stark darauf an, wie die Sonderfälle im Nutzerprofil gelagert sind – und wie oft sie in Anspruch genommen werden müssen. Wer einmal die Woche noch Bern-Zürich-Bern fahren muss oder samt Familie einmal im Monat ins Ferien-Häuschen im Tessin flieht, für den macht so ein PHEV – wahrscheinlich – Sinn. Keine Langstrecke: ein kleines E-Auto. Mehr Langstrecke: Diesel. Am besten wäre, so man denn Platz hat und die finanziellen Mittel: ein kleiner Stromer für den Alltag, ein anständiger Diesel für die grösseren Reisen. Je länger wir darüber nachdenken (und sie im Alltag bewegen), desto weniger sind wir der Überzeugung, dass es E-Dings mit den überdimensionierten Akkus braucht; sie sind zu schwer, sie sind zu wenig effizient, es ist da zu viel «graue» Energie, es ist insgesamt zu unübersichtlich, wie denn die Gesamtenergiebilanz aussieht. Aber für die PHEV besteht in dieser Rechnung – eigentlich – auch nur ein ganz schmales Band an passenden Nutzerprofilen.

Der Kia Niro PHEV hinterlässt uns aber auch in noch so manchen Bereichen ziemlich: ratlos. Zum Beispiel: Er ist des frühen, kalten Morgens voll geladen, man nimmt ihn vom Strom, setzt sich rein, legt den Rückwärtsgang ein – und der Verbrenner springt sofort an. Warum bloss, die CO2-Bilanz wird ein solcher Kaltstart nicht wirklich verbessern. Dann fährt man auf der deutschen Autobahn, sagen wir mal: 140 km/h – und plötzlich, ohne Grund, schaltet der Kia einen Gang runter, verharrt dann da, dröhnende 4000/min – und der Pilot hat keine Ahnung, weshalb. Er schaltet auch nicht hoch, wenn man dann langsamer wird – ist er vielleicht am rekuperieren? Und wenn ja: warum? Die Steigung von Egerkingen zum Belchen-Tunnel schafft der Kia ohne E nicht mit 120 km/h – und das ist eine Tragödie, unser 35-jähriger Lancia Y10 mit seinen 45 PS packt das nämlich. Und apropos der 35-jährige Lancia: der verbraucht etwas über 5 Liter auf 100 Kilometern. Der über 1,6 Tonnen schwere Kia liegt bei über 8 Litern, wenn man ihn ohne Strom bewegt – wir fragen uns, wo da ganz genau der Fortschritt liegen soll. Und warum es nicht möglich sein kann, ein ganz prinzipiell sparsames Fahrzeug zu bauen, das ausserdem auch noch mit Strom fahren kann, das fragen wir uns auch noch; alle PHEV, die wir bisher im Test hatten, waren übermässig durstig, wenn das Vitamin E nicht mehr vorhanden war. Dort draussen, im richtigen Leben mit all seinen Sonderfällen, sind sie einem sparsamen Diesel wie etwa dem Peugeot 508 in so ziemlich allen Belangen unterlegen.

Fahrfreud’ macht er nicht gerade viel, der Kia Niro PHEV. Wenn er im Eco-Modus läuft, dann muss man den Fuss geradezu auf das Fahrpedal rammen, damit er etwas flotter beschleunigt als ein ausgeleierter lettischer 40-Tonner (war das jetzt gerade ein Pleonasmus?); fährt man einen anderen Modus, ist es auch nicht viel besser, der Vierzylinder mit seinen 105 PS und seinem maximalen Drehmoment von 147 Nm ist einfach zu schwach für das doch massige Gefährt. Was uns auch fehlt: die Möglichkeit, eine bestimmte Menge Strom zu sparen für eine Fahrt in die Innenstadt, zum Beispiel. Dafür gibt es reichlich Möglichkeiten der Rekuperation, man kann auch von Hand – es hat sich uns allerdings nicht erschlossen, was das bringen soll. Denn das 6-Gang-Doppelkupplungsgetriebe hat irgendwie keine Ahnung, was es denn ganz genau tun soll, welche Welle denn nun gefordert wäre – da ist noch sehr viel Luft nach oben in der Abstimmungsarbeit. Immerhin sind die Übergänge von E auf Verbrennung sehr fein, aber, hey, das konnte der Toyota Prius vor bald zwei Jahrzehnten auch schon in vergleichbarer Weise. Wir können uns irgendwie auch nicht vorstellen, dass er in 10,8 Sekunden von 0 auf 100 km/h rennt; auf der deutschen Autobahn bewegte sich der Tacho oberhalb von 155 km/h nur noch sehr, sehr bedächtig weiter nach oben (Höchstgeschwindigkeit gemäss Werk: 172 km/h).

Zwar wurde für den aktuellen Modelljahrgang das Innenleben überarbeitet. Da gibt es jetzt ein volldigitales Cockpit, auch der Touchscreen wurde deutlich grösser, das Infotainment auf den neusten Stand der Technik gebracht. Was fehlt: eine Möglichkeit, den Niro über eine App vorzuwärmen, während er noch am Strom hängt; dafür gibt es alle Sicherheits-Features, die man heute haben muss. Aber es ist halt weiterhin ein sehr wilder Mix von Knöpfchen und Schaltern, der die Übersicht nicht wirklich fördert – den Knopf, um den dämlichen Spurhalter auszuschalten, findet man fast nicht. Und all diese manuellen Entriegelungen für Tank und so erscheinen uns auch nicht mehr wirklich zeitgemäss; das Lenkrad ist völlig überladen mit keine-Ahnung-welche-Funktionen. Bei der Verwendung von Plastik waren die Koreaner auch nicht wirklich zurückhaltend. Die Sitze bieten kein Übermass an Seitenhalt, sind aber immerhin auch auf längeren Strecken komfortabel; die hinten Passagiere finden erstaunlich viel Kniefreiheit vor. Für ein 4,36 Meter langes, 1,81 Meter breites und 1,54 Meter hohes Fahrzeug ist das Kofferraum-Volumen mit 324 Liter nicht gerade üppig ausgefallen (maximal sind 1322 Liter möglich), was der im Heckbereich eingebauten Batterie geschuldet ist. Vom Fahrwerk haben wir nicht viel zu berichten, man mag das PHEV ja gar nicht erst so bewegen, dass der Wagen in irgendwelche Schwierigkeiten kommen könnte; fährt man den Koreaner so, wie es seinem Charakter entspricht, dann ist er angenehm komfortabel.

Der Kia Niro PHEV ist in der Schweiz mit mindestens 44’950 Franken angeschrieben (dies immerhin schon sehr vollständig ausgestattet – und mit den feinen sieben Jahren Garantie). Das ist ein stattlicher Preis, der Niro ist als Hybrid schon ab 32’950 Franken zu haben. Klar, bei sinnvollem Betrieb (siehe oben: Nutzerprofile) können die laufenden Kosten sehr gering gehalten werden, aber die 12’000 Franken Unterschied lassen sich wohl in einem normalen Auto-Leben nicht mehr kompensieren. Man muss also sehr gut rechnen, sein Nutzerprofil und auch seine Sonderfälle gut kennen, damit sich die Anschaffung lohnt. Unseren Ansprüchen würde der Kia nicht genügen: er ist zu schwer, er ist zu schlapp, er ist innen nicht auf der Höhe der Zeit, er bietet für einen Crossover zu wenig Platz, er ist teuer. Wer den Niro hauptsächlich rein elektrisch nutzen kann, wird das wahrscheinlich anders sehen – aber da gibt es günstigere Lösungen unter den reinen E-Dings.

Und trotzdem: Vielleicht sind Plug-in-Hybride wie der Kia Niro PHEV die (derzeit) beste, sinnvollste Lösung. Andere interessante Fahrzeuge finden sich jederzeit in unserem Archiv.

Der Beitrag Test Kia Niro PHEV erschien zuerst auf radicalmag.