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Dauertest Citroën Berlingo (1)

Published in radical-mag.com

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Den Citroën Berlingo haben wir nicht aus rein optischen Gründen zu unserem Dauertestwagen erkoren, er ist, es sei einmal ganz vorsichtig ausgedrückt: schön ist sicher anders. Und doch mögen wir ihn, auch optisch, er ist ein gutes Kontrast-Programm zu all diesen SUV auf unseren Strassen, er ist, was er ist, also ein funktionales, flexibles, sehr geräumiges Arbeits- und Transportgerät – und nicht so ein aufgeblasener Pseudo-Abenteurer, der auf viel zu viel Platz viel zu wenig Raum bietet und dafür mit schlechter Aerodynamik und hohem Gewicht auch noch zu viel verbraucht. Gut, eine besonders wildschlüpfrige Form hat der Berlingo wie seine beiden Brüderchen Opel Combo und Peugeot Rafter jetzt auch nicht, doch «form follows function», und das ist schon einmal ein guter Grundsatz.

Schauen wir uns doch einmal ein paar Zahlen an. Wir bewegen einen XL, also den Siebensitzer, der 4,75 Meter lang ist, (mit Spiegeln) 2,11 Meter breit und (mit Dachreeling) 1,88 Meter hoch. Wird der Beifahrersitz abgeklappt, dann steht eine Innenraumlänge von 3,05 Metern zur Verfügung – so hoch/lang ist kein Ikea-Büchergestell. Ohne dritte Reihe (also ohne die zwei hinteren, sehr einfach demontierbaren Einzelsitze) bleiben hinten immer noch 1,35 Meter Platz zur Verfügung, zwischen den Radkästen sind es 1,20 Meter, in der Höhe 1,13 Meter – und ein Ladevolumen von 1538 Litern. Klappt man auch die zweite Reihe um und belädt bis zum Dach, dann sind es stolze 2693 Liter. Nehmen wir zum Vergleich einen Citroën C5 Aircross – nein, das tun wir hier besser nicht. Auch in Sachen Geld lassen wir den Vergleich besser bleiben, nennen aber ein paar ebendieser für den Berlingo. Die günstigste Version mit 4,4 Metern Länge und dem 110-PS-Benziner kostet nur gerade 23’800 Franken – wir haben halt das Beste aus dem Programm, den 130-PS-Diesel mit dem 8-Gang-Automaten und der edelsten Ausstattung «Shine»; dafür sind allerdings schon 36’500 Franken fällig. Einverstanden, das ist dann schon wieder viel Geld für eine reine Vernunftsentscheidung, doch unser Berlingo ist ja mehr – fast so ein bisschen ein Freund der Familie.

Zum Fussball mit dem Junior. Da packt man die halbe Mannschaft ein – und es ist fröhlich. Zum Skifahren mit der Familie plus Begleitung: Mittelsitz in der zweiten Reihe abklappen, der Rest hat locker Platz, sechs Menschen sind im Team samt Happiness. Ikea, wie schon erwähnt: ein Klacks. Mit der Schwiegermutter zum sonntäglichen Mittagessen: Sie liebt den bequemen Einstieg über die Schiebetüren und die hohe Sitzposition und reichlich Beinfreiheit. Kommentar: «Im Mercedes war es es nicht so komfortabel». Mercedes, Berlingo? Es ist halt wirklich grossartig, wenn man einfach Platz hat; wir hatten das kürzlich schon einmal geschrieben, hier, mehr automobile Freunde hat man dann, wenn man über ein Automobil verfügt, das sich für den Transport von allerlei eignet. So oft wie um den Berlingo wurden wir noch nie angefragt, nicht einmal beim Crafter. Was dann auch wieder eine Aussage ist. Nicht ganz so überzeugend: die riesige Heckklappe, die nur schwer ist, sondern auch bedingt, dass man hinten reichlich Abstand halten muss, wenn man den Wagen noch beladen muss.

Platz hat es also ohne Ende – und Platz hat es auch überall, vielleicht gibt es sogar ein paar Ablagefächer zu viel. Man kennt ja seine Kinderchen, die haben die Tendenz, auch mal ein Brot zu «vergessen» – und solche Sachen lassen sich im Citroën allerorten bestens verstecken. Die Sitzposition ist fast so hoch wie in einem SUV, die Sitze sind auch bequem, doch mit Seitenhalt ist nicht viel. In der zweiten Reihe (verstellbar) sitzen die Passagiere gut – und auch ganz hinten ist das Platzangebot üppig. Und auch wenn wir hier nicht von Premium und Co. schreiben, sondern mehr so von einem Nutzfahrzeug: In Sachen Infotainment und Connectivity ist der Berlingo da, wo man heute anscheinend sein muss, schnelle Verbindung zum Smartphone, gutes Navi, kinderleichte Bedienung über den grossen Touchscreen. Knöpfchen und Schalter gibt es nicht mehr viele, aber das, was man brauchen kann, Lüftung und so. Leider ist der Knopf, über den sich der dämliche Spurhalte-Assi deaktivieren lässt, ziemlich gut links hinter dem Lenkrad versteckt. Vom Kleinlaster-Groove, den frühere Berlingo umwehte, ist das neue Modell aber weit entfernt, die Gestaltung des Arbeitsplatzes steht anderen Citroën-Modellen in nichts nach.

Zwar darf der Berlingo nicht mit «Citroën Advanced Comfort» auftrumpfen, und doch ist er mehr als nur komfortabel. Die doch eher weiche Abstimmung des Fahrwerks passt gut zum Charakter des Fahrzeugs; erfreulicherweise neigt er sich aber nicht so stark in die Kurve wie andere Kastenwagen (und SUV). Klar, bauartenbedingt ist er alles andere als ein Sportwagen, doch auch auf kurvigen Gassen ist man kein Verkehrshindernis, im Gegenteil, in unseren heimischen Gefilden war schon manch ein gut motorisierter Wagen wohl ziemlich überrascht, als plötzlich so ein Schrank in seinem Rückspiegel auftauchte. Es darf vermeldet sein: das fährt sich schon deutlich besser als einst, als jede Kurve ein Abenteuer war und bei etwas Beladung gar nichts mehr ging. Zwar wiegt die Top-Version des Berlingo doch auch massive 1,6 Tonnen, doch der 1,5-Liter-Vierzylinder-Diesel mit seinen 130 PS und vor allem dem maximalen Drehmoment von 300 Nm, die schon bei 1750/min zur Verfügung stehen, bewegt den grossen Wagen sehr anständig. In Zahlen: in 11 Sekunden auf 100 und dann maximal auf 184 km/h. Auch an der 8-Gang-Automatik gibt es nichts auszusetzen – wenn sie sich dann einmal warmgelaufen hat, dann schaltet sie quasi ruckfrei. Und ist auch nicht so nervös wie andere Getriebe mit (zu) vielen Gängen. Ja, ein gewisses Trägheitsmoment ist vorhanden, beim Losfahren aus dem Stand, auch bei kurzfristig angedachten Überholvorgängen, da verstreicht dann schon einmal eine Gedenksekunde. Doch auch das haben wir in der Kombination Diesel/Automat schon deutlich schlimmer erlebt.

Wir hatten den Berlingo in den strengsten Tagen des Winters mit null Kilometern erhalten. Die ersten Verbräuche waren etwas ernüchternd, lagen bei über 7 Litern, doch unterdessen ist es wärmer und der Selbstzünder mit bald 5000 Kilometern besser eingefahren, der Verbrauch sinkt beständig, beim letzten Mal Tanken waren es noch 5,8 Liter im Schnitt. Damit sind wir zwar noch deutlich von der Werksangabe von 4,5 Litern entfernt, doch wir werden uns dieser Vorgabe sicher noch annähern. Ausserdem: gerade zurückhaltend bewegen wir ihn nicht, er ist oft voll bepackt – oder ärgert auch mal einen Audi-Piloten. Es ist (in der Schweiz), übrigens, eh fahrfröhlicher, am Limit eines Berlingo rumzuturnen als mit so einem übermotorisierten Brummer unterwegs zu sein. Und, das muss anscheinend weiterhin geschrieben werden im Zusammenhang mit Citroën: keinerlei Qualitätsprobleme, nichts quietscht, alles funktioniert zur vollsten Zufriedenheit.

Mehr Citroën haben wir in unserem Archiv. Gerne weisen wir auch auf unsere Sammlung von Stories zu «100 Jahre Citroën» hin, hier.

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