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Fahrbericht Lamborghini Urus

Published in radical-mag.com

Bio-Knospe

Es ist dies ein Phänomen der Jetzt-Zeit, all diese Kinderchen, die in angesagten SUV zu ihren Privatschulen gebracht werden müssen. Und von dort, verständlicherweise, auch wieder abgeholt werden müssen. Es ist dies ein amerikanisches Modell, all diese Kids leiden wohl unter Adipositas und können nicht mehr laufen, doch seit ein paar Jahren ist dies Gebaren auch in Europa in Mode gekommen. Man könnte sich nun grundsätzliche Fragen stellen, wie es denn nun so steht um die Qualität des öffentlichen Schulsystems, doch das wollen wir hier nicht – wir stellen uns die grundsätzliche Frage, warum der Anteil an fetten SUV (was schon ein Pleonasmus ist) in diesen Staus vor den privaten Schulen so hoch ist. Die Antwort, sprich Deutung erscheint uns relativ einfach: die finanzielle Potenz der Erzeuger dieser Kinderchen wird über die Grösse des Fahrzeugs ausgedrückt. Würden die Väter ihre Brut zur Schule fahren, würde mit den PS-Zahlen von Sportwagen die Länge der involvierten Geschlechtsorgane markiert (allerdings wohl: umgekehrt reziprok), doch weil die Sugar-Daddies ja damit beschäftigt sind, den Lebensunterhalt ihrer Ex-Frauen sowie ihrer aktuellen Zweit/Dritt(Viert-Dämchen samt (Patchwork)-Familien zu bestreiten, müssen diese beboxten, versiliklonten Stief- und allenfalls Neu-Mütter die pekuniären Fähigkeiten ihrer LAP (LebensAbschnittsPartner) in möglichst grossen Fahrzeugen ausdrücken. Vorurteile, Klischees? Man muss sich das einmal antun, sich solch einen Kampf um die Pole-Position vor der Privat-Schule anschauen – und man wird vom Glauben abfallen, dass/ob die Menschheit sich tatsächlich noch fortpflanzen sollte.

Einer der Hauptgründe, weshalb SUV gekauft werden, sei die höhere Sitzposition, heisst es. Diese vermittle ein Gefühl von Sicherheit durch bessere Übersicht, heisst es. Das höchste Gefährt, den Land Rover Defender, aus dem man auf eine G-Klasse von Mercedes herabschaut und die Fahrer(in) eines Range Rover kaum mehr sieht, will aber niemand, denn der hat keine 400 Pferde (ausser: hier); frau will, muss ja auch etwas darstellen, zum fünfstelligen Betrag der Schulgebühr muss ja schon auch noch ein sechsstelliger Betrag des Transportgeräts hinzukommen, sonst blamiert frau sich ja vor der Schulleitung (Bonität) und noch viel mehr vor den anderen Müttern (um die Penislänge kann es da ja eigentlich nicht gehen). Q7 und Cayenne zumindest als Turbo gehen noch so knapp, der eigentlich smarte Touareg hat leider null Image, mit einem Bentanga ist frau immerhin adäquat (im Sinne von – think about it…) angezogen; Range Rover und Volvo XC90 (safety! verantwortungsvolle Mütter!) und die eigentlich eh zu kleinen Alfa Romeo Stelvio und Jaguar F-Pace sind mehr so – alter-naiv. Mercedes? Längst abgehängt. BMW X7? Ui, ein Kinderfresser ist ja dann auch eher problematisch in diesem Zusammenhang.

Doch jetzt gibt es – neben der Kunigund von Rolls-Royce – den neuen Platzhirsch für vor die Privatschule. Wenn Mutti sportlich ist, fitness-gestählt und yoga-gereinigt und zumba-bewegt, wenn sie sich in den fiesen Leggins und dem schweissbefleckten Sport-Bra sehen lassen kann (und vor allem: will), wenn sie dann auch alle Q7 und Cayenne Turbo in den Schatten stellen mag, weil sie halt auf dem Papier noch schnellerer von 0 auf 100 beschleunigen könnte, dann gibt es derzeit für den korrekten Auftritt vor der Privat-Schule (und dem Yoga-Studio, dem Bio-Knospen-Markt, der lactosefreien Sojamilch-Kaffee-Bar, etc.) nur ein Teil: Lamborghini Urus. Kein anderes Fahrzeug drückt derzeit besser aus, um was es wirklich geht im Leben: Geld, Macht, Sex (wär noch eine schöne Sonder-Edition: Urus GMS). Und weil dem so ist, untersuchen wir den Wagen zuerst einmal auf seine Familien-Tauglichkeit.

Und finden da finden wir doch auch gleich schon den ersten Widerspruch: Warum genau kauft man sich ein hochbeiniges SUV, um dann wieder herabgesetzt zu werden zu den Normalsterblichen? Mit nur gerade 1,64 Metern Höhe bewegt sich der Lamborghini auf dem Niveau eines Mittelklasse-Crossover, schafft zehn Zentimeter weniger als ein Q7 und 20 weniger als ein Cullinan und fast 40 weniger als ein Defender. Das arme Kind findet ja seine Mutter gar nicht, wenn der Urus sich so sehr ducken muss hinter all den anderen Gerätschaften. Dafür ist er breiter als alle andern, 2,02 Meter. Ohne Spiegel. Sehr lustig, wenn man im Parkhaus sein Plätzchen suchen muss. Wo der Italiener auch schwächelt: Das Kofferraum-Volumen ist eher dürftig, 616 Liter sind im Vergleich zum Q7 mit seinen 890 Liter auch eher dürftig; richtig übel ist es im Rolls-Royce, übrigens, 560 Liter lassen ja kaum einen anständigen Wochenendausflug zu (ok, bei mehr Gepäck würde wohl die Gewichtslimite von 3,5 Tonnen überschritten, und welche Banker-Gattin hat schon einen Lastwagenausweis?). Der Urus wiegt übrigens 2,2 Tonnen, aber man weiss ja auch, wie die Italiener solche Sachen messen, leer/leer plus eine Espresso-Tasse sind da Usus. Ein ernsthaftes Problem hat der Wagen allerdings: das zulässige Gesamtgewicht liegt bei 2500 Kilo. Man rechne. Nein, halt, da müssen wir schon noch einmal den Finger drauf halten: 5,11 Meter, 2,2 Tonnen – 303 Kilo Zuladung. Wäre es nicht dermassen traurig, könnte man das fast als Scherz betrachten.

Es darf aber vermeldet werden, dass man vorne ausgezeichnet sitzt – und hinten halt so, wie es heute Mode scheint, im Halbdunkel einer viel zu hohen Gürtellinie. Kinder mögen das übrigens nicht, wenn sie nicht nach draussen sehen; manche kotzen dann. Die Bedienung ist wie im Konzern-Bruder Audi Q7, sprich gut durchdacht, logisch, MQB für Besserverdienende. Da gibt aber natürlich schon die Lamborghini-typischen Insignien, der Startknopf, der hinter einer roten Klappe ruht – und reichlich Sechsecke in der Gestaltung. Das muss seit dem Gandini-Meisterwerk Marzal bei Fahrzeugen aus Sant’Agata so sein, auch wenn es nicht unbedingt Sinn ergibt; italienische Grandezza gibt es in eleganteren Formen. Auch anders als bei allen anderen VW: den ersten Gang findet man nicht irgendwo unter D, sondern indem man an der rechten, mächtigen Schaltwippe zieht. Was noch nie ein Lamborghini hatte: spezielle Fahrprogramme für Glätte und Off-Road (25 Zentimeter Bodenfreiheit sind möglich). Und auch die 22-Zöller sind neu. Was hingegen nicht neu ist: Windgeräusche bei höheren Geschwindigkeiten, das kennen wir auch aus anderen Lamborghini-Modellen.

Porsche definierte den 911 einst als das beste Familienauto mit der Beschreibung: «Sie können länger frühstücken. Sie sind früher zum Abendessen zurück». Das gilt natürlich auch für den Urus, sein aufgeblasener 4-Liter-Turbo aus dem tiefen Regalen des Volkswagen-Konzern wird erstmals über eine 8-Gang-Wandler-Automatik geschaltet und kommt auf feiste 650 PS sowie 850 Nm maximales Drehmoment, beschleunigt den Wagen in 3,6 Sekunden von 0 auf 100 km/h und wird erst bei 305 km/h von der Aerodynamik eingebremst. Das ist natürlich gut und wichtig, so ist Mami schnell vor der Schule und mit dem Kind auch bald wieder daheim, wo dann die Nanny übernehmen kann. So lässt sich die hauswirtschaftliche Effizienz natürlich auch steigern, es bleibt allen mehr Freizeit (ausser der Nanny). Es könnte diese Zeit allerdings an der Tankstelle wieder verloren gehen, Lamborghini nennt einen durchschnittlichen Verbrauch von 12,3 Litern, der dann im Kurzstreckenverkehr allerdings etwas höher liegen dürfte; auf unserem ersten Ausflug mit dem Urus stand eine 2 vorne. Was aber sicher auch daran gelegen haben dürfte, dass wir viel Freude an der Geräusch-Entwicklung des Italieners hatten. Es erstaunt uns immer wieder, welchen Lärm Fahrzeuge von südlich der Alpen von sich geben dürfen (Alfa 4C!), irgendwie scheinen da andere Regeln zu gelten.

Überhaupt ist der Antrieb ein Quell’ der Freude, die bislang schärfste Version des groben Turbo zieht den Lamborghini mit einer Vehemenz vorwärts, die unbedingt zur Marke passt. Nein, kein V12, nicht einmal zehn Zylinder, die reine Lehre geht im Urus verloren, aber das passt ja irgendwie, Lamborghini hat ja auch schon andere Nutz- und Landwirtschaftsfahrzeuge gebaut, ganz viele Traktoren und auch den LM002. Ob wir nun dieses Maximum an Längsbeschleunigung, das in einem schweren, grossen Wagen halt noch eine verstärkte Wirkung entfaltet, wirklich als Fahrfreude bezeichnen wollen – nein. Ja, er kann auch Kurven, er kann das dank dem aufwendigen Fahrwerk und männiglich Fahr-Modi sogar zwischen ziemlich komfortabel bis ziemlich sportlich, doch am Ende bringt auch die härteste Abstimmung nichts, er hat eine Wankstabilisierung und apative Dämpfer und Hinterachslenkung und Luftfederung, doch so simple Dinge wie der Schwerpunkt und das Gewicht bleiben halt: hoch. Auch wenn wir den Urus nicht auf der letzten Rille trieben (öffentliche Strassen), so hatten wir doch mehr als einmal etwas Bammel. dass ihm die Strasse ausgehen könnte. Die Lenkung ist präzis (man spürt auch keine Krafteinflüsse aus dem Allradantrieb), die Bremsen ausgezeichnet (vorne 440 Millimeter, Zehnkolben-Zange!).

Ach, der Preis ist nicht der Rede wert. Entweder, man hat die über 200’000 plus sicher noch reichlich für die Sonderausstattungen – oder man hat sie halt nicht. Wer sich Gedanken machen muss, ob er sich einen Lamborghini Urus leisten kann, der gehört nicht zur angepeilten Klientel, denn da ist er im Schnitt Sechst- oder Siebentwagen. Und nein, die anderen Spielzeuge sind sicher keine Dacia Duster, da müsste sich das Kind ja in Grund und Boden schämen. Da wird man dann auch über die eine oder andere Design-Problematik hinwegschauen, wenn man solche ein Dings «braucht», etwa die nicht auf ähnlicher Höhe angebrachten Türgriffe oder die hässlichste Frontkamera-Montage aller Zeiten. Die gute Nachricht ist: Lamborghini braucht sich nicht zu schämen. Denn auch die Konkurrenz aus Maranello kommt mit so einem Teil, phantasievoll FUV genannt.

Mehr Lamborghini haben wir in unserem Archiv.

Der Beitrag Fahrbericht Lamborghini Urus erschien zuerst auf radicalmag.