Test Alpine A110
«Car of the Year»
Es sind solche Kleinigkeiten wie die Sitzhalterung. Aus einem Stück Aluminium gefräst, ein paar Gramm Gewicht gewonnen mit Löchern, sauber poliert, schön und gut sichtbar montiert. Nein, der wunderbar enge Sabelt-Schalensitz lässt sich nicht verstellen, also schon, aber halt nur mit dem passenden Schraubenschlüssel; das macht man dann einmal, und dann ist gut. Das mögen nun Bubis, die ihre elektrisch verstellbaren Massagearschwärmerbelüfter-Sofas nicht missen mögen, bemängeln. Aber das sind dann halt auch die Menschen, denen die saubere Smartphone-Anbindung wichtiger ist als die so edlen blauen Bremszangen, die so schön sind, dass man sie sich als Kunst in die Stube hängen möchte. Die auch nicht sehen wollen, dass die Alpine auf Fuchs-Felgen rollt; ja, diese Füchse, die kennt man von älteren Porsche. Sie sind auch so schön filigran wie das ganze Automobil.
Man sieht der Alpine ihr Gewicht an. Man sieht auf den ersten Blick, dass hier ganz exzellenter Leichtbau praktiziert wird, ein grossartiges Alu-Monocoque, das ebenfalls von grosser Liebe zum Detail zeugt. Knapp 1100 Kilo sind es, das kann nur der Alfa Romeo 4C noch besser und die Elise von Lotus, aber die sind von einer Radikalität, die im Alltag nicht immer taugt. Ein Cayman von Porsche als wohl ernsthaftester Konkurrent trägt mehr als 200 Kilo mehr mit sich, und er kämpft folglich in einer anderen Gewichtsklasse. Die Alpine hingegen ist auch noch: schön. Je länger man sie betrachtet, desto schöner wird sie. Dieses Blau, all diese Details – und je mehr man schaut, desto mehr verschwindet auch das Retro. Selbstverständlich gibt es diese Zitate von einst, etwas gar viele Beschriftungen und auch noch vier Trikoloren, das dürfen die Franzosen auch, es aufersteht hier ja eine Ikone, doch die Design-Interpretation ist so stimmig, so modern, so grossartig, dass man gar nicht anders kann als sie immer wieder zu anzuschauen. Wenn Sie einmal eine sehen, so eine Alpine, dann gehen Sie doch auch einmal in die Knie, auf Augenhöhe mit den Scheinwerfern – Sie werden sie lächeln sehen. Und sie ist so klein, 4,12 Meter lang, auch nur 1,80 Meter breit, 1,25 Meter hoch – gern möchte man sie in den Arm nehmen.
Innen ist es eher eng. Man könnte auch schreiben: behaglich. Ist man zu zweit unterwegs, kann es zu Ellenbogenkontakt kommen. Wem das zu nah ist, der fährt dann halt allein, dann hat er auch mehr Platz für allfälliges Gepäck, vorne passen zwei Sonntagszeitungen rein, hinten «füllst Du die Socken einzeln ein» (Zitat Werner Jessner in der «auto revue»). Ansonsten machten die Konstrukteure im Innenraum nicht den Fehler, die Vergangenheit gloifizieren zu wollen, sondern verpassten der Alpine ein digitales Cockpit mit all den Spielereien, die es heute wohl braucht (siehe oben, Smartphone-Anbindung). Wir freuen uns jetzt schon auf die angekündigte «pure»-Version – in der Hoffnung, dass dann auf noch mehr verzichtet wird. In einem solchen Fahrzeug braucht es eigentlich kein Navi, auch kein Radio, der wahre Purist würde sogar noch auf die Klimaanlage verzichten. Auf das gesteppte Leder der Sitze allerdings nicht, das Auge fährt schliesslich auch mit.
Bei aller Liebe zu diesem ausgezeichnet verarbeiteten Produkt – noch deutlich besser ist das Fahrerlebnis. Endlich, endlich gibt es wieder einmal einen Sportwagen, der nicht hirnrissig übermotorisiert ist, der nicht ganze Rechenzentren braucht, damit er seine Kraft noch so einigermassen auf die Strasse bringt, der dem Fahrer das Vergnügen überlässt, das Gerät zu bewegen. Die Alpine erhielten ihren Namen einst deswegen, weil Firmengründer Jean Rédélé Autos bauen wollte, mit denen man flott und geschmeidig durch die Alpen brettern konnte, Spass hatte in engen Serpentinen und Freud’ auf weit geschwungenen Landstrassen. Nicht das letzte Zehntelchen auf der Rennstrecke zählte (später dann schon auch, «win on Sunday, sell on Monday» galt ja auch für diese Fahrzeuge) – und das tut es auch heute nicht. Einverstanden, der neue A110 ist sicher auch als Track-Tool eine Wucht, doch noch feiner ist sie am frühen Morgen, wenn die Rennleitung noch schläft, die Gassen leer sind, die Sonne aufgeht und zwischen Mensch und Maschine eine Einheit entsteht. Man kann dann das Messer zwischen den Zähnen daheim lassen, es wird mehr ein Gleiten sein als ein Rasen – und man brennt doch alles darnieder, was da sonst noch kreucht und fleucht. Aber halt: elegant. Ganz locker. Lächelnd. Noch einmal Jessner in der «auto revue»: «Das Überlandfahren ist ein grosses Glück, es soll gar nicht mehr aufhören».
Allein schon diese Präzision. Ein Mittelmotor-Fahrzeug halt, Motor vor der Hinterachse, es gibt gute Gründe dafür. Das saubere Anbremsen vor der Kurve, der Wagen macht alles richtig, hält die Spur, wird hinten nicht leicht (Gewichtsverteilung: 56 Prozent hinten, der Rest logischerweise vorne). Die Lenkung weder zu leicht- noch zu schwergängig, es ist, als ob die Alpine automatisch den Augen folgt, welche die Linie festlegen, in «real time» das umsetzt, was das Hirn will. Und dann kommst Du aus der Biegung, hast vielleicht das Gefühl, dass 320 Nm in dieser heutigen Welt der Drehmoment-Berge nicht mehr so das Gelbe vom Ei sind, doch dann ist da eben noch dieses gute, sehr gute 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe (mit fixen Paddels hinter den Lenkrad) mit den perfekten Anschlüssen, ein für einen Turbo sehr fröhlich drehender 1,8-Liter-Vierzylinder, bei dem man in der Gasannahme und Umsetzung kaum eine Verzögerung spürt – und Du bist einfach nur schnell. Sehr schnell. Nicht jenseits wie in einem Porsche 911 GT2 RS, sondern: fröhlich. 252 PS auf 1100 Kilo, das reicht, so soll es sein, so muss es sein – natürlich wäre ein Sauger noch spontaner, doch wahrscheinlich halt auch schwerer, denn für so viel Leistung müsste es ja dann reichlich Hubraum sein. Der Sound ist übrigens auch gut, nicht so wild wie beim Alfa, aber viel schöner als bei den Turbo-Caymännern. Ausserdem: echt, kein Gefurze aus Lautsprechern oder sonstigen Hilfsmitteln. Und damit das auch noch erwähnt ist: 4,5 Sekunden für den Sprint von 0 auf 100 km(h, elektronisch abgeriegelte 250 km/h Höchstgeschwindigkeit. Im ausführlichen Testbetrieb verbrauchten wir deutlich mehr als die vom Werk angegebenen 6,1 Liter auf 100 Kilometern, doch wir wissen auch, warum. Die Reifen, MIchelin Pilot Sport, vorne 205/40 R18, hinten 235/40 R18, übrigens auch.
Es folgt noch einmal ein grosses Wort: Vernunft. Unser Testwagen war eine «Première Edition», 1955 Exemplare, zum Preis von 62’000 Franken längst ausverkauft; es wird übrigens schon Aufschlag bezahlt. Jetzt kann man sich jetzt, wie erwähnt, ab 61’000 Franken eine «Pure»- und ab 66’000 Franken eine «Legende»-Variante konfigurieren – und das ist irgendwie kein Geld für dieses Fahrzeug. Im Vergleich zum Porsche sowieso nicht – in Relation zum Fahrvergnügen erst recht nicht. Es wird allerdings etwas dauern, bis der Spass dann geliefert wird – man hört, das Fabriklein in Dieppe sei etwas überlastet. Der Erfolg ist den Franzosen auf jeden Fall zu gönnen, so viel richtig gemacht hat schon lange kein Hersteller mehr.
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