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Bugatti EB110

Published in radical-mag.com

Hätte, wäre, wenn…

Fast wäre alles gut gewesen. Und eigentlich hätte es klappen können, sogar: müssen. Doch dann – kam es anders. Wir erzählen hier die Geschichte des grossartigen Bugatti EB110. Und wie er an die Wand gesetzt wurde.

Die Familie Artioli war schon in den 70er und erst recht in den 80er Jahren dick im italienischen Automobilgeschäft. Sie verkaufte Ferrari in Norditalien und im süddeutschen Raum, sie importierte Suzuki und Subaru nach Italien. Der Patron der Familie, Romano Artioli, war einer der bekanntesten Bugatti-Sammler der Welt, und er kannte eh Gott und zudem auch noch die Welt. Und so kam es, dass Artioli Mitte der 80er Jahre hin und wieder mit Ferruccio Lamborghini zu Tisch sass, es kam Paolo Stanzani dazu, Vater etwa des Countach, und manchmal auch noch Jean Marc Borel, ein französischer Financier mit einem heftigen Faible für italienische Sportwagen. Und so plauderten die Herren, die Mittagessen zogen sich in den Abend hinein, Artioli sprach von seinem Traum, dem ultimativen Sportwagen, Borel unterstützte ihn, brachte den Namen Bugatti ins Spiel, Stanzani sagte nicht viel – und irgendwann wurde es Lamborghini, der die nach ihm benannte Marke längst verloren hatte, zuviel, er verliess die Runde. Artioli und Borel träumten weiter, doch sie liessen auch Taten folgen – im Mai 1987 sicherten sie sich die Namensrechte von Bugatti, auch wenn die französische Regierung nicht wirklich begeistert war, den zuminest symbolisch sehr wertvollen Namen nach Italien ziehen zu lassen. Wie viel Geld, ob überhaupt Geld floss für diese Übernahme vom vormaligen Besitzer Messerier Hispano Bugatti, das blieb ein Geheimnis.

Im Oktober 1987 wurde die Bugatti Automobili SpA gegründet, mit einem Akteinkapital von umgerechnet 2,5 Millionen Euro. 65 Prozent gehörten der Bugatti International Holding von Artioli und Borel, die restlichen 35 Prozent Stanzani und einem Unternehmen namens Tecnostile, in dem noch so mancher frühere Lamborghini-Grande arbeitete. Ende des Jahres fand Stanzani auch den richtigen Produktionsstandort, 75’000 Quadratmeter Land in Campogalliano, direkt an der Autobahn Modena-Verona, noch schön im Dunstkreis der bekanntesten italienischen Sportwagen-Produzenten. Und noch vor Ende des Jahres wurde begonnen mit dem Bau einer Fabrik – Architekt war Giampaolo Benedini, ein Mitglied des Artioli-Clans. Schönes Detail: Im Speise-Saal der neuen Fabrik, damals die modernste der gesamten Automobil-Industrie, wurde die originale Eingangstür der einstigen Bugatti-Manufaktur im elsässischen Molsheim angebracht. Am 15. September 1990, dem 109. Geburtstag von Ettore Bugatti, wurde der Gelände eröffnet, im Beisein von 77 klassischen Bugatti. Einen neuen Bugatti zu sehen gab es allerdings nicht.

Artioli wollte das Beste vom Besten, die leichtesten Materialien, die beste Technik. Und es war reichlich Talent am Werk in Campogalliano, neben Stanzani konnte der legendäre Ferrari-Rennleiter Mauro Forghieri als Berater gewonnen werden; als Designer sollte der legendäre Marcello Gandini wirken, der schon diverse Ikonen wie den Miura, den Countach, den Stratos geschaffen hatte. Doch Artoli war nicht zufrieden mit den Vorschlägen von Gandini, 1989 wurde das Projekt neu ausgeschrieben, Nuccio Bertone durfte sich versuchen, Giorgetto Giugiaro, Paolo Martin. Am Schluss war es dann aber der Architekt Giampaolo Benedini, den den neuen Bugatti endgültig in Form brachte.

Die Basis des Bugatti EB110 (EB für Ettore Bugatti, 110 für den 110. Geburtstag des grossen Meisters) war ein Monocoque aus Karbon, jedes einzeln angeliefert vom französischen Raumfahrtunternehmen Aerospatiale. Es heisst, dass die Kosten für dieses Chassis höher gewesen sein sollen als der Verkaufspreis des Fahrzeugs (zu Beginn: 690’000 DM). Der Karosserie bestand aus Aluminium, Karbon und aramidfaserverstärktem Kunststoff, die Räder aus Magnesium – dass der Bugatti trotzdem fast 1,7 Tonnen schwer wurde, lag an der zu kurzen Entwicklungszeit. Denn es hatte in Campogalliano immer wieder Ärger gegeben, Stanzani stieg aus, Nicola Materazzi übernahm, Vater des Ferrari F40 und Konstrukteur des Lancia Stratos. Engagiert wurde ausserdem Pavel Rajmis, einer der Köpfe hinter dem «quattro»-System von Audi.

Selbstverständlich waren beim EB110 alle vier Räder angetrieben. Für Vortrieb sorgte ein 3,5-Liter-V12, der mit vier IHI-Turboladern auf 560 PS gebracht wurde und ein maximales Drehmoment von 611 Nm bei 4200/min schaffte; im EB110 SS waren es gar 611 PS und ein maximales Drehmoment von 650 Nm, dies bei auf 1570 Kilo reduziertem Gewicht. Selbstverständlich war der Bugatti damals das schnellste Serienfahrzeug, er beschleunigte in 3,26 Sekunden von 0 auf 100 km/h und rannte 351 km/h schnell. Die Maschine ddrehte bis 10’000/min; geschaltet wurde über ein manuelles 6-Gang-Getriebe.

Die Vorstellung des Bugatti EB110 erfolgte am 15. September 1991 in Paris, Gastgeber war Alain Delon. Drei EB110 fuhren über die Champs-Elysées, rund 2000 geladene Gäste wurde bewirtet, die gleiche Anzahl Flaschen Champagner entkorkt. Und genau diese Form der Präsentation zeigte auf das Problem von Romano Artioli: er konnte deutlich besser Geld ausgeben als verdienen. Zwar war der Andrang von potentiellen Kunden zu Beginn noch gross, doch Artioli verlangte von den Interessenten, dass sie in der Fabrik in Campagalliano vorstellig wurden, er unterzog sie einem persönlichen Interview; auch prominente Kunden wie Michael Schumacher mussten diese Gewissensprüfung über sich ergehen lassen.

So liess sich kein Geld verdienen. Auch lief die Produktion eher schleppend: bis 1995 wurden nur gerade 96 EB110 GT hergestellt, vom 1992 vorgestellten EB110 Super Sport waren es wahrscheinlich 32 Stück. Für Artioli war aber immer klar, dass weder er noch sein Fahrzeug Schuld trugen am ausbleibenden Erfolg, er witterte schon früh allerorten Verschwörungen. Lenksäulen seien gelockert worden, damit der Wagen bei höheren Geschwindigkeiten unfahrbar wurde, Kunden mit Kaufabsicht seien in die Irre geführt worden, als sie das Werk besuchen wollten, ganz plötzlich seien die Bestellungen ausgeblieben. Was sicher stimmt: der Markt für Supersportwagen war kurz nach dem Tod von Enzo Ferrari im August 1988 zusammengebrochen. Und was Artioli dann wirklich das Genick brach: Er kaufte sich den englischen Sportwagen-Hersteller Lotus (und bescherte der Auto-Welt noch die nach seiner Nichte benannte Elise).

Mitten in der Nacht vom 22. auf den 23. September 1995 wurde das Werk von den italienschen Finanzbehörden geschlossen. Die über 200 Arbeiter, die im nächsten Morgen in die Fabrik wollten, standen vor verschlossenen Türen: Artioli hatte keine Zeit mehr gehabt, sie über ihr Schicksal zu unterrichten. Die Schulden sollen sich je nach Quelle auf umgerechnet zwischen 125 bis 300 Millionen DM belaufen haben – pro verkauftes Fahrzeug dürfte Bugatti also mindestens eine Million verloren haben. Am 4. April 1997 wurde das Konkursverfahren abgeschlossen. Der deutsche Garagist Jochen Dauer sicherte sich sieben halbfertige Fahrzeuge, 15 Motoren und die Namensrechte EB110 für ein Butterbrot; 1998 kaufte Volkswagen die Namensrechte an Bugatti. Leider.

Die Fabrik in Campogalliano steht seit damals leer. Zuerst wollte eine Möbelfabrik einziehen, doch auch diese ging bankrott, bevor der Umzug stattfinden konnte. Horacio Pagani hatte auch einmal Interesse, doch 2008 wurde das Gelände von einem italienischen Immobilienunternehmen übernommen, das ein riesiges Einkaufszentrum und eine «Urban Style Area» plante. Auch daraus wurde nichts. Und so steht die Bugatti-Fabrik heute noch als Mahnmal für zu grosse Träume, der einstige Hauswart mäht noch immer regelmässig den Rasen, im Büro von Romano Artioli steht noch immer der Tisch, an dem viele Fehlentscheide gefällt wurden. Traurig ist zudem, dass die Bugatti EB110 auch heute noch nicht die Anerkennung geniessen, die sie unbedingt verdient hätten – während alles andere als seltene Ferrari aus jenen Jahren teilweise für mehrere Millionen gehandelt werden, schaffen die Bugatti kaum mehr als ihren Neuwagen-Preis.

 

Für mehr feine Automobile empfehlen wir unser Archiv. Diese Geschichte recherierten wir im Rahmen von #theitalianjobs.

Der Beitrag Bugatti EB110 erschien zuerst auf radicalmag.