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Fahrbericht Maserati 3500 GT Vignale Spyder

Published in radical-mag.com

Rutschpartie

Und dann rutscht er. Aber richtig. Bremse lösen, nochmals versuchen, ganz zart, doch es ist anscheinend wieder zu heftig, wieder blockieren die Räder, die Strasse ist nass, die Gummis uralt, steinhart, die Leitplanke kommt näher, die Bremse lösen, sanft, sanft einlenken, die Leitplanke entfernt sich wieder, doch der Wagen wird deswegen ja nicht langsamer, nochmals ein Hauch von Bremse, ein anderer Strassenbelag, endlich, endlich hab ich wieder sicheren Boden unter den Rädern. Man will ja ganz allgemein keine Autos kaputten, aber so einen Maserati 3500 GT Spyder von Vignale, von dem zwischen 1960 und 1964 nur gerade 245 Exemplare gebaut wurden, erst recht nicht; ich werde dann zurück in Bologna wohl zuerst mal das T-Shirt wechseln müssen.

Es sind nicht die optimalen Bedingung für eine freudvolle Ausfahrt. Es regnet, es ist kalt, dort oben in den Bergen in Richtung Passo della Futa hat es auch noch Nebel. Die Reifen sind so grauslig wie das Wetter, der Besitzer des Maserati, ein Zahnarzt aus dem Piemont, ist ziemlich nervös. Er erklärt mir, dass ich vom dritten in den zweiten Gang nur mit Zwischengas schalten kann, «doppietta», wie das auf Italienisch heisst; logisch, ist mir schon klar, das mache ich auch bei jedem modernen Auto. Und er schwärmt auch nicht gerade von der Hinterachse, starr und blattgefedert, die Maserati damals von der Salisbury Wheels Company bezogen hatte, und recht hat er, eine gute Strassenhaltung ist sicher anders, der Spyder kommt dauernd ins Rutschen hinten, versetzt, schiebt, null Gefühl. Auch nicht das, was man bei Nässe braucht. Und dann eben die Bremsen, vorne Scheiben, eingekauft bei Girling, wie eh der ganze Wagen so etwas wie Puzzle aus Zulieferer-Teilen ist, sie lassen sich quasi nicht dosieren, gehen sofort fest. Oder dann quasi gar nicht.

Und so zuckeln wir ein wenig einher. Immerhin ist der Motor eine Freude. Eigentlich ist er ja eine Rennmaschine, stammt aus dem 350S. Doch Maserati brachte ihm Manieren bei, geänderte Kurbelwelle, mehr Hub, also tiefere Drehzahlen; die zwei obenliegenden Nockenwellen wurden über eine Steuerkette angetrieben, beim 350S waren es noch Zahnräder gewesen. Unser Testwagen war ausserdem mit der ab 1962 erhältlichen Lucas-Benzineinspritzung ausgerüstet, die im Vergleich zu den drei Doppel-Webern die Laufkultur verbesserten und das Drehmoment sanft erhöhten; 235 PS wurden als maximale Leistung angegeben. Und Drehmoment hat er wirklich, ab 1500/min zieht er schön, er würde bis 5200/min drehen, doch bei 4500/min warf ich dann die nächste Welle ein, sonst hätte mich der Besitzer allein schon mit Blicken getötet.

Also verleg ich mich drauf, die Gänge schon einzulegen, so wenig wie möglich zu bremsen, ganz, ganz sanft zu lenken, zwei Finger, höchstens. Wie sich das auch gehört für so einen älteren italienischen Herrn mit allerfeinsten Sonntagsanzug. Und den trägt der 3500 GT Spyder ja unbedingt. Er steht auf dem Chassis der profanen 3500 GT (1972 Stück mit Touring-Karosse plus ein paar wenige andere), das um 10 Zentimeter verkürzt wurde. Zuerst sollte ja Touring auch die offene Variante bauen, doch die war irgendwie nicht so knusprig. Es kam deshalb Vignale zum Zug, ein Entwurf von Giovanni Michelotti mit einem wunderbaren Hüftschwung hinten. Wohl aus Stabilitätsgründen bestand der Aufbau aus Stahl; das Touring-Coupé wurde weitgehend aus Alu geformt. Und deshalb wog das 4,45 Meter lange Cabrio fast 1500 Kilo, während das 4,76 Meter lange Coupé gut 100 Kilo weniger hatte. Und ja, es ist so: gerade wie ein Leichtgewicht fühlt sich der Vignale Spyder nicht an. Ganz besonders dann, wenn er ins Rutschen kommt.

So 230 km/h Höchstgeschwindigkeit soll er geschafft haben, der Spyder. Auf der Autobahn rauschen wir mit so 140, 150 km/h Tacho einher – und nein, ich möchte nicht wirklich 200 fahren mit dem Maserati. Mutig müssen sie damals gewesen sein. Am wohlsten fühle ich mich auf Landstrassen, mit so 100 bis 120, da schnurtt die Maschine schön, da hat man alles im Griff, da kann man auch unauffällig genügend Abstand halten, weil man ja auch weiss, dass die Bremsen, eben, siehe ganz am Anfang dieser Geschichte. In der Stadt ist es ganz ok, auch deshalb, weil die Italiener Respekt haben vor dem Maserati, Raum lassen und schaffen, auch deshalb, weil er ja nur 1,6 Meter breit ist. Der Sound ist schön, wirklich schön – ein Reihensechser halt, und die waren immer etwas vom Besten.

Innen, ach, da ist er irgendwie ein bisschen enttäuschend. Gut, die Sitze sind durchgegessen, das Holz abgenutzt, man darf das auch als Patina bezeichnen. Doch die Gestaltung ist auch eher simpel. Dafür hat es schöne Details, zwei Ührchen fürs Öl, Druck und Temperatur. Sehr tiefe Sitzposition, und versuch das Ding nicht zu verstellen, wenn Dir Deine Fingerlieb sind. Die Lüftung arbeitet, hat aber keine Wirkung; ein sanft geöffnetes Seitenfenster – elektrisch, zum ersten Mal serienmässig in einem italienischen Fahrzeug – bringt weit mehr. Aber auch Wasser ins Auto. Auch das ist so ein bisschen ein Spagat.

Noch vor 10 Jahren konnte man sich so einen 3500 GT Vignale Spyder für etwa 50’000 Dollar aneignen. Vor zwei Jahren wurde ein wunderschönes Exemplar für 764’500 Dollar versteigert (siehe Bilder oben); der Vignale-Prototyp kam auf 1’072’500 Dollar (siehe Bilder unten). Es ist anzunehmen, dass die Preise noch weiter steigen werden, allerdings nicht mehr in diesem rasanten Tempo. Höheres Steigerungspotenzial ist den weitaus günstigeren Touring-Coupé zuzubilligen.

In diesem Zusammenhang wollen wir dringend die wunderbare Geschichte von Fabian Mechtel zu Maserati 250F empfehlen. Andere Maserati haben wir in unserem Archiv.

Der Beitrag Fahrbericht Maserati 3500 GT Vignale Spyder erschien zuerst auf radicalmag.