Fahrbericht Alfa Stelvio QV
Vertrauen
Es sollen nicht schon wieder die guten alten Zeiten beschworen sein, als ein Automobil dann schnell war (um die Kurven), wenn der Fahrer es im Griff hatte, Können, Talent und Mut in Einklang standen, die saubere Spur die schnellste war. Man also das Gerät noch vor der Kurve stabilisierte. Und erst auf dem Scheitelpunkt das Fahrpedal wieder mit Gefühl zum Einsatz brachte. Heute bretterst Du mit dem 1,8-Tonnen-SUV mit der groben Kraft von über 500 PS auf die Biegung los, stauchst das Ding, auch mit reichlich Hilfe des ABS, heftig zusammen, ziehst schon wieder unter Kraft in die Kurve – und pinselst dann schon wieder voll runter, obwohl der Bogen noch kaum begonnen hat. Ja, wir tun das auch, ja, wir finden das auch fröhlich, die Reifen quietschen, die Maschine röhrt – nein, mit Beherrschung eines Fahrzeugs hat das kaum mehr etwas zu tun. Die Grenzen der Physik haben sich verschoben, auch deshalb, weil der Grip der Reifen und die Leistung der Rechner unfassbar geworden sind – es funktionieren heute Dinge, die noch vor den 10 Jahren auch den Profi hätten direkt in die Wand knallen lassen. Man muss aber Vertrauen haben – dabei helfen die 7:51,7 auf der Nordschleife sicher.
Es schmerzt auch ein wenig, irgendwie. Weil heute jeder Klappspaten ziemlich schnell kann. Das ESP und überhaupt die Rechner und dazu noch die Reifen machen es möglich. Ja, es gibt schon noch Unterschiede: Ist der Wagen per se sauber ausbalanciert, dann geht das alles noch einen Hauch besser. Doch das werden Normalsterbliche kaum feststellen können – und ein fast 1,7 Meter hohes SUV kann nicht gut ausbalanciert sein, auch wenn Alfa Romeo behauptet, dass der Schwerpunkt des Stelvio quasi gleich ist wie bei der Giulia. Schliesslich basieren ja beide auf der gleichen Plattform, unterschiedlich seien einzig die Höhe des Aufbaus (und die Bodenfreiheit…). Und doch gibt es ganz wichtige Unterschiede zwischen der Fahrmaschine Giulia QV und dem sportlichen SUV Stelvio QV: Heckantrieb vs. Allrad, all off im Race-Modus vs. Algorithmen-Hilfe. Zwar ist das Allrad-System des Stelvio prinzipiell als Hecktriebler ausgelegt, ausser halt eben dort in der Kurve, da gehen bis zu 50 Prozent weg von der Achse, die zu viel Grip beansprucht, sprich: nach vorne. Ja, das macht sogar schneller – leider.
Es fällt uns schwer, aber ja, selbstverständlich müssen wir die dynamischen Fähigkeiten des Alfa Romeo Stelvio Quadrifoglio loben (mussten wir ja kürzlich schon, solches, beim neuen Porsche Cayenne). Es ist Wahnsinn, was möglich ist, es ist unglaublich, wie das Gerät abgeht, 3,8 Sekunden für den Sprint auf 100, 283 km/h Höchstgeschwindigkeit. Die Maschine ist die gleiche wie in der Giulia QV, also jene drei Viertel des Ferrari-V8-Turbo aus dem California T, 510 PS bei 6500/min, 600 Nm maximales Drehmoment ab 2500/min. Sie tönt nicht ganz so gut wie in der Giulia, aber erfreulicherweise wird der Sound auch nicht irgendwie künstlich verstärkt – es ist grosses Kino, wie es halt nur die Italiener beherrschen. Geschaltet wird über die bekannte 8-Gang-Automatik von ZF, die halt richtig gut ist, klein und leicht, das Mapping hat Alfa der Charakteristik des Motors bestens angepasst.
Denn es geht auch ganz friedlich, das 4,7 Meter lange und 1,96 Meter breite SUV rollt schön friedlich einher, wenn man für einmal nicht den schweren Fuss haben will. Bleibt auch angenehm zurückhaltend ruhig in der Geräuschentwicklung (manchmal rollt er auch tatsächlich mit nur drei Zylindern, als Durchschnittsverbrauch werden genau 9 Liter angegeben). Andererseits: es ist einfach zu, sorry, geil, den Alfa ein bisschen zu scheuchen, die Sound-Kulisse animiert dazu, die Fahrleistungen noch mehr. Was wir uns vielleicht noch wünschen würden: eine Luftfederung, damit liessen sich die Wankbewegungen wohl noch etwas mehr unterdrücken. Und der Komfort auf schlechten Strassen noch etwas verbessern, wobei: das ist sehr ok, der Alfa ist nicht ganz so knochentrocken wie ähnliche Modelle anderer Marken. Und dann könnte der Alfa im Stand etwas tiefer auftreten, dynamischer wirken; irgendwie sieht er manchmal etwas komisch aus, oder? Aber das ist halt auch eine Preisfrage.
Das spürt (und sieht) man auch andernorts: Kein LED; sondern Xenon, nicht ganz alle Assi-Systeme, die heute bei anderen Premium-Marken in der Aufpreisliste stehen (gefehlt hat uns gar nichts), innen halt schon auch noch da und dort Plastik. Das Innenleben und Bediensystem entsprechen jenem der Giulia und günstigerer Stelvio 1:1, es gibt schon ein paar nette QV-Insignien, handgenähte Nähte an den Sitzen, Alcantara am (dünnen, genialen) Lenkrad. Die Platzverhältnisse sind anständig, das kann die Konkurrenz auch nicht besser, 525 Liter Kofferraum-Volumen sind gut (und kaum besser als bei der Giulia), maximal sind bei abgeklappten Rücksitzen 1600 Liter möglich. Bestens gefallen haben uns die Sitze, sie bieten sowohl feinen Langstrecken-Komfort wie auch guten Seitenhalt; die Karbon-Verschalung sieht zumindest sportlich aus. Ganz allgemein ist der Aussen-Auftritt des Stelvio QV aber erfreulich zurückhaltend – man sieht es kaum, dass es hier feiste 510 PS unterwegs sind. Und dass das Design des Stelvio gefällt, zeigt ja der Markt – in manchen Märkten hat das SUV die Limousine an der Verkaufsfront bereits überholt. Ist ja prinzipiell auch ein gutes Fahrzeug, das haben wir schon im Fahrbericht zum normalen Stelvio geschrieben.
Der Alfa Romeo Stelvio Quadrifoglio ist mit 104’500 Franken angeschrieben. Damit ist er das Schnäppchen unter den Super-SUV, zumal auch die Ausstattung schon ziemlich komplett ist. Ob er das Geld wert ist, diese Entscheidung wollen wir der Kundschaft überlassen: der Italiener ist in seinem Segment sicher das fröhlichste Gerät, agiler, frecher, emotionaler als die Konkurrenten. Und auch die Verarbeitung macht einen guten Eindruck. Ob der Aufpreis von fast 16’000 Franken gegenüber der Giulia QV gerechtfertigt ist, das ist eine Frage der automobilen Weltanschauung. In der Schweiz wird diese Stelvio-Variante sicher bestens funktionieren – auch wenn man kaum je die dynamischen Qualitäten wird erfahren können. Aber darum geht es ja eh längst nicht mehr. Die Watt-Fähigkeit liegt übrigens bei 48 Zentimetern, so solches bei einem SUV überhaupt interessiert.
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