Fahrbericht Alpine A110
Bitte lächeln!
Es ist ja auch sehr erfreulich, wenn es ein Hersteller in der heutigen Zeit noch wagt, einen komplett neuen Sportwagen auf die Räder zu stellen. Und dafür auch einen sehr grossen Aufwand betreibt, nicht nur am Fahrzeug selber, sondern auch sonst, eine neue Fabrik, eine neue Organisation – und das nicht für das x-te Elektro-Auto- oder Warmluft-Mobilitäts-Konzeptchen, sondern, eben: reine Fahrfreude. Gut, Renault hat auch lange genug über die Wiederbelebung der Marke Alpine geredet, doch die Konsequenz, mit der die Franzosen das ewige Projekt nun tatsächlich durchziehen, die darf man schon als beeindruckend bezeichnen. Selbstverständlich gibt es da auch Synergien, der neue 1,8-Liter-Motor, zum Beispiel, wird auch im Megane RS zum Einsatz kommen, aber es braucht halt schon auch viel Geld und viel Mut, um ein solches Unternehmen zu stemmen – und allein dafür dafür muss man den Franzosen schon dankbar sein.
Ganz klar: ja, sie ist sehr gelungen, die neue Alpine A110. Ja, vielleicht hätte das Design noch etwas extremer sein dürfen, frecher, doch die Franzosen hatten ja auch ein dickes Lastenheft bei dieser Neulancierung, es muss die Vergangenheit nicht bloss zitiert werden, sondern tatsächlich gelebt, sprich: kompakt und leicht, wie es die (frühen) Alpine einst schon waren. Bei der neuen Alpine A110 «First Edition», wie wir sie fahren durften, sind das dann 1103 Kilo (1080 sollen es sein beim «Pure», der dann noch nachgereicht wird), und die werden verteilt auf zierliche 4,18 Meter Länge, 1,80 Meter Breite und 1,25 Meter Höhe. KLar, Leichtbau, aber nicht mit teurem Karbon, sondern schön klassisch in Alu, viel Au, der Anteil von Aluminium an Aufbau und Fahrwerk beträgt 96 Prozent, das dürfte ein neuer Bestwert sein. Dazu kommt: es ist dies nicht nur aufwendig, sondern auch sehr schön gemacht, man möchte sich das Chassis als Gesamtkunstwerk gerne an die Wand hängen. Gebaut wird die neue Alpine in der alten Fabrik in Dieppe, wo die Marke immer schon ihre Heimat hatte – ein romantischer Aspekt, der aber nicht nur die alten Fans der Marke erfreuen wird.
Aber viel wichtiger jetzt, nach Jahren des Wartens: wie fährt sich das Gerät? Auch da sind wir prinzipiell voll des Lobes. Die Franzosen haben die neue A110 zu dem gemacht, was der legendäre Unternehmensbegründer Jean Rédélé schon mit dem Markennamen ausdrücken wollte: nicht den gnadenlosen, überpotenten Längsdynamiker für die Autobahn, sondern ein Spielzeug für Land- und Passtrassen, jene Kurven in den Alpen, welche die Quintessenz des sportlichen Fahrens sind. Ja, Fahrfreude, dieses so ausgelutschte Wort, wird hier in sehr reiner Form propagiert, gelebt. Das nicht adaptive Fahrwerk mit den doppelten Dreiecksquerlenkern vorne und hinten, eine Gewichtsverteilung von 44 Prozent vorne zu 56 Prozent hinten, eine wunderschön präzise, sehr direkte Lenkung machen die Alpine zu einer Fahrmaschine, wie es sie nur noch sehr selten gibt. Der Schwerpunkt liegt sehr tief und direkt unter dem Hintern des Fahrers, man fühlt sich mit dem Fahrzeug verwachsen – und hat auf Anhieb Vertrauen. Und Vertrauen ist gut, wichtig, wenn man einen Wagen flott bewegen will.
Erstaunt hat uns dabei, wie komfortabel die Alpine ist. Auf den nicht immer nur guten Gassen der untersten Kategorie in der Provence gefiel der Franzose auch deshalb, weil es einem nicht bei jeder Bodenwelle die Plomben aus den Zähnen schlägt. Und obwohl Federung und Dämpfung nicht bretterhart sind, neigt sich der Wagen kaum – die Abstimmung ist wirklich perfekt ausgelegt für eine fröhliche Ausfahrt am Sonntagmorgen, wenn unsere Freunde und Helfer noch im wohlverdienten Tiefschlaf sind. Auf der Rennstrecke fehlt dann allerdings die letzte Konsequenz, man spürt das vor allem beim Anbremsen aus höheren Geschwindigkeiten, da wird der Wagen dann schon etwas unruhig. Am schnellsten ist man dann, wenn man eine saubere Spur fährt, keine allzu nervösen Manöver durchführen muss – man darf ja nicht vergessen, es handelt sich hier um ein Mittelmotor-Auto, es kann schon auch um sich selber kreiseln, wenn man da zu abrupte Bewegungen macht. Das ESP lässt sich in allen drei Fahrfodi komplett deaktivieren, doch das ist eigentlich nicht nötig, es kommt spät und es kommt sanft – und wenn man dann wirklich tief in Problemen steckt, dann ist man durchaus froh um etwas elektronische Hilfe. Gut ist auch, wie viel Grip die doch eher spärlich bemessenen Reifen, vorne 205/40 R 18, hinten 235/40 R 18, aufbauen. Doch das ist halt die alte Rechnung: bei weniger Gewicht braucht es auch nicht so fette Gummis – was ja dann auch wieder hilft, das Gewicht zu verringern. Ach ja, die Bremsen: ausgezeichnet, von Brembo, vorne ein 4-Kolben-Festsattel, das wirft bei Bedarf massiv den Anker. Und lässt sich schön fein dosieren. Haben wir das vom Einfluss des geringen Gewichts nun oft genug erwähnt?
Mehr als nur anständig ist auch der Motor, 1,8 Liter Hubraum, vier Zylinder, Turbo, 252 PS und ein maximales Drehmoment von 320 Nm bei 2000/min. Obwohl das eine ziemlich klassische Maschine ist, so macht sie doch Freud, ein Turboloch ist kaum zu verspüren, die Kraftentfaltung ist erfreulich linear, er dreht schön bis 7000/min. Der Sound ist natürlich und auch deshalb gut, sicher besser als in den Porsche 718, die ja so ein bisschen die Konkurrenz darstellen – und es reicht locker aus, auch wenn 252 Pferde am Stammtisch nicht für die grosse Show gut sind. Die 4,5 Sekunden für den Sprint von 0 auf 100 scheinen realistisch, der stehende Kilometer in 23,2 Sekunden ist auch ein guter Wert, gegen oben wird die Alpine bei 250 km/h abgeriegelt. Aber eben, Höchstgeschwindigkeit ist ihr Ding nicht so sehr – Querbeschleunigung schon. Geschaltet wird über ein von Getrag für die Alpine entwickeltes 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe, das seine Arbeit unauffällig und folglich gut verrichtet.
Innen ist der A110 eher spartanisch eingerichtet. Doch das passt bestens zum Charakter des Wagens, es ist alles schön kompakt und übersichtlich – und teilweise wunderschön, etwa die Alu-Pedalerie. Selbstverständlich kann der Franzose alles, was es heute braucht an Connectivity und Zeugs, das Bediensystem ist gleich wie in den Renault, und damit lässt sich bestens leben, weil man es ja auch gar nicht braucht, wenn man sich auf die Fahrfreude konzentrieren will. Doch, ein Gimmick sei noch erwähnt: das von Focal entwickelte, ultraleichte Lautsprechersystem, das durchaus auch die Kraft, fette Bässe in den Wagen zu bringen. Noch wichtiger sind aber die von Sabelt entwickelten Schalensitze, die nicht nur gut aussehen, sondern auch nur gerade 13,1 Kilo wiegen – und besten Seitenhalt bieten. Es ist eng in der Alpine, aber nicht zu eng, auch grossgewachsene Piloten finden Platz (der Managing Director von Alpine, Mark van der sande, misst genau zwei Meter). Apropos Raum: zwei Kofferräumchen gibt es auch, eins vorne, eins hinten, 90 und 110 Liter, das reicht für das verlängerte Weekend in den Bergen.
Die voll ausgestattete «First Edition» der Alpine A110 kostet 62’000 Franken. Das ist dann deutlich unter einem Porsche 718 und auch unter dem Alfa Romeo 4C – andere Konkurrenten hat der Franzose derzeit nicht. Allein schon deshalb ist die Alpine mehr als eine Überlegung wert. Für den Aufwand, der für dieses Fahrzeug betrieben wird, scheint uns der Preis sein Geld sowieso wert, das ist ganz hohe Schule, die da in Dieppe betrieben wird. Und Fahrfreude in ihrer reinsten Form, die ist ja eigentlich sowieso unbezahlbar.
Mehr Renault haben wir in unserem Archiv.
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