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Presse-Arbeit, Influencer & Co.

Published in radical-mag.com

Ruch, wie er lenkt und denkt

Kürzlich wurde ausgewählten Pressevertretern in Maranello der Ferrari 812 Superfast vorgesetzt. «radical» war nicht dabei, es gab eine Termin-Kollision. Die sich hätte hinbiegen lassen, ein bisschen zupfen am Zeitplan, aber: es passierte halt nicht. Weil man nicht wollte? Weil wir eh zu mühsam sind? Etwas von der Sache verstehen? Superfast nicht einfach nur als «super schnell» kennen? Gefragt ist anscheinend nur noch Lifestyle, nicht technisches Verständnis, wahnsinnig wichtige Influencer sollen über die Anzahl und das Design der Cupholder schreiben, nicht über das Ansprechverhalten des V12-Saugmotors, magersüchtige Autorinnen in High-Heels können gefühlsduseln über ihr erstes Mal und den Fahrspass, wenn sie im roten Automobil vor die schickeste Insider-Pizzeria rollen.

In der Schweiz wird die Pressearbeit für Ferrari von einer PR-Agentur «erledigt», die auch andere Luxus-Produkte vertritt; von Handtäschchen und Hunde-Shampoo versteht man dort auf jeden Fall mehr als von Automobilen, den Ferrari erkennt die Agentur nur, wenn er in grossen Buchstaben angeschrieben ist. Auch die Kenntnis der Medien-Landschaft der Schweiz beschränkt sich auf die typischen Copy-Paste-Publikationen im Lifestyle-Bereich sowie ein paar Freunde des Hauses – die man dann als «Influencer» bezeichnet. Das soll keine Kollegen-Schelte sein, alle diese dort bei der 812er-Präsentation anwesenden Herren haben ihre Qualitäten, aber das einigermassen sportliche Bewegen eines Ferrari gehört eher nicht zu ihren Kernkompetenzen. Doch ist solches dann aber nicht eine Beleidigung von all den Ingenieuren und anderen Mitarbeitern, die sich jahrelang viel Mühe gegeben, ihr ganzes Wissen und Können investiert haben, damit der Ferrari 812 Superfast (wahrscheinlich) ein wirklich feines Produkt wird? Gehört es sich nicht, dem Fahrwerker zuzuhören, wenn er erklärt, wie man diese unglaubliche Kraft nicht nur in Längsdynamik ummünzen kann? Sollte man nicht so einigermassen wissen, von was der Getriebemensch spricht, wenn er von den Schaltzeiten plaudert, solches auch in einen Vergleich setzen können? Ja, auch «radical» wäre wohl überfordert gewesen von den 800 PS, die kann eh nur ein feiner Rennfahrer einigermassen ausfahren, aber wir hätten wenigstens gewusst, wieso.

Unser Credo ist, und so haben wir das vor Jahrzehnten gelernt, auch immer so gehalten: der Leser. Und selbstverständlich: die Leserin. Klar, wir haben auch ein ganz privates Freudchen, wenn wir den Kia Stinger über die Nordschleife prügeln dürfen, doch wir versuchen, das dann so in Worte zu fassen, dass der Leser auch versteht, warum wir gelächelt haben. Ja, wir geben damit ein Urteil ab, quasi auch eine Kaufempfehlung oder zumindest ein paar Hinweise darauf, ob sich die Evaluation genau dieses Fahrzeugs lohnen könnte. Aber wir tun das ganz sicher nicht für den Hersteller, sondern einzig und allein: für allfällige Kunden. Wir können das jeweilige Automobil ja so ein wenig einordnen, vergleichen, beurteilen, verstehen etwas von der Sache, können Sportlichkeit von einem Sportmodus unterscheiden, wissen halt, wie grossartig die Ingenieursleistung sein muss, damit ein Fronttriebler-Civic-Type-R auch bei einer Vollbremsung aus hoher Geschwindigkeit stabil bleibt, können erklären, was beim Porsche 911 GT3 ein starrer Ventiltrieb ist und was er bringt. Und ja, wir wollen auch ein bisschen Unterhaltung bieten – das Lächeln weitergeben, wenn es denn eines war. Denn es kann ja nicht jeder so einen Stinger oder Superfast kaufen.

Doch: es ist, wie es ist. Was bei Ferrari passiert, ist nur ein Ausdruck dafür, wie es um die ganze Branche steht. Die Zeiten, als das Urteil eines kompetenten Auto-Journalisten noch etwas galt, die Hersteller auch zuhörten und fremdsprachige Texte übersetzten und die Ingenieure diskutieren wollten, die sind eh längst vorbei. Seit vielen Jahren schon sorgt der Inseratedruck dafür, dass sich die Schreiberlinge auch mit der sanftesten Form von Kritik heftig zurückhalten müssen. Doch will der Leser denn immer nur Halleluja, das Beste oder nix – will er wirklich Bildchen sehen vom Mittagessen, das dem Schrieberling (oder eben: Influencer) serviert wurde? Oder sind die Leserin und der Leser nicht in erster Linie darauf angewiesen, dass man ihnen «die Wahrheit» vermittelt? Es wird immer schlimmer, schon der leiseste Ausdruck einer eigener Meinung wird mit schwarzen Listen abgestraft; am übelsten gebärden sich dabei die Premium-Hersteller, da soll sich der Journalist in erster Linie glücklich schätzen, dass er sich überhaupt in ein solch tolles Produkt aufs Leder einer geschützten Tierart setzen darf. Jüngstes Beispiel aus der Schweiz, mehrfach verbürgt: Wer einen 7er-BMW fahren will, wird vorab darüber informiert, dass kein Testbericht erwartet wird, sondern etwas «Besonderes», mehr so: Lifestyle. Wir fragen uns dabei: wo bleibt der Kunde, der sich gerne über ein Produkt informieren möchte? Und was darf denn der Ingenieur noch erzählen, so ein «Influencer» versteht da nicht einmal Bahnhof.

Dass es so weit kommen musste, hat viel damit zu tun, dass der einst hoch geachtete Job eines Pressesprechers zu einer Handlanger-Funktion für die Marketing-Abteilung verkommen ist, an diesen Stellen nicht mehr Ausstrahlung und Kompetenz gefragt sind, sondern mehr so – keine Ahnung. Man darf sich aber schon wundern, weshalb dem so ist, redaktionelle Berichterstattung ist und bleibt wertvoller und glaubwürdiger (und auch noch: viel günstiger) als das grossflächigste Inserat, das schönste Plakat, die wildesten Banner. Das Problem liegt wohl darin, dass die Marketing-Spezialisten keine Ahnung mehr haben, wie sie denn zusammen mit ihren Medien-Agenturen die PR-Millionen raushauen sollen, wenn eh kaum jemand noch die Print-Erzeugnisse anschaut. Immer weniger Menschen noch auf Messen rumlungern. Und einigermassen g’scheite Online-Kampagnen fehlen – dies wohl auch deshalb, weil sich ihr Erfolg auf den Klick genau messen lässt. Was dann halt eben auch aufzeigen würde, wie Scheisse die teure Idee war – zwei Dutzend «likes» auf Facebook für ein paar Zehntausend Franken Produktionskosten, das ist halt nicht so doll. Da kauft man sich lieber die Liebe eines Instagramers, der schreibt ja zum Glück auch nix Böses.

Ach ja, Geld: die so wichtigen, mächtigen Medien-Agenturen verdienen an schönen, kompetenten Stories nichts, sind folglich auch nicht daran interessiert. Aber sie müssen ihre Algorithmen, die für Zahnpasta, Netzstrumpfhosen und Premium-Automobile das immer gleiche Werbepublikum ausspucken, ja irgendwie anwenden; gewinnen können da nur die Verlage mit den heftigsten Pay-Backs, den wildesten Parties und dem kühlsten Champagner. Sich kleinteilig um echte Kunden, das tatsächliche Zielpublikum zu kümmern, das wäre ja Arbeit, das muss nicht sein.

Es ist uns auch klar: Die Industrie braucht Dingers wie «radical» wie der Teufel das Weihwasser. Sie braucht kein Wissen (hat sie ja selber massig), sie will keine Zusammenhänge aufgezeigt kriegen (fake news), sie mag keine Kompetenz (wird überschätzt), sie will keine Vergleiche (extrem unnötig), sie mag Menschen nicht, die nicht so schnell vergessen wollen. Die Industrie will schönfarbige Videos, nicht klare Worte; die Industrie will «dedicated followers», nicht eigene Meinungen und Einordnungen und erst recht nicht den Blick über den Zaun. Sie will uns, sprich: den Journalisten, den Lesern, den Kunden, auch ganz viel Mist auf die Nase binden – und wenn man den nicht auf den Knien beklatscht, dann ist man eh der Depp. Als Kunde, als Leser, als Journalist.

Mercedes geht unterdessen so weit, dass der «content» gleich inhouse produziert wird, wirklich tolles Zeugs, feine Filme, bunte Bilder, warme Worte, da können auch gut bestückte Redaktionen nicht mithalten; geneigten Medien werden diese grossartigen Inhalte mit entsprechender Advertising-Unterstützung schmackhaft gemacht. Aus der Presse-Abteilung wird in absehbarer Zukunft ein Call-Center, das sich noch um Preisanfragen sowie Passwort-Probleme beim Herunterladen des «paid content» kümmern darf. Auch das ist verständlich, irgendwie: der Finanzer und sein Freund, der Controller, wollen einen anständigen «return on investment», ganz genau wissen, wie viele Rappen der «Facebook»-Kontakt kostet – und sie wollen ganz sicher keine wild herumirrenden Autoren, denen die Farbe des Testwagens nicht passt. Oder den Verbrauch als zu hoch empfinden. Oder gar das Verhältnis von Preis zu Leistung als kläglich beurteilen. Und die solches allfälligen Kunden dann auch noch mitteilen wollen.

Andererseits: Hat die Menschheit dann endlich begriffen, dass «owned media» der alleinige Weg zur Glückseligkeit sind, dass Mercedes am besten über Mercedes berichten kann, dann. Ja, was dann? In den nicht subventionierten Medien wird der Leser, auch wenn er Mercedes-Fan ist, quasi gezwungen, auch einmal etwas über einen Audi zu lesen. Das erweitert, vielleicht, seinen Horizont; wenn dann aber nur noch Mercedes-Fans die Mercedes-Elogen lesen, dann funktioniert das Nervensystem des Kapitalismus nicht mehr: der Wachstum. Die Stuttgarter geben unterdessen auch international keine Fahrzeuge mehr her für Vergleichsfahrten, wollen gar befreit werden von der Last zur Wahl von «Car of the Year» (weil man dort ja auch vergleicht). Solches Verhalten ist nicht nur lächerlich, es ist eine Frechheit, eine Tragödie. Und es wird Schule machen.

Es ist leider zu befürchten, dass leserorientierten Medien die Arbeit in Zukunft weiter erschwert wird. Wenn wir dann auch keine Testwagen mehr kriegen, dann wird es schwierig. Zwar können wir diese Sperren derzeit noch einigermassen gut umgehen, man hat ja Beziehungen, man ist (noch) in gewissen Gremien, man weiss sich zu wehren. Wir wiederholen uns hier: Wir machen das alles nicht für die Hersteller, sondern für unsere Leser. Den Kunden, der König sein soll. Da haben grosse Teile einer grossen Industrie etwas komplett falsch verstanden.

Der Beitrag Presse-Arbeit, Influencer & Co. erschien zuerst auf radicalmag.