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Test Alfa Romeo Stelvio

Published in radical-mag.com

Alfa Romeo – oder SUV?

Ja, definitiv, man darf «radical» durchaus zum Kreis der hardcore-Alfisti zählen. Ja, wir sind bei einem Alfa Romeo vielleicht sogar ein bisschen voreingenommen, sicher aber nachsichtiger als bei gewissen anderen Produkten, wir finden die neue Giulia wunderbar, bei der Quadrifoglio ist es wohl sogar so etwas wie Liebe. Und jetzt dies: der Stelvio ist unser Ding so rein gar nicht. Damit das von Anfang an klar ausgedrückt ist: das ist ein absolut sujektives, sehr persönliches Empfinden, das wenig mit dem Fahrzeug selber zu tun hat, aber viel mit dem weiterhin am schnellsten wachsenden Fahrzeug-Segment. Auch das italienische SUV bestätigt alle Vorurteile, die wir gegen diese Bauart haben, unnötig gross, weniger Fahrfreude, zu durstig, etc.. Trotzdem hoffen wir, dass der Stelvio zu einem grossartigen Erfolg wird für die italienische Marke, ganz viel Geld in die Kasse spült – damit Alfa Romeo in Zukunft wieder echte Alfa Romeo bauen kann. Denn der Stelvio ist so wenig ein Alfa Romeo wie ein Cayenne ein Porsche ist, ein SUV ist ein SUV ist ein SUV, auch wenn Alfa (oder Porsche) draufsteht.

Mit dem Stelvio ist den Italienern sicher ein sehr adrettes Fahrzeug gelungen. Noch selten haben wir in einem Automobil so viele anerkennende Blicke, erhobene Daumen erleben dürfen, beim Publikum scheint der Alfa bestens anzukommen. Und doch, so harmonisch die Linien auch sein mögen, so elegant der Stelvio im Vergleich zu X3 und Q5 (beim Stern haben wir die Übersicht längst verloren) auch wirkt – er ist halt doch ein Brocken. Es ist die Höhe, die (uns) stört, die ja auch rein gar nichts bringt ausser Höhe, plus 22 Zentimeter im Vergleich zur Giulia – und dann stimmt es uns erst recht traurig, dass es keinen Kombi von der Giulia geben wird, denn es gibt ja schon den Stelvio. Ja, es ist unsere alte Leier vom SUV-Unsinn, zumal der Stelvio ja quasi baugleich ist wie die Giulia. Mehr Platz? Nope. Mehr Kofferraum? 45 Liter mehr, also 525 Liter – so what? Mehr Gewicht? Es sind, auf dem Papier, gut 400 zusätzliche Pfunde. Mehr Durst? Davon muss man ausgehen, mehr Gewicht, eine grössere Fläche im Wind; wir können es allerdings nicht direkt mit der Giulia vergleichen, weil wir die entsprechende Motorvariante (2-Liter-MultiAir-Turbo, 280 PS) der Limousine noch nicht ausführlicher gefahren sind. Beim Stelvio (nach Norm: praxisfremde 7 Liter – warum ist das, übrigens, genau gleich wie bei der 200-PS-Variante? Giulia: 6,4 Liter) waren es zwischen 9,2 (ganz ok) und fast 12 Litern (Fahrmodus D). Letzteren, also Dynamic, können wir nicht dringend empfehlen, der Wagen wird ziemlich ruppig.

Der stärkere der 2-Liter-Vierzylinder-Turbo passt immerhin ganz gut zum Charakter des SUV. Er verfügt über reichlich Drehmoment schon bei tiefen Drehzahlen (max. Drehmoment 400 Nm bei 2250/min), die Kombination mit dem 8-Gang-Automaten, der sowohl schnell wie auch sauber schaltet, darf als sehr gelungen bezeichnet werden. Allerdings: wird unvermittelt viel Leistung eingefordert, dann hat unser Proband mehr als einmal einfach gar nichts geliefert, pedal to the metal, aber Vorwärtsdrang eher null; komisches Gefühl. Den Überholversuch mussten wir also verschieben. Andererseits: das mehr so beschauliche Gleiten passt eh besser zu einem SUV, der Alfa ist sehr angenehm komfortabel, der Vierzylinder versieht seinen Dienst in eher zurückhaltenden Tonlagen – das kennen wir von Alfa Romeo glücklicherweise ja auch ganz anders (siehe Erinnerungen an den 8C, siehe auch diverse Texte zum 4C). Glücklich macht uns dieses zwangsbeatmete Vierzylinder-Gesurr allerdings nicht, unsere Erwartungshaltung ist bei einem Alfa Romeo halt anders. Geradeaus geht er bestens (5,7 Sekunden von 0 auf 100 km/h, Höchstgeschwinigkeit 230 km/h), auch längere Reisen wird man im Italiener gerne unternehmen.

Also: komfortabel. Das würden wir jetzt nicht an oberste Stelle in unser persönliches Lastenheft für einen Alfa Romeo schreiben, doch «komfortabel» trifft es beim Stelvio ziemlich gut. Ja, für ein SUV mag das alles ziemlich sportlich sein, auch sportlicher als die üblichen Verdächtigen (Ausnahme: Porsche Macan mit Performance Package), doch ist da auch reichlich Seitenneigung und zu viel Rollbewegung; die ganz grosse Fahrfreude wird sich da nicht einstellen, für die Kuvenhatz nimmt man sich gerne ein anderes Modell. Dies trotz guter Bremsen. Dies trotz der wahrscheinlich besten Lenkung im Segment. Wir hatten den Stelvio im ersten Fahrbericht vielleicht ein bisschen zu sehr gelobt für sein Fahrverhalten; eine ausführliche Tour über Berg und durch Tal sowie entlang der Seen im Tessin/Norditalien zeigte dann mehr die Grenzen auf. In den engen Gassen hatten wir tatsächlich auch Mühe mit der Grösse (4,69 Meter lang, 1,9 Meter breit, 1,65 Meter hoch) – und mit dem extrem nervenden Ton der Abstandswarner. Erste Handlung nach dem Starten: Ausschalten.

(Es gibt noch viele andere Dinge, die nerven. Dass meist (wir konnten keine sinnvolle Regelmässigkeit feststellen) die elektronische Handbremse aktiviert wird, wenn man den Rückwärtsgang einlegt. Dass es eine Ewigkeit dauert, bis das Navi wieder sichtbar wird, nachdem man im Rückwärtsgang war. Dass die elektrische Heckklappe manchmal geht und öfter halt nicht. Dass man die auf dem Tempomat eingestellte Geschwindigkeit nur mit der Lupe erkennt. Dass das DAB-Radio seinen Dienst komplett verweigert, wenn das Signal des eingestellten Senders schwach ist. Oh ja, wir haben im Stelvio geschimpft wie schon lange nicht mehr – machten uns dabei allerdings schon auch Gedanken darüber, wie viel komplett unnötige Elektronik mittlerweile in die Autos eingebaut wird, da steht der Stelvio ja nicht allein, wir hatten das ja kürzlich schon bei einem Volvo bemängelt. Bedienerfehler? Durchaus möglich.)

Innen, doch, wenn man gerne hoch oben sitzt, dann sitzt man im Stelvio gut; die Sitze passen bestens, gute Mischung aus bequem und genügend Seitenhalt. Sonst ist alles gleich wie in der Giulia, und wir sind da jetzt nicht hin und weg, geblendet vor lauter Schönheit, doch das ist alles modern und zeitgemäss, auch das Bediensystem, Connectivity, Infotainment. Assi-Systeme gibt es (noch) nicht ganz in der Fülle der Leader in diesem Segment, doch erstens wird da fleissig aufgerüstet, und zweitens: es ist uns das jetzt schon zu viel, siehe weiter oben.

Es ist – wahrscheinlich – so: Abgesehen von ein paar Kleinigkeiten ist Alfa Romeo mit dem Stelvio ein gutes, sogar sehr gutes SUV gelungen. Es sieht – für ein SUV – gut aus, es fährt sich – für ein SUV – auch ganz gut, der Antrieb bildet eine feine Einheit, die sich sicher nicht vor der Konkurrenz zu verstecken braucht; auch innen ist das alles mehr als nur anständig gemacht. Als sehr komplett ausgestattete «First Edition» mit dem 280-PS-Motor, dem absolut kompetenten Q4-Allradantrieb und feinen Fahrleistungen kostet der Stelvio 64’100 Franken, dafür kriegt man bei der Premium-Konkurrenz einen feuchten Händedruck des weissbesockten Verkäufers und ein Informationsblatt der Leasing-Gesellschaft. Preis und Leistung stehen in einem richtig guten Verhältnis beim Italiener, sprich: es gibt rational eigentlich kaum Gründe, die gegen den Stelvio sprechen. Dass wir mit dem SUV nicht warm werden, ist ganz allein unser Problem, doch Fakt ist schon auch: Der Stelvio mag ein praktisches SUV sein – ein Alfa Romeo ist er nicht.

Mehr «richtige» Alfa Romeo haben wir in unserem Archiv.

Der Beitrag Test Alfa Romeo Stelvio erschien zuerst auf radicalmag.