Ferrari 250 GTE 2+2
Aller Anfang
Als Ferrari im Frühsommer 1960 ankündigte, sein jüngstes Modell der 250er-Reihe in Le Mans vorstellen zu wollen, war die Spannung natürlich gross – allgemein wurde ein Sportmodell erwartet, vielleicht sogar ein neuer Rennwagen. Zwar gab es dann beim Rennen den weiter verbesserten 250 Testa Rossa zu sehen (Gendebien/Frère holten damit auch den Gesamtsieg), doch vor dem Feld her fuhr tatsächlich ein komplett neues Modell von Ferrari, der 250 GTE 2+2 – als «Pace Car». Der grosse Auftritt war dem ersten Viersitzer aus Maranello sicher, die gute Show der Präsentation als «Pace Car» hatte sich Maranello in den USA abgeschaut, wo solches bei Indy 500 eine schöne Tradition hatte.
Natürlich war der 250 GTE 2+2 nicht wirklich der erste Viersitzer von Ferrari, es hatten schon andere Modelle mehr als zwei Plätze gehabt. Doch das waren immer Sonder-Modelle gewesen, zumeist Einzelstücke: der 250 GTE wurde aber in Serie gebaut. Und das höchst erfolgreich: bis 1963 entstanden (wahrscheinlich) 950 Exemplare, damit war der 2+2 der bis dahin mit Abstand meistproduzierte Ferrari überhaupt – und damit markiert er auch den Übergang von der Kleinst-Manufaktur zu einem ernsthaften Hersteller. Ferrari verdiente auch richtig gut Geld mit diesem Modell, das in den USA 11’500 Dollar kostete und in der Schweiz mit stolzen 46’000 Franken angeschrieben war. Dafür erhielt man auch einen Spider California – oder etwa neun VW Käfer.
Da es sich beim 250 GTE (der 1960 offiziell noch Granturismo Coupé Pininfarina 2+2 hiess, erst 1963 wurde er umgetauft) um einen klassischen 250er mit langem Radstand (LWB, also 2,6 Meter) handelte, musste schon etwas technischer Aufwand betrieben werden, damit die zwei zusätzlichen Sitze (Zitat «Automobil Revue»: «die hinteren Sitze können zwei nicht allzu korpulente Fahrgäste aufnehmen») eingebaut werden konnten. Der Motor rückte etwas weiter nach vorne, hinten wurde der Aufbau deutlich verlängert. Und so mass der GTE dann stolze 4,7 Meter (30,5 Zentimeter mehr als das 250 GT Coupé). Auch in der Breite wuchs er um sechs Zentimeter (auf 1,71 Meter), in der Höhe um vier (auf 1,34 Meter). Das Gewicht betrug nach Angaben von Ferrari leer 1280 Kilo (ein von «Road & Track» gewogenes Exemplar kam dann aber auf stolze 1575 Kilo…), das Kofferraumvolumen 315 Liter.
Das Design stammte von Pininfarina – und man darf es als unbedingt gelungen bezeichnen. Man sah dem GTE seine Grösse nicht an, die Länge konnte harmonisch versteckt werden. Die «Automobil Revue» schrieb in einem ersten Fahrbericht 1961: «Der neue Ferrari fällt in seiner dezenten Eleganz wohl nur dem Kenner auf: ruhig verlaufen seine Linien, jeder unnötige Zierat fehlt; alles scheint auf Zweckmässigkeit ausgelegt». Es war klassischer Sportwagenbau, eine Stahl-Karosse auf einem Elliptikrohrrahmen, vorne gab es die beim 250 GT üblichen Trapez-Dreieckslenker mit Schraubenfedern, hinten die damals noch übliche Starrachse. Immerhin gab es schon Scheibenbremsen rundum – und sogar so etwas wie einen Servo von Bendix.
Als Antrieb diente der altbekannte Colombo-Motor, also der 3-Liter-V12, der allerdings unterdessen in der Version 128E angekommen war und 240 PS schaffte. Wieder einmal war die «Automobil Revue» begeistert: «Beim Druck auf den Anlasser heulen die zwölf Zylinder sofort auf, und schon ist wieder das begeisternde Gefühl da, welches nur eine Fahrt im Ferrari zu vermitteln vermag. In der Stadt fährt sich dieses mit 240 PS ausgestattete Auto genau so kultiviert wie jeder Tourenwagen; auch im dichten Verkehr genügen der 2. und 3. Gang vollauf; der erste wird nur zum rasanten Anfahren verwendet. Das grosse Erlebnis beim Fahren eines Ferrari ist ja immer wieder die erstaunliche Elastizität des Motors, der gleichzeitig zu rennsportwürdiger Beschleunigung fähig ist». «Road & Track» mass im August 1962 für den Sprint von 0 auf 60 Meilen genau 8 Sekunden, die Höchstgeschwindigkeit lag bei 241 km/h – und schrieb: «Der Kenner, der sich einen leisten kann, möchte nichts anderes».
1963 wurde der 250 GTE 2+2 noch einmal sanft überarbeitet (wir zeigen unten ein Modell aus der dritten Serie), es folgte dann schon bald der 330 America, optisch genau gleich wie sein Vorgänger, aber halt mit 4 Liter Hubraum. Lange Zeit waren diese 2+2-sitzigen Ferrari knapp gut als Teilespender für die viel höher gehandelten «echten» Sportwagen, doch in jüngerer Vergangenheit hat sich ein guter Markt entwickelt für diese komfortableren Modelle. Im Verhältnis zu einem 250 GT Coupé ist so ein 250 GTE 2+2 aber weiterhin ein Schnäppchen.
Die Übersicht über alle unsere Stories zu den 250 GT mit langem Radstand gibt es hier. Wir haben auch noch eine schöne Sammlung von Ferrari-Geschichten aus Anlass des 70. Geburtstag der Marke, hier. Und andere feine Wagen sind zu finden in unserem Archiv.
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