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Jeremy Clarkson

Published in radical-mag.com

Würden Sie diesem Mann Ihr Auto anvertrauen?

Jeremy Clarkson ist pissed. Sagt er auch gleich so. Nicht «guten Abend» oder sonst etwas Nettes, nein, er sagt: «I’m pissed». Er hat gerade erfahren, dass in Ludwigsburg gegen seine neue Show «The Grand Tour» demonstriert wird, dass es in Stuttgart Feinstaub-Alarm gibt – und dann war da noch diese Journalistin, die ihn über Elektro-Autos belehren wollte. Der 56-jährige Engländer, der Interviews so sehr hasst wie den Toyota Prius, der auch mal Mitarbeiter schlägt, der die Mexikaner in bester Donald-Trump-Manier als «faul, nutzlos und aufgeblasen» bezeichnet hat, schmollt, sitzt mit verschränkten Armen am Tisch, suhlt sich – gern – in seiner miserablen Laune. Da hilft nur dem Interviewer nur noch etwas.

«radical»: Was macht Alfa Romeo für Sie zu einer so besonderen Marke?

Dazu muss man wissen: Clarkson liebt Alfa Romeo – er hat einmal gesagt, dass man(n) als wahrer Petrolhead einmal einen Alfa besessen haben muss. Vielleicht liebt er Alfa Romeo auch nur, weil seine beiden Co-Kommentatoren Richard Hammond und James May die italienische Marke hassen. Wobei: er hat sich gerade eine Giulia Quadrifoglio gekauft, seine Augen leuchten, wenn er von diesem Wagen spricht, 510 PS, er beugt seinen riesigen Kopf vor, «pissed» war einmal.

Clarkson: Sie kennen das, diese Freunde, die immer pünktlich sind, einen Blumenstrauss mitbringen, keine Meinung haben – und um halb zehn wieder brav nach Hause gehen? Die sind langweilig, die will ich nicht in meinem Haus haben. Mir sind die Jungs lieber, die zu spät kommen, schon angetrunken sind, politisch nie korrekt, alle Frauen im Raum anbaggern – und dann auf meinem Sofa ihren Rausch ausschlafen. So sehe ich das auch mit dem Autos. Und den Alfa.

Gut, Clarkson ist ein geübter Phrasen-Drescher. Aber Clarkson, der seine berufliche Karriere als Verkäufer von Paddington-Bären begann, ist immer brilliant, schriftlich, mündlich, er denkt schnell, er hat ein breites Wissen, nicht nur über Autos. Die spröde Auto-Show «Top Gear» von BBC, in der er 1988 erstmals auftrat und die er ab 2002 leitete, machte er zu einer der beliebtesten Fernseh-Sendungen der Welt, bis zu 350 Millionen Zuschauer haben zugesehen, wie Clarkson am Nordpol aus einem Toyota ausstieg – und sich gleich mal einen Gin Tonic genehmigte. Sein Rauswurf 2015, nachdem er Oisin Tymon geschlagen hatte, war der Todesstoss für das Format, an dem BBC vorher, gemäss Clarkson, Hunderte von Millionen verdient hatte (und er ein paar sicher nette Bruchteile mit, denn er war an den Verkaufserlösen prozentual beteiligt).

«radical»: Was ist der grösste Unterschied zwischen «Top Gear» und «The Grand Tour»?

Clarkson: Es ist unsere gottverdammt eigene Sendung [ja, da ist irgendwo das F-Wort, die Red.]. Wir haben alles selber erfunden, das heisst: ich habe alles erfunden, wir zahlen alles selber, wir produzieren alles selber. Es redet uns niemand mehr rein, keine Krawattenträger, keine Sponsoren, kein Zuschauerrat, einfach niemand. Wir haben jetzt eine eigene Firma, James, Richard und ich – und wir haben ja nicht die geringste Ahnung, wie das alles funktionieren soll.

«radical»: Ist das nicht ein bisschen langweilig, schon wieder eine Auto-Sendung zu machen?

«The Grand Tour» ist eigentlich nichts anderes als die Sendung, die Clarkson, Hammond und May bisher für «Top Gear» machten. Drei ältere Herren fliegen um die Welt, fahren die irrsten Sportwagen, machen ein paar andere Autos kaputt – und versuchen sich gegenseitig mit dummen Sprüchen zu überbieten. Das hat bisher funktioniert, das wird weiterhin funktionieren – auch wenn die Sendung jetzt auf Amazon Prime läuft und nicht mehr gratis auf den öffentlich-rechtlichen Sendern. Das Trio verkauft automobile Träume – und der Zuschauer kauft sie ihnen noch so gern ab. Denn jeder – das Publikum ist zu einem sehr grossen Teil männlich -, der auch nur einen Tropfen Benzin im Blut hat, würde ja noch so gern mit den drei Engländern tauschen, auch einmal Ferrari LaFerrari, McLaren P1 und Porsche 918 Spyder fahren (einer der Höhepunkte der ersten Staffel). Die Zuschauer, bei «The Grand Tour» in ein Zelt gepfercht, sitzen quasi am Stammtisch mit ihner Helden.

Clarkson: Wie war die Frage? Äh, nein.

«radical»: Welches war der aussergewöhnlichste Moment für Sie bei der Produktion von «The Grand Tour»?

Clarkson: Als wir unser erstes eigenes Büro in London zum ersten Mal betreten haben. Ein neuer Lebensabschnitt.

Jetzt will Clarkson, Vater von drei Kindern und kürzlich geschieden von seiner ehemaligen Managerin, unbedingt eine Zigarette rauchen – er hat au seinem Drang hin zu geistigen Getränken nie einen Hehl gemacht.

«radical»: Welches ist das schlechteste Auto, das Sie je gefahren sind?

Clarkson: Ein FSI Polski. Nein, eigentlich nicht, der Audi Q3 ist noch schlimmer. Läuft das Tonband noch?

Und dann, als die Aufnahme abgeschaltet wird, schwingt er die Keule, den Zweihänder, er wettert gegen den Audi («das Auto und der Hersteller wecken Erwartungen – und beide können sie nicht erfüllen») und andere Premium-Hersteller («die machen sowieso alles gleich, ich sehe keine Unterschiede mehr»), gegen die E-Mobilität («woher soll all dieser Strom kommen?»), gegen die Formel 1 («da bestimmen eh die Funktionäre») und gegen die Formel E («wie langweilig!»). Es ist noch schwierig festzustellen, ob er einfach eine Rolle spielt, ob er einfach gerne der automobile Antichrist ist – oder ob er wirklich etwas zu sagen hat.

«radical»: Freuen Sie sich auf das autonome Gefahrenwerden?

Clarkson: Ja.

«radical»: Ein schönes Bild: Clarkson wettert auf dem Rücksitz gegen Gott und die Welt…

Clarkson: Nein, ernsthaft, ich freue mich auf all diese autonom fahrenden Autos. Für mich als Journalist wird das ein grossartiges Thema werden. Es kann gar nicht funktionieren.

«radical»: Sehen wir auch so – es funktioniert ja nicht einmal, dass man problemlos ein Blatt Papier vom Computer ausdrucken kann…

Clarkson: Guter Punkt, den nehm ich. [Hat er dann auch getan – und gleich in die nächsten Interviews eingebaut.]

«radical»: Das beste Auto, das Sie in diesem Jahr gefahren sind?

Clarkson: Sie werden jetzt sagen, dass ich als Engländer das ja sagen muss, doch für mich ist der Aston Martin DB11 schon ein Höhepunkt. Bisher sahen die Aston ja gut aus, aber zum Fahren waren sie mehr so – mittelmässig. Der DB11 ist jetzt aber ein ganz hervorragendes Gerät geworden. Beeindruckend.

Gern wird vergessen, dass Jeremy Clarkson durchaus Ahnung hat von Automobilen. Er ist ein hervorragender Fahrer, bei den Filmaufnahmen sind keine Stuntmen am Steuer, sondern wirklich Clarkson, May und Hammond, er hat 30 Jahre Erfahrung in der Branche, er verfügt privat über einen ziemlich beeindruckenden Fuhrpark, jetzt einmal abgesehen von Giulia. Wenn er sich auf einem Gebiet überschätzt, dann sicher eher bei seinen schauspielerischen Fähigkeiten, da wirkt er zumeist ziemlich hölzern.

«radical»: Haben Sie nach all den Jahren überhaupt noch Freude am Autofahren?

Clarkson lehnt sich zurück, lächelt sein Schulbuben-Lächeln: Oh, ja.

(«radical» führte dieses Interview im Auftrag der «PS Welt» vor der ersten Ausstrahlung von «The Grand Tour». Die Staffel läuft unterdessen – mit grossartigem Erfolg, sie hat alle Rekorde von Amazon Prime bereits gebrochen, die Bewertungen der Zuschauer sind hervorragend. Und das ist auch gut so, die Auto-Welt braucht solche Sendungen sicher dringender als die missglückten Auftritte von von VW-Konzern-Chef Matthias Müller.)

Der Beitrag Jeremy Clarkson erschien zuerst auf radicalmag.