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Lancia Stratos

Published in radical-mag.com

Spielzeug

Einst am Julier, es war dunkle Nacht und auch schon bitterkalt, sämtliche Freunde und Helfer lagen längst zur Ruh‘, da lief ich mit einem ausgeliehenen Lancia Stratos HF Stradale auf einem recht flott fahrenden 911er neueren Jahrgangs auf. Ich wollte zügig dran vorbei, doch das gefiel ihm gar nicht, er wehrte sich. Und auf den langen Geraden hatte ich keine Chance, an ihm vorbei zu kommen, in den Dörfern fuhr ich korrekt, da konnte er wegziehen, doch schon zwei, drei Kurven später hatte ich ihn wieder. Doch als er merkte, dass ich deutlich schneller hätte können, da wurde er nicht nur langsamer, sondern auch sehr breit. Weit oben am Pass schon, dort, wo die Kurven dann sehr eng werden, da machte er dann allerdings den entscheidenden Fehler: er holte zu weit aus. Und das reichte dann locker für: innen durch. «Mein» Stratos mass nur gerade 3,78 Meterchen (bei 1,75 Breite und 1,10 Höhe), der passt noch in manche Lücke. Ich sah den Porsche nie wieder, der steht wohl jetzt noch da und hat die Hose voll.

Ohja, der Stratos ist die wahre «bitch». Die nur gerade 2,18 Meter Radstand machen den Lancia zwar unglaublich agil, aber der kurze Radstand zusammen mit dem Mittelmotor – das ist auch der Gipfel der Nervosität. Das Ding dreht sich so schnell, dagegen fühlen sich frühere 911er an wie Flugzeugträger. Setzt sich das Heck einmal in Bewegung, dann ist eigentlich schon alles verloren, weil auch die Lenkung extrem schwergängig ist, das Kurbeln am Lenkrad meist mit einem Knoten in den Armen endet. Von den wahrscheinlich 492 gebauten Stratos endete eine erschreckend hohe Anzahl in Leitplanken und Wänden, mit häufig hässlichen Folgen für den Piloten, denn vorne ist nichts ausser ein bisschen Plastik. Wer schon einmal so ein Teil fahren durfte, der muss höchste Achtung haben vor den Rallye-Piloten, die den Stratos so gut im Griff hatten, dass es Lancia 1974, 1975 und 1976 zur Marken-Weltmeisterschaft reichte.

Als Vater des Lancia Stratos wird gerne der Stratos Zero genannt, eine Studie, die Bertone 1970 erstmals auf der Motor Show in Brüssel (nein, nicht in Turin) gezeigt hatte. Marcello Gandini, immer wieder er, hatte diesen Keil gezeichnet, der nur 84 Zentimeter hoch ist (bei 3,58 Meter Länge) und vom aussergewöhnlichen 1,6-Liter-Vierzylinder aus der Fulvia angetrieben wird. Man kann lange darüber diskutieren, ob der Stratos Zero nun wirklich die Vorlage für den Stratos HF war, der ein Jahr später, 1971, auf der Turiner Motor Show erstmals gezeigt wurde. Wir wagen einmal die Aussage, dass er höchstens als Inspiration gedient haben kann, denn der Zero wäre absolut untauglich gewesen als Rallye-Auto.

Aber ein Rallye-Auto, das war genau das, was Cesare Fiorio, Rennleiter von Lancia, damals brauchte. Zwar lief die Fulvia seit 1966 mit grossem Erfolg, doch 1970 war der Kleine nicht mehr so ganz auf der Höhe der Zeit. Es heisst, Fiorio habe beim Anblick des Gandini-Entwurfes, der eigentlich ein Formel-Rennwagen mit geschlossener Karosse war, sofort gewusst, wie sein Traum-Spielzeug aussehen müsse, was es brauchen würde, um die Konkurrenz in Grund und Boden zu fahren. Und das damalige Reglement spielte ihm in die Hände: für eine Homologation waren 500 Exemplare notwenig. Fiorio sollte der erste Rennleiter sein, der es wagte, ein Auto bauen zu lassen, dessen einziges Ziel Rallye-Siege sein durften. Ihm zur Hand gingen Gianpaolo Dallara, der bei Lamborghini etwa den Miura und den Espada auf die Räder gebracht hatte, sowie Marcello Gandini, der seinen eigenen Entwurf genau nach den Wünschen von Fiorio abwandelte. Doch das Fahrzeug, das 1971 in Turin ausgestellt wurde, war noch weit davon entfernt, in Serie zu gehen.

Es fehlte vor allem ein passender Motor. Die Fulvia-Maschine war zwar ganz nett, doch sie reichte einfach nicht mehr. Abarth produzierte von diesem 1,6-Liter auch eine 2-Liter-Version, das wäre schon deutlich besser gewesen. Doch manchmal spielt das Schicksal halt auch noch mit. Der Lancia-Chef jener Jahre hiess Pierre Ugo Gobatto, und dieser Mann hatte vor seinem Lancia-Job als Fiat-Repräsentant im Management von Ferrari gesessen, und er wusste deshalb, dass der Ferrai Dino 246 schon bald auslaufen würde. Und dass da noch jede Menge Motoren herumlagen. Und so kam der Stratos zu einem ganz feinen Antrieb, einem 2,4-Liter-V6 mit 195 PS sowie einem 5-Gang-Getriebe. Auf der Turiner Show 1972 stand dann das fertige Automobil, und Lancia hatte es auch schon ausgiebig getestet. Im Herbst 1972 wurde der Stratos erstmals bei Rallies eingesetzt, Sandro Munari und Mario Mannucci schieden aber sowohl bei der Tour de Corse wie auch bei der Costa del Sol aus. Aber im April 1973 war es dann soweit, Munari gewann die Firestone Rally in Spanien.

Die Produktion der Serien-Stratos lief dann Mitte 1973 an, es gab noch ein paar Veränderungen im Vergleich zu 1972. Die Karosse wurde bei Bertone gebastelt, zusammengefügt wurde der Stratos im Lancia-Werk. Bertone behauptet, 502 Stück gebaut zu haben, doch es ist eher wahrscheinlich, dass es 492 waren. Oder vielleicht noch weniger. Doch das war eigentlich egal, denn die F.I.A. hatte im Herbst 1974, als der Lancia endlich homologiert werden konnte, seine Regeln so angepasst, dass bereits 400 Exemplare ausreichten.

Er sollte eine einzigartige Renn-Karriere haben, der Stratos. Da waren die schon erwähnten drei Marken-Weltmeisterschaften (eine Fahrer-Weltmeisterschaft gab es damals noch nicht, doch die hätten Sando Munari oder Björn Waldegaard, die beiden Werkspiloten, wohl auch jedes Jahr gewonnen), drei Siege hintereinander bei der Rallye Monte Carlo, zahllose andere Titel. Doch der Stratos war nicht nur aussergewöhnlich erfolgreich, übrigens auch in den Händen von privaten Piloten (1979 gewannen Darniche/Mahé nochmals die Monte), er war zudem wohl das schönste Rallye-Auto aller Zeiten. Und ohne den Stratos wäre die Geschichte der Rallye-Weltmeisterschaft wohl ganz anders verlaufen; es hätte nie eine Gruppe B gegeben. Dass seine Renn-Karriere trotzdem verhältnismässig kurz war, das lag einzig an internen Rangeleien: Lancia-Mutter Fiat wollte auch ein bisschen an den Rallye-Lorbeeren naschen, und deshalb wurde ab 1978 der Fiat 131 als Aushängeschild eingesetzt.

Wie viele Stratos als «Stradale», Strassenversionen verkauft wurden, das lässt sich nicht mehr eruieren. Viele waren es nicht, und es heisst, dass die letzten Exemplare in Deutschland für nur gerade 15’000 DM verschachert wurden. Dabei war der Lancia ein sehr heisses Teil, marschierte in weniger als 7 Sekunden von 0 auf 100 km/h und rannte fast 250 km/h schnell. Und im Gegensatz zur Volksmeinung waren die Lancia sogar erstaunlich zuverlässig, der Motor war ausgereift, einzig die Verarbeitung der Karosserie machte etwas Sorgen. Und die ausgesprochen beschränkten Platzverhältnisse. Wobei, für die Ellenbogen hat es viel Platz, weil Lancia in den Türen ein Fach einbaute, in dem sich die Helme verstauen liessen. Und einen netten Kofferraum hat es auch. Bloss für die Füss‘, da ist nix. Aber, ich kann es aus eigener Erfahrung erzählen: ist man erst einmal drin, dann will man gar nicht mehr raus.

Der teuerste Stratos bisher erzielte auf einer Auktion in den USA sagenhafte 660’000 Dollar. Doch das ist ein eher absurder Preis, in Europa gehen sie immer noch um die 300’000 Euro. Und sind damit eigentlich: Schnäppchen. Denn viel extremer geht es eigentlich nicht.

Andere schöne Italiener haben wir in unserem Archiv.

Der Beitrag Lancia Stratos erschien zuerst auf radicalmag.