Volvo P1800
Fast schon sportlich
Er war Schwedens Eintrittskarte in den kleinen Club der Traumsportwagen: der ab 1960 gebaute Volvo P1800. Zum globalen Verkaufserfolg wurde der beim italienischen Stardesigner Frua gezeichnete Gran Turismo aber erst im Sommer 1963 – und dies unter dem neuen Namen Volvo 1800 S. Damals wurde die Produktion aus der englischen Manufaktur Jensen ins Volvo Werk Lundby bei Göteborg verlegt und der damals schärfste Volvo wurde zugleich noch sportlicher, wie scheinbar auch die neue Typbezeichnung verriet. Tatsächlich stand das «S» aber vor allem für Sverige (Schweden) und damit den neuen Produktionsstandort.
Internationaler hätte die Karriere des ersten Grossserien-Coupés von Volvo kaum beginnen können: Entworfen vom schwedischen Nachwuchsdesigner Pelle Petterson in den italienischen Designateliers von Pietro Frua, mit in Schottland von Pressed Steel gefertigter Karosserie, schwedischer Technik und anschliessend in England montiert, erstmals präsentiert 1960 auf dem Brüsseler Weltausstellungsgelände, verkauft vor allem in Nordamerika. Alles sah nach einem Traumstart für den bis dahin schnellsten Volvo aus. Wäre nicht die Qualität der beim britischen Sportwagenspezialisten Jensen montierten Fahrzeuge so unbefriedigend gewesen, dass schon die ersten 250 Autos vor Auslieferung zur Nachbesserung nach Göteborg transportiert werden mussten. Schliesslich schickte Volvo sogar Ingenieure zur Qualitätssicherung nach Grossbritannien. Wirklich gelöst wurde das Problem aber erst, als die Produktion des Volvo P 1800 vor 50 Jahren ins schwedische Volvo Werk Lundby umzog. Nun kam der Verkauf des in Volvo 1800 S umbenannten Gran Turismo richtig in Fahrt.
Auch wenn der Codebuchstabe «S» ursprünglich nur schwedische Qualität indizieren sollte, kennzeichnete er den Volvo 1800 S doch zugleich als Facelift-Version des vorhergehenden Volvo P1800. Technische Basis für das 2+2-sitzige Sportcoupé blieb die solide Volvo Amazon P120 Limousine mit dem bewährten 1,8-Liter-Vierzylinder B18B, der jetzt aber sieben Prozent mehr Leistung und damit 96 PS freisetzte. Die Höchstgeschwindigkeit stieg so von 170 auf 175 km/h und den Sprint von 0 auf 100 km/h absolvierte der Volvo 1800 S in nur noch 12,1 Sekunden – souveräne Werte, die damals allein Sportwagen und besonders leistungsstarke Limousinen erzielten.
Als erstes Sportcoupé verfügte der schnelle Volvo serienmässig über Sicherheitsgurte für alle vier Passagiere. Auch beim Thema Ladungssicherung leisteten die innovationsfreudigen Volvo Ingenieure damals Pionierarbeit. So erhielt der Volvo 1800 S mehrere integrierte Ledergurte für das grosszügig dimensionierte Gepäckabteil, um dort auch schwere Golfbags zu sichern. Fahrer- und Beifahrersitz waren nun mit zusätzlicher Rückenstütze, mehr Seitenhalt und in feinstem Connolly-Leder erhältlich. Mit dem Wechsel des Produktionsortes waren die Qualitätsprobleme des Volvo 1800 S Vergangenheit und das Sportcoupé wurde zum weltweiten Inbegriff für Solidität und Zuverlässigkeit. In den USA galt der schwedische Gran Turismo für viele Medien sogar als Vernunftkauf – im Unterschied zu italienischen Supersportlern. Begründet haben diesen Ruf Einsätze des Volvo 1800 S als offizielles Fahrzeug bei den 24 Stunden von Sebring, der zweite Platz bei den 24 Stunden von Daytona 1966 sowie die Begeisterung enthusiastischer Kunden. Allen voran der US-Amerikaner Irv Gordon, jener Mann, der mehr Zeit hinter dem Lenkrad seines Volvo 1800 S verbracht hat als sonst irgendjemand auf der Welt. Der ehemalige Lehrer kaufte 1966 seinen roten Volvo 1800 S und wollte 2013 die Drei-Millionen-Meilen-Marke (4.827.000 Kilometer) durchbrechen. Im «Guinness Book of Records» landete er schon 1998 – mit damals mehr als 2,7 Millionen gefahrenen Kilometern und immer noch mit Original-Motor und Getriebe.
Auch auf südafrikanischen Strassen sorgte der Volvo 1800 S für Aufsehen als alltags- und sogar offroadtauglicher Sportler. Bis 1971 baute Volvo in einem Montagewerk in Durban die Volvo Amazon Limousine, mit der sich der Volvo 1800 S technische Komponenten teilte. Vielleicht brachte diese Verwandtschaft dem Volvo 1800 S den Ruf ein, schönster und sicherster jemals gebauter Busch-Racer zu sein. So konnte seine Dachkonstruktion das Fünffache des Fahrzeugeigengewichts stemmen ohne nachzugeben – und damit angeblich sogar Elefantentritte aushalten. Prominenteste Botschafter für den Volvo 1800 S waren der spätere James-Bond-Darsteller Roger Moore und der angehende schwedische König Carl XVI Gustaf, der im Alter von 18 Jahren als erstes eigenes Auto einen Volvo 1800 S fuhr. Dies mit solcher Leidenschaft, dass im Laufe der Jahre regelmässig weitere Volvo 1800 S und 1800 E an den schwedischen Hof geliefert wurden. Auch Roger Moore begeisterte sich privat für den schwedischen Sportwagen – nachdem er in der Fernsehserie «Simon Templar» (internationaler Titel «The Saint») mit dem Volvo 1800 S als smarter Privatdetektiv Ganoven jagte.
Regelmässige kleine Auffrischungen genügten, um den Volvo 1800 S zu einem fast zeitlosen Longseller zu machen. Dazu zählte 1964 ein geglättetes Stossstangendesign, das die Kuhhornbögen ersetzte, regelmässig veränderte Kühlergrills, die Einführung des B20B-Zweiliter-Motors mit 105 PS ab 1968 und die elektronische D-Jetronic-Benzineinspritzung von Bosch im Folgejahr. Karossiers wie Radford in England und Volvoville in den USA bauten Cabriolet-Kleinserien, italienische Designer wie Fissore und Coggiola präsentierten Fastback-Studien und enthusiastische Händler bauten Prototypen mit V8-Maschinen. Dagegen vertraute der damalige französische Supersportwagen-Hersteller Facel-Vega beim Modell Facellia auf die zuverlässigen Vierzylinder aus dem Volvo 1800 S. Eine Vielzahl aussergewöhnlicher Ideenträger und Serienautos also, die den Volvo 1800 S im Gespräch hielten und zum Kultauto reifen liessen.
Anfang der 1970er Jahre präsentiert Volvo eine sensationelle Weiterentwicklung: Den Volvo 1800 ES mit Kombiheck. Der legendäre 2+2-Sitzer mit grosser gläserner Heckklappe wurde in Deutschland unter dem Namen «Schneewittchensarg» berühmt und gilt als Pionier aller modernen Shooting-Brake. Bis zum endgültigen Produktionsende im Jahr 1973 wurden 47’855 Einheiten der für viele Fans zu ihrer Zeit schönsten Schweden gebaut, davon allein 39’777 als Coupé. Vom Shooting Break und wie er sich fährt, davon wollen wir dann auch noch erzählen…
Mehr Volvo haben wir in unserem Archiv.
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