50 Jahre Alfa Romeo Spider
Tintenfischknochen
(Es ärgert uns, dass wir nicht mehr Bilder haben. Wenn jemand welche hat, die er uns zur Verfügung stellen möchte, dann: bitte, gern. Aber ein langer Text ohne grosse Ablenkung ist ja auch einmal schön, oder?)
Der Film war der Durchbruch für zwei Jahrhundert-Talente. Dustin Hoffman spielte in «Die Reifeprüfung» den innerlich zerrissenen Benjamin Braddock so überzeugend, dass der Aufstieg zur Hollywood-Ikone vorgezeichnet war. Und Braddocks Alfa Romeo Spider passte derart gut in die Atmosphäre des im Leben der kalifornischen High-Society angesiedelten Streifens, dass er sich als eines der wichtigsten Filmautos der Geschichte ins kollektive Gedächtnis der Kinofans einbrannte. Und so gilt der im Original «The Graduate» genannte Streifen als eines der ersten gelungenen «Product Placements» der Kinogeschichte. Der Alfa Romeo Spider, der 2016 den 50. Geburtstag feiert, wurde nicht nur in manchen Gegenden der USA zum Inbegriff des «Graduate Car». Des Autos also, das man von den wohlhabenden Eltern zum Hochschulabschluss geschenkt bekommt.
Wobei das heute unverzichtbare Platzieren von Produkten in «Die Reifeprüfung» wohl eher zufällig zustande kam. Dustin Hoffmans Onkel Max Hoffman war einer der grössten Importeure für europäische Autos. Der gebürtige Österreicher ergriff offensichtlich die Gelegenheit beim Schopf, als Regisseur Mike Nichols nach einem auffälligen Auto für seinen noch ziemlich unbekannten Hauptdarsteller suchte. Die Kombination überzeugte die Fans ebenso wie die kontroverse Story des zwischen Mutter und Tochter Robinson schwankenden Liebhabers Dustin Hoffman – «The Graduate» zählte 1968 in den USA zu den umsatzstärksten Kinofilmen.
Die Karosserieform des Alfa Romeo Spider stammt von Designerlegende Battista «Pinin» Farina. Sie war sein letztes Werk, Farina starb kurz nach der Weltpremiere. Tatsächlich ging der Spider auf mehrere Studien zurück, die Farina bereits einige Jahre zuvor auf eigene Faust entworfen hatte. Schon in der Studie «Coupé Super Flow Disco Volante» von 1956 tauchten erste Grundzüge des späteren Spider auf. Beim «Spider Super Sport» von 1959, der ebenfalls auf dem Chassis eines Alfa Romeo 6C 3000 CM basierte, waren bereits die flach auslaufenden Bug und Heck sowie die grossen seitlichen Sicken zu erkennen. Deutlich kleiner und damit näher an der endgültigen Form dran war der auf dem Chassis einer Alfa Romeo Giulietta SS aufgebaute «Spider speciale 2 posti aerodinamico», den Farina auf dem Turiner Auto-Salon 1961 zeigte.
Es sollte allerdings noch bis zum 10. März 1966 dauern, bis der Alfa Romeo Spider auf dem Genfer Auto-Salon Weltpremiere feierte. Die Reaktionen waren gespalten. Die eine Hälfte der Alfa Romeo Fans lobte die geschwungenen Formen. Diese kommen besonders gut zur Geltung, wenn das Verdeck geöffnet ist. Was Könner übrigens in weniger als zehn Sekunden erledigen. Von der Seite sind dann die von einem dünnen Rahmen eingefasste Windschutzscheibe und die kleinen Dreiecksfenster kaum wahrnehmbar. Auffallend ist die über die komplette Flanke verlaufende breite Sicke. Sie hat, ebenso wie die Plexiglas-Abdeckungen der Scheinwerfer, aerodynamische Funktion, stabilisiert aber zusätzlich auch die Blechflächen von Türen und Kotflügeln.
Die Front ist extrem flach gehalten, weist allerdings die für Alfa Romeo typischen Merkmale auf. Der Kühlergrill wird vom herzförmigen Scudetto gebildet, das links und rechts von geteilten Stossstangen in Form der charakteristischen «baffi» (Italienisch für Schnauzbärtchen) eingerahmt wird. Sie kaschieren geschickt zusätzliche Kühllufteinlässe. Die Form des Hecks ist beinahe eine Kopie der Front. Auch hinten läuft der Alfa Romeo Spider flach und im Halbkreis aus. Das Fachmagazin auto, motor & sport sprach vom «Sex der runden Form».
Genau diese an sich harmonische Symmetrie war Anlass für Kritik. Das einzigartige Design, das heute als «Rundheck» jedem Alfisti ein Begriff ist, wurde als zu verspielt abgetan. Im Vergleich zum Vorgänger, dem ebenfalls von Farina gezeichneten und seit 1955 gebauten Alfa Romeo Giulietta Spider, erschien vielen Puristen die rundlichen Formen der Karosserie zu feminin. Die Arbeiter in der Produktion im neuen Werk Arese vergaben den Spitznamen «Osso di Sepia». Das klingt zwar nach einer italienischen Liebeserklärung und wurde auch von dem einen oder anderen deutschen Händler in der Werbung genutzt. In der Übersetzung wird daraus aber wenig schmeichelhaft der «Rückenschulp eines Tintenfisch». Jene Kalkplatte also, die man als Dekoration aus der Wellensittich-Voliere kennt.
Diese Anlaufschwierigkeiten waren zumindest teilweise hausgemacht. Bei der Premiere im Frühjahr 1966 hatte der neue Roadster nämlich noch keinen offiziellen Namen. Auch ein zur Findung desselben veranstalteter Wettbewerb mit über 100’000 Einsendungen verlief alles andere als optimal. Zwar wurde aus rund 200 Vorschlägen die Bezeichnung Duetto ausgewählt. Allerdings hatte sich ein italienischer Süsswarenhersteller bereits genau diesen Namen für ein Gebäck reserviert. Alfa Romeo nannte das neue Auto deshalb schnell ausschliesslich Spider, ergänzt um die Zahl 1600 für den Hubraum. Der klangvolle Begriff Duetto blieb dennoch im Gedächtnis der Fangemeinde hängen. Noch heute wird die komplette vom Rundheck gekennzeichnete erste Serie so genannt.
Der Alfa Romeo Spider basiert auf dem verkürzten Chassis der Giulia (Baureihe 105). Der zunächst alleine angebotene 1,6-Liter-Vierzylinder ist ein bewährtes Triebwerk. Der Vierzylinder befeuert auch diverse Limousinen- und Coupé-Varianten der Giulia. Motorblock und Zylinderkopf aus Leichtmetall, zwei obenliegende Nockenwellen, halbkugelförmige Brennräume, zwecks besserer Wärmeableitung mit Natrium gefüllte Auslassventile, fünffach gelagerte Kurbelwelle und zwei Flachstrom-Doppelvergaser waren direktes Erbe des Engagements von Alfa Romeo im Rennsport. Die von betörendem Sound begleiteten 109 PS werden auf die Hinterachse übertragen von einem Fünfgang-Getriebe, auch das Mitte der 1960er Jahre alles andere als selbstverständlich. Die vorderen Einzelradaufhängungen an Dreiecksquerlenkern und die Hinterachse mit dem charakteristischen Reaktionsdreieck sowie die Scheibenbremsen ringsum zeugen ebenfalls von den Erfahrungen, die Chefingenieur Orazio Satta Puliga und seine Mannschaft im Motorsport gemacht hatten.
Damit verkörperte der Spider von Anfang an die für Alfa Romeo typische Einstellung, dass ein Roadster vor allem auch ein Sportwagen ist. Zeitgenössische Tester lobten dann auch das sportliche Fahrverhalten, das nur auf nasser Fahrbahn aufgrund der für heutige Verhältnisse schmalbrüstigen 155er Reifen nach guten Reflexen verlangte. Die Höchstgeschwindigkeit von 182 km/h überzeugte in einer Ära, in der die Autobahnen vor allem von Fiat 500 oder VW Käfer bevölkert waren.
Das Cockpit des in Deutschland bei Markteinführung 12’990 Mark teuren Alfa Romeo Spider bietet zwei Personen bequem Platz, zumindest wenn sie italienische Durchschnittsmasse nicht allzu weit überschreiten. Fussmatten aus Kunststoff und Sitzbezüge aus Kunstleder sind cabriogerecht pflegeleicht. Teppichboden gibt’s nur auf dem Mitteltunnel. Auch das Lenkrad ist ursprünglich aus Kunststoff. Sein dünner Kranz gibt den Blick frei auf die zwei wichtigsten Instrumente – Drehzahlmesser und Tachometer. Mittig in die in Wagenfarbe lackierte Armaturentafel eingelassen und mit schmucken Chromrahmen verziert, sind Uhren für Tankinhalt, Öldruck und Kühlwassertemperatur. Der Kofferraum ist trotz seines flachen Volumens erstaunlich geräumig, notfalls dient der Platz hinter den beiden Sitzen als zusätzlicher Stauraum.
Während sich der Alfa Romeo Spider in Europa gut verkaufte, sorgte die unerwartete Nachfrage nach dem «Graduate Car» in den USA für Probleme. Die zu diesem Zeitpunkt einzige verfügbare 1600er Modellversion mit Doppelvergasern entsprach ab 1968 nicht mehr den erneut verschärften Abgasgesetzen im US-Bundesstaat Kalifornien, ein bei europäischen Fahrzeugen dieser Zeit weit verbreitetes Dilemma. Die Lösung war der aus der Limousine Alfa Romeo 1750 stammende Vierzylinder mit auf 1779 cm3 vergrössertem Hubraum. Für Amerika wurde das Triebwerk mit der mechanischen Spica-Einspritzung versehen, die zwar hochkompliziert in der Wartung ist, aber für ein gesetzeskonformes Abgasverhalten sorgte. In Europa blieb es bei den herkömmlichen Doppelvergasern. Die Leistung des mit dem Zusatz Veloce (Italienisch für Geschwindigkeit) versehenen Modells liegt mit 113 PS zwar nur geringfügig höher als beim Vorgänger mit 1,6 Liter Hubraum. Allerdings erlaubt das deutlich gestiegene Drehmoment eine wesentlich entspanntere Fahrweise. Auch durch im Übersetzungsverhältnis geänderte Hinterachse (4,30:1 statt 4,56:1) klettert die Höchstgeschwindigkeit auf 188 km/h.
Weil der 1750er Motor höher ist als der 1600er, musste der Kühlwasserkreislauf auf ein geschlossenes System mit Ausgleichsbehälter umgestellt werden. Denn die für den Kühlwasserstand massgebliche Einfüllöffnung liegt nun tiefer als der Zylinderkopf. Ein höherer Kühler aber war unter der flachen Motorhaube nicht realisierbar.
Das ohnehin schon hoch gelobte Fahrwerk wurde durch einen Stabilisator an der Hinterachse, leichte Modifikationen an Dämpfern und Abstimmungen und einen Bremskraftregler überarbeitet. Ein Sperrdifferenzial von ZF mit 25prozentiger Sperrwirkung stemmte sich – aufpreispflichtig – gegen durchdrehende Antriebsräder. Technisch wurde ausserdem auf hydraulische Kupplungsbetätigung, Drehstromlichtmaschine, längere Hinterachsübersetzung (4,30:1 statt 4,56:1), Wischermotor mit zwei Geschwindigkeiten und einen einteiligen Schalthebel umgerüstet, der Vibrationen reduzieren sollte.
An der Optik änderte sich wenig. Der Aussenspiegel war nun auf der Tür und nicht mehr auf dem Kotflügel montiert. Zusätzliche Änderungen waren das Holzlenkrad und der Aschenbecher mit Schiebedeckel. Etwas später wanderten die dann runden Seitenblinker vor das Vorderrad. Darüber hinaus standen Reifen der grösseren Dimension 165/14 und andere Radkappen dem 1750er besser zu Gesicht als die 155/15er des 1600er Modells. Die Premiere des Alfa Romeo Spider 1750 fand im Januar 1968 auf der Motorshow in Brüssel statt. Gleichzeitig lief die Produktion der 1600er Version nach über 6000 gebauten Exemplaren aus.
Mit dem grösseren Motor stieg der Preis des Alfa Romeo Spider in Deutschland auf 13’575 Mark. Damit war der Wunsch vieler junger Leute nach einem offenen Alfa Romeo nur noch schwer zu erfüllen. Immerhin war ein VW Käfer zu dieser Zeit für weniger als 6000 Mark zu haben. Als Abrundung der Baureihe nach unten präsentierte die Mailänder Traditionsmarke schon 1968 den Alfa Romeo Spider 1300 Junior. Wie schon bei der Limousine Giulia und der Junior-Variante des Coupé Giulia GT steckt unter der Haube der bewährte 1,3-Liter-Vierzylinder, der sich konstruktiv praktisch nur im Hubraum vom 1600er Triebwerk unterscheidet. Mit 89 PS erfordert der kurzhubig ausgelegte Vierzylinder hohe Drehzahlen, erst ab 4000 Touren legt er sich richtig ins Zeug.
Der mit 10’990 Mark im Vergleich zum Alfa Romeo Spider 1750 Veloce rund 2500 Mark günstigere Preis schlug sich zusätzlich in einer abgespeckten Ausstattung nieder. So fielen die Scheinwerfer-Abdeckungen aus Plexiglas ebenso dem Rotstift zum Opfer wie der Stabilisator an der Hinterachse und einige Chromelemente – und der Zigarettenanzünder. Ausserdem wurde das Holz- durch ein Kunststoff-Lenkrad ersetzt.
Ende 1969 wurde der schliesslich 27 Jahre lang gefertigte Alfa Romeo Spider (Baureihen 105 und 115) zum ersten Mal tiefgreifend überarbeitet. Auf dem Auto-Salon in Turin erlebte der Nachfolger seine Premiere. Markantester Unterschied ist der nun als sogenanntes «Fastback» konventionell gestaltete Kofferraum – der als Duetto geborene Rundheck-Spider war Geschichte. Heute gehört der «Osso di Sepia» unter Fans von Klassikern der Marke Alfa Romeo zu den am meisten begehrten Spider-Versionen. Als Geschenk zum Schulabschluss ist er kaum noch zu bezahlen. Da hatte es Dustin Hoffman in «Die Reifeprüfung» deutlich besser.
Herzlichen Dank an Alfa Romeo für diese Story – und mehr Alfa Romeo haben wir in unserem Archiv.
Der Beitrag 50 Jahre Alfa Romeo Spider erschien zuerst auf radicalmag.