Ferrari 250 Europa GT
Das wahre Leben
Es sind diese Anekdoten. Enzo Ferrari war 1951 mit seiner eigenen Firma gerade einmal vier Jahre im Geschäft, als er Battista «Pinin» Farina nach Modena einlud. Pininfarina, wie der Meisterdesigner damals noch nicht hiess, war seit zwei Jahrzehnten eine der besten Adressen für italienische Massschneiderei, und der «Commendatore» hatte die Eingebung, dass er endlich einmal ein bisschen Geld verdienen sollte. «Win on Sunday, sell on Monday» war auch bis nach Maranello gedrungen, Ferrari wollte also seine Rennsport-Erfolge mit Strassenfahrzeugen vergolden. Und da sollte Pinin Farina helfen.
Bloss: Battista «Pinin» Farina war zwar körperlich ein Zwerg, sein Ego war aber mindestens ähnlich gross wie jenes von Enzo Ferrari. Und er sagte: nein, nach Modena fahre ich nicht. Aber Herr Ferrari könnte ja nach Turin kommen, er will ja schliesslich etwas von mir. Hätte der Sohn von Battista, Sergio, nicht vermittelt, dann wären die beiden Primadonnen wohl nie zusammen gekommen, doch so kam es dann in der Mitte zwischen Modena und Turin, in Tortona bei Mailand, doch noch zu einem Treffen. Und die beiden Herren wurden sich schnell einig: 1952 stand das erste Resultat, ein 212 Inter Cabriolet, Chassisnummer 0177E, auf den Rädern.
(Zum ersten Ferrari, der die Bezeichnung 250 trug, haben wir schon etwas geschrieben. Doch eigentlich gehört der 250 Europa gar nicht so richtig in diese Serie, weil er nicht vom Colombo-V12 angetrieben wird, aber lesen Sie doch: hier.)
Dann also: 250 Europa GT. Man achte auf den feinen Unterschied, also: 250 Europa und 250 Europa GT. Erstmals gezeigt wurde der 250 Europa GT 1954 in Paris (Chassisnummer 0357GT), mit einem zwar sehr klassischen Design von Pininfarina (damals wahrscheinlich in Alu – heute verfügt der Wagen aber über eine klassische Stahl-Karosserie), doch verwendet dann von der Ecurie Francorchamps als Rennfahrzeug, etwa bei der Tour de France 1956 (Gendebien/Ringoir). Der Radstand betrug 2,6 Meter, also 20 Zentimeter weniger als beim gleichzeitig vorgestellten 342 America – von dem er auch das 4-Gang-Getriebe und das Differential erhielt. Vorne gabs einzeln aufgehängte Räder, zum ersten Mal bei einem Strassenfahrzeug von Ferrari. Gebremst wurde noch klassisch über Trommeln, das war damals noch Usus, doch weil der Ferrari nur gerade 1050 wog, war das noch kein Problem.
Und als Motor kam zum ersten Mal der Colombo-V12 zum Einsatz, genannt Tipo 112. Der hatte sein Leben einst als Rennmaschine mit 1,5 Liter Hubraum begonnen, war über die Jahre ständig gewachsen, zum ersten Mal 3 Liter Hubraum (Bohrung x Hub 73 x 58,8 mm) hatte er im 250 MM, doch für den 250 Europa GT wurde die Verdichtung auf 9,0:1 verringert, es wurden zwei Weber-Doppelvergaser 36DCZ montiert, was dann noch eine Leistung von 220 PS ermöglichte.
Bei den Zahlen gibt es sehr unterschiedliche Angaben. Es heisst zumeist, es wurden 30 Exemplare des 250 Europa GT gebaut. Doch wenn man durchzählt, kommt man auf 35 Stück. Also: da gab es 28 Stück des klassischen Pininfarina-Coupé (0357GT, 0361GT, 0363GT, 0365GT, 0367GT, 0371GT, 0373GT, 0375GT, 0377GT, 0379GT, 0381GT, 0383GT, 0387GT, 0389GT, 0391GT, 0395GT, 0397GT, 0399GT, 0401GT, 0405GT, 0407GT, 0409GT, 0411GT, 0413GT, 0417GT, 0419GT, 0421GT, 0427GT), dann die ersten vier gebauten Wagen mit Alu-Karosse (0369GT, 0385GT, 0393GT, 0415GT – auch bekannt als «Tour de France), ein Pininfarina Coupé Speciale (0403GT, Design wie der berühmte «Bergman»-375MM – Radstand 2,53 Meter), eine Berlinetta von Scaglietti (0425GT – Radstand 2,48 Meter) und das berühmte Coupé von Vignale (0359GT), das für Prinzessin Liliane de Rethy, die zweite Frau von König Leopold III. von Belgien gebaut worden war.
Weitere Besonderheiten: 0367GT wurde an Baron Elie de Rothschild ausgeliefert, 0369GT wurde 1958 bei einem Unfall zerstört, auch 0371GT soll nur noch als Wrack existieren, 0377GT wurde vom Kapitän eines Öltankers auf seinem Schiff in die USA importiert, 0381GT wurde nach einem Unfall zum 0363GT umgetauft und erhielt später die Chassisnummer 0663GT, von 0383GT soll es ein zweites Exemplar geben…, 0387GT wurde zum 0139E nummeriert, 0391GT gehörte dem Teigwaren-Fabrikanten Pietro Barilla, 0393GT trägt eigenartige Heckflossen, 0415GT sieht aus wie ein 250MM (Radstand 2,48 Meter) und hatte auch schon einen Chevy-V8 installiert.
Wir zeigen hier 0407GT, eine etwas eigenartigen 250 Europa GT. Zwar eindeutig als Pininfarina-Coupé erkennbar, doch die Nase wurde etwas verlängert und abgeflacht, er trägt auch nicht den typischen Frontgrill, dafür zwei Nebelscheinwerfer ebendort. Hinten gab es andere Lichter – und gleich zwei Heckscheibenwischer. Der Innenraum wurde von Hermés gestaltet, die Farbkombination des aussen in Grigio Metallizzato Max Meyer (LC 49) lackierten Fahrzeugs mutet ziemlich eigenwillig an. Ausgeliefert worden war dieser Wagen am 27. Juli 1955 an einen guten Ferrari-Kunden aus Rom, Commissario Ferrario, der ihn aber schon 1957 in die USA verkaufte. 2013 versteigerte RM Auctions 0407GT für 2,42 Millionen Dollar.
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