Ford Mustang Boss 302
Der kleine Scheff
Sie bekämpften sich, wo sie nur konnten, die beiden amerikanischen Auto-Riesen Ford und General Motors. 1964 hatte Ford mit dem Mustang einen Coup gelandet, der die kühnsten Erwartungen der Strategen übertraf. Von der ersten Generation, den Modelljahren 1964 (die Mustang-Kenner erkennt man daran, dass sie von 64 1/2 sprechen), 1965 und 1966 wurden 1,293 Millionen Exemplare verkauft.
General Motors hatte ein unglaublich lange Leitung, und so dauerte es bis im September 1966, bis endlich ein Mustang-Konkurrent auf den Markt kam: der Camaro. Das tat dem Erfolg des Mustang keinen Abbruch. Auch von der zweiten Mustang-Generation, die 1967 und 1968 gebaut wurde, konnten immerhin 789’000 Stück verkauft werden. Der Camaro kam 1967 auf 221’306 Exemplare, 1968 auf 235’147 Stück.
Und doch trat der Camaro dem Mustang ziemlich heftig ans Schienbein. Zuerst einmal gab es von den Chevrolet auch so ein paar richtig böse Maschinen. Vor allem die Option Z/28 mit dem heissen 4,9-Liter-Motor erregte grosse Aufmerksamkeit. Das Teil sah gut aus und war auch noch schnell, auf jeden Fall bedeutend schneller als alles, was Ford ab Stange bieten konnte. Es gab da zwar schon die Shelby-Varianten auch des Mustang, den GT350 (ab 1965) und den GT500 (ab 1967), doch die spielten – auch preislich – in einer anderen Liga. Vom «normalen» Mustang gab es 1964 eine dröge Version mit 2,8-Liter-Sechszylinder mit etwas über 100 PS (ab 1965 dann 3,3 Liter Hubraum, etwa 120 PS), einen 4,3-Liter-V8 mit gut 160 Pferden und einen 4,7-Liter-V8 mit etwas mehr 200 Pferdestärken. Dieser 4,7-Liter wurde als «HiPo» (nein, nicht Schluckauf, sondern «High Power») auch mit einem 4fach-Vergaser und etwa 270 Rössern angeboten. Der Camaro Z/28 hatte auf dem Papier auch nicht viel mehr (290 PS), doch bei seinem 4,9-Liter-Triebwerk handelte es sich um etwas vom Besten, was GM in jenen Jahren zu bieten hatte – und es waren eher 400 Rosse, die der Wahrheit nahe kamen.
Ab 1967 legte Ford beim Mustang dann nach. Es gab neu den 6,4-Liter-V8, der es auf bis 330 PS brachte. Und dann noch den 7-Liter-Cobra-Jet mit 340 PS. Und schliesslich noch den 7-Liter-«HiPo», der es auf knapp 400 Pferde brachte. Das Publikum von der Strasse war damit einigermassen beruhigt, doch Ford hatte jetzt ein anderes Problem: die Rennstrecke. 1966 hatten die Mustang mit Hilfe von Carroll Shelby die in den USA sehr populäre Trans-Am-Serie des SCCA (Sports Car Club of America) gewonnen. Das war damals neben der NASCAR der wichtigste Motorsport-Titel in den USA, vor allem auch deshalb, weil die teilnehmenden Fahrzeuge sehr seriennah sein mussten. Und es galt halt die Maxime: «Win on Sunday, sell on Monday». Aber 1968 fuhren den Mustang die Camaro Z/28 so etwas von um die Ohren, dass sich die ganze Ford-Plüschetage eine Erkältung holte. Da musste etwas unternommen werden, waren sich die Ford-Scheffen schon 1967 einig, als es sich bereits abzeichnete, dass die Mustang gegen die Camaro 1968 keinen Stich mehr machen würden.
Unter der Leitung des ehemaligen GM-Vice-President «Bunkie» Knudsen wurde die Arbeit aufgenommen. Damals, etwa Mitte 1967, war ein neuer V8, der später als «Cleveland» in die Geschichte eingehen sollte, schon fast fertig entwickelt. Allerdings war das ein 5,8-Liter-Triebwerk; bei den Trans-Am-Rennen war der Hubraum aber auf 4,9 Liter beschränkt. Also wurde der Block des bekannten «Windsor»-Motors genommen, die «Cleveland»-Zylinderköpfe draufgeschraubt – und fertig war der 302-cubic-inch-Motor, der zur Legende werden sollte. Wie beim Z/28 waren auch beim 302-ci von Ford die PS-Angaben sehr zurückhaltend formuliert: 294 PS waren es offiziell, doch die realität tendierte mehr in Richtung 370, 380 Pferde. 1969 verlor der neue Mustang Boss 302 die Trans-Am-Serie nur knapp gegen den Camaro Z/28, aber 1970 war alles wieder so, wie es Ford haben wollte.
Doch der 69/70er Ford Mustang Boss 302 war mehr als nur ein grossartiges Renngerät. Der ehmalige GM-Designer Larry Shinoda verpasste dem Mustang auch einen ganz aussergewöhnlichen Auftritt. Es gab die so genannten «C-Stripes» auf der Motorhaube und den Seiten, die in der Nacht auch noch reflektierten. Dann gab es einen schwarzen Aussen-Vorhand über die Heckscheibe sowie einen Front- und einen Heck-Spoiler; der Boss war eines der ersten Autos, die solches Luftwerk serienmässig erhielt. So ganz nebenbei baute Ford auch noch einen fetten Boss, den 429er, der in der NASCAR-Serie antrat (gegen den ebenfalls wunderbaren Camaro ZL-1), aber das ist eine andere Geschichte, die wir später einmal erzählen werden.
Der Boss 302 war schnell: Er liess sich mit herkömmlicher Bereifung in 6,9 Sekunden von 0 auf 60 Meilen beschleunigen. Die Camaro Z/28 waren zwar noch etwas gröber, doch sie waren auch teurer. Für den Boss 302 waren nur gerade 3720 Dollar zu entrichten. Trotzdem verkaufte er sich im ersten Jahr gar nicht gut, vielleicht 700 Stück wurden verkauft. 1970 waren es dann 6319 Exemplare, aber das war auch gleich das letzte Jahr der Produktion. Doch mit mehr als 6500 gebauten Fahrzeugen hatte Ford das SCCA-Reglement erfüllt. Ob wirklich alle 302 Boss auch verkauft wurden, das wird heute stark bezweifelt. Über 1600 dieser Boss 302 wurden allerdings als Trans-Am-Rennwagen homologiert. Er war das perfekte Gerät auch für Privatfahrer.
Für damalige Verhältnisse war das Fahrverhalten des schnellen Mustang ziemlich gut. Es wird immer wieder geschimpft, dass die US-Cars aus den 60er-Jahren zwar schnell waren, so lange es geradeaus ging. Doch Kurven musste der Fahrer fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Das entspricht nicht wirklich den Tatsachen, auch wenn es anzumerken gilt, dass die damaligen Bremsen den üppigen Motorleistungen in keiner Weise entsprechen konnten. Aber das war nicht nur bei den Mustang, Camaro und Corvette so – auch die Ferrari, Lamborghini und Maserati jener Jahre waren keine Kurven- und Bremskünstler. Ganz im Gegenteil. Dazu waren die filigranen Italiener noch viel zickiger als die soliden Amischlitten. Und um das auch mal noch erwähnt zu haben: Als der Mustang Boss 302 1969 auf den Markt kam, waren die höchsten aller Gefühle bei Porsche 160 Pferdlein. Und bei Audi sowie BMW wussten sie damals noch nicht einmal, dass der Sprint von 0 auf 100 km/h auch unter 30 Sekunden möglich wäre.
Der Boss-302-ci-V8 ist – wie auch der Z/28-Motor im Camaro – kein typischer Vertreter des so wunderbaren amerikanischen V8-Grollens. Das waren hochgezüchtete Rennmaschinen, die locker bis 7000/min drehten. Höher kamen damals auch die Italiener nicht. Aber furcht-einflössend ist er heute noch, der Boss 302. Hinter dem üppigen Schein steht auch ganz viel Sein.
Die Preise für die Mustang Boss 302 haben noch nicht die schwindelerregenden Höhen erreicht, wie sie für andere übermotorisierte «pony cars» oder gar die Shelby-Mustang bezahlt werden. Anständige Exemplare wurden in den vergangenen zwei Jahren von RM Auctions für rund 50’000 Dollar versteigert. Spezielle Stücke, die einen berühmten Besitzer hatten oder in absolut originalem Zustand sind, kamen auf bis zu 80’000 Dollar. Weil die Anzahl und die Geschichte der Boss 302 aber bestens überblickbar ist, darf man davon ausgehen, dass diese Preise in naher Zukunft anziehen werden.
Mehr Ford gibt es in unserem Archiv – auch etwas zum Mustang Kombi…
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