Alfa Romeo Giulia – einst
Wie Shakespeare, damals
Freilich hat Alfa Romeo die Sportlimousine nicht erfunden, die Borgward Isabella TS war früher dran, und der BMW 1500 kam ziemlich zeitgleich mit der Giulia, und er sollte eine ähnliche Karriere hinlegen, bis zu 130 PS im 2000 tii, aber darum geht’s heute längst nimmer. Es geht um die überzeugende Darstellung eines Anfang der 60er Jahre frischen Themas, in Wort und Bild und Ton. Besonders da hat sich die Giulia eingebrannt, vorzugsweise als Giulia Super, also mit Doppelscheinwerfern, zumeist rot lackiert, der Charakterdarsteller unter der Motorhaube war 1,6 Liter gross und 98 oder 102 PS stark, und er klang nach viel mehr. Aus dem Auspuff kam quasi immer ein akustisches Amuse-Gueule, mit Liebe angerichtet, mit Präzision ausgefeilt. Wahrscheinlich wurde vor dem Zuschweissen des Auspufftopfes eine Handvoll Schrauben reingeschmissen, anders ist dieses kehlige Röhren mit dem scheppernden Fundament nicht zu erklären. Wir wollten es aber auch nie erklären, sondern einfach nur zuhören. Es zermartert sich ja vor dem Aufdrehen der «Tagesschau» auch niemand den Kopf, wie ein Fernseher funktioniert.
Schon bei der Gründung 1910 überspringt Alfa alle bodenständigen Klassen, um so was wie das beste Auto Italiens zu präsentieren und es sich fürderhin aus den Händen reissen zu lassen. Sportliche Erfolge sollen die Nachfrage fördern, immerhin zwei Runden liegt der Alfa 24 HP bei der Targa Florio in Führung, dann kommt er von der Strecke ab, weil hochgewirbelter Gatsch dem Fahrer die Sicht nimmt.
Seither ist Alfa Sportlichem verpflichtet, die Preise übersetzen den Anspruch in Summen, die mit durchschnittlichen Gehältern nicht zu finanzieren sind. Es entstehen hinreissende Karosserien über feiner Technik, die Stückzahlen bleiben gering. Ein wenig volksnäher wird Alfa Romeo nach dem Zweiten Weltkrieg, der 1900 ist dennoch eine für die meisten Autofahrer unerschwingliche Limousine. Den weiteren Schritt nach unten markiert die Giulietta, 1955 als Limousine mit vier Meter Länge auf den Markt gerollt.
Aus 1,3 Liter Hubraum leistet sie 53 PS, damit ist Alfas wunderbarer Doppelnockenwellen-Vierzylinder beleidigend unterfordert, aber einen einfacheren Motor will die Firma ihren Kunden nicht antun. Sogar der Kleinbus Romeo trägt den DOHC-Motor, dort wird er allerdings auf 35 PS gewürgt.
1962 beginnt die Ablöse der Giulietta, und sie wird zwei Jahre dauern. Der Nachfolger verzichtet auf die verkleinernde Endung, heisst also Giulia und markiert auch beim Design eine völlig neue Zeit: Auf 4,14 Metern Länge hat Alfa eine Karosserie mit Charakterfalten modelliert, die auf liebliche Banktipp-Ästhetik pfeift. Das Gesicht sieht ein wenig verkniffen aus, am Kofferraumdeckel gibt’s eine Falte, allerlei Kanten schieben sich in den Fluss der Linien. Die meisten davon sind Abrisskanten. Dass die etwas hochbeinige Limousine von aerodynamischen Erkenntnissen modelliert wurde, verrät der cw-Wert von 0,34, sensationell niedrig in den frühen 60er Jahren.
Wichtiger ist sowieso der Motor der Giulia 1600 TI: der DOHC-Alumotor mit 1,6 l und 92 PS, somit zwei PS stärker als ein Porsche 356. Dass die ersten Giulias über eine Lenkradschaltung verfügen, damit vorne auf der Sitzbank drei Passagiere Platz finden, macht den Porsche-Vergleich wieder ein wenig zunichte, obendrein gibt’s einen damals höchst angesagten Bandtacho, immerhin aber darf der Drehzahlmesser einen Zeiger im Kreis drehen. Und er dreht gerne, selten waren sechs Sitze so sportlich, und auch preislich bleibt die Giulia in jenem Rahmen, der für zugespitzte Limousinen abgesteckt ist. Ein Jahr später wird sogar der TI Super mit 112 PS nachgereicht, aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit: Zu Homologationszwecken müssen 500 Stück gebaut werden, Alfa legt immerhin 501 Exemplare auf, quasi eine Punktlandung mit Draufgabe, die nur private Motorsportler verkosten dürfen.
Ab 1964 setzt die Giulia auf Breitenwirkung, denn jetzt müssen alle Giulietta-Kunden abgeholt werden am Weg in eine neue, gemeinsame Zukunft. Die Giulia 1300 ist mit 78 PS, sagen wir, an der unteren Grenze der Sportlichkeit, die Giulia 1300 TI mit 82 PS rückt das Weltbild wieder gerade, noch lieber werden die 89 PS der Giulia 1300 Super genommen, das Fünfgang-Getriebe passt perfekt zum (schon länger angebotenen) Mittelschalthebel, die Verkaufszahlen gleichen der Leistungskurve. Neben weiteren Verästelungen des Motorenprogramms gibt’s ab Herbst 1967 Rundinstrumente, und die Giulia Super reift zum bis heute begehrtesten Modell: Mit Doppelscheinwerfern, in ein Rot von Alfarot getaucht und mit einem Sounddesign, aus dem sich die Begleitmusik eines driftenden Lebens komponieren lässt, ist sie das letzte Aufbäumen vor dem Facelift, das 1974 den Knackpunkt der Baureihe bringt. Die Giulia Nuova trägt gleich grosse Doppelscheinwerfer in einem PLASTIKGRILL, und am Heck wird die Charakterfalte des Kofferraumdeckels gebügelt. Mit glattem Kofferraumdeckel pflegt die Giulia ungefähr eine Ausstrahlung wie Karl Malden mit einer Nase vom Schönheitschirurgen. Allerdings stehen so geschätzte zwei Liter Kofferraumvolumen mehr zur Verfügung, an die Fans heute nicht unbedingt erinnert werden wollen.
Das miese Blech besonders der letzten Baujahre aber hat beim Vergessen eh ganz gut mitgeholfen, und dass die 1976 vorgestellte und 133 km/h schnelle Dieselversion (52 PS) nie in die Schweiz kam, soll auch kein besonders schmerzlicher Verlust sein. 1978 wird die Produktion eingestellt, Autodesign wird jetzt mehr mit geraden Linealen gemacht. Seit der Vorstellung der Neudefinition einer Sportlimousine sind unglaubliche 54 Jahre vergangen, mittlerweile hat der VW Golf GTI eine neue Definition von Breitensport vorgelegt.
Herzlichen Dank an unsere Kollegen von der «auto revue».
Photos: die grossen Bilder stammen von unserem hoch geschätzten Freund ©Andreas Riedmann. Dazwischen gibt es einige Werk-Aufnahmen. Und dann, weiter unten: ©Courtesy of RM Sotheby’s. Denn in den USA stehen Polizei-Giulia hoch im Kurs. Mehr Alfa Romeo gibt es in unserem Archiv.
Der Beitrag Alfa Romeo Giulia – einst erschien zuerst auf radicalmag.