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Ferrari 375 America Vignale

Published in radical-mag.com

Spontanität der Linien

«America», da ist ganz klar, wohin Ferrari zielte. Die ersten «America» waren die 340 America ab 1951 gewesen, es folgte 1952 der 342 America – und 1953 dann der 375 America. Als Basis diente der 250 Europa GT (also: Kastenrahmen, Doppeldreiecksquerlenker vorne, Starrachse hinten, Trommelbremsen), dessen Radstand auf 2,8 Meter gestreckt wurde. Und dann war da natürlich der grosse Motor, nicht der legendäre 3-Liter-V12 von Colombo, sondern die deutlich grössere Version von Lampredi. Im 375 waren es dann 4,5 Liter Hubraum, mit drei Weber-Doppelvergasern (40DCF) und einer Verdichtung von 8:1 wurde die Leistung mit 300 PS angegeben. Es entstanden – wahrscheinlich – elf Exemplare des Ferrari 375 America, sieben (oder acht) wurden bei Pinin Farina eingekleidet, eines (oder keines) bei Ghia, bleiben noch zwei Coupé und ein Cabriolet von Vignale. Wir wollen hier sowohl ein Coupé wie das Cabriolet vorstellen.

Alfredo Vignale, ach – unter den grossen Karossiers war er sicher ein ganz grosser Künstler. Zuerst zeichnete er das Projekt 1:1, dann entstand das Fahrzeug in seinen und den Händen seiner begabten Mitarbeiter direkt ohne weitere Vorlagen direkt auf dem Chassis. Stan Nowak bezeichnete diese Form der Entstehung als «Spontanität der Linien», Vignale hatte keinen genauen Plan, improvisierte, hatte das Auge für die richtige Lösung. In den frühen 50er Jahren war er sicher auch stark inspiriert von den amerikanischen «Dream Cars», doch er fand immer sehr eigenständige, spezielle Lösungen (die heute teilweise als sehr aussergewöhnlich anmuten). Das hier vorgestellte Ferrari 375 America Coupé mit der Chassisnummer 0327 AL ist eines von zwei Modellen, die sich sehr ähnlich sind (das andere war 0337 AL); dieses Exemplar in der für Vignale so typischen Zweifarben-Lackierung (Amaranto/Grau Metallic) entstand auf Bestellung des Amerikaners Robert C. Wilke.

Wilke trug immer einen Cowboy-Hut, besass seinen eigenen Rennstall – und hatte immer einen Ferrari im Paddock parkiert (er besass insgesamt sieben Stück). Er war bekannt dafür, dass er gerne schnell und auch viel fuhr, was er bis 1970 auch mit seinem 375 America tat. Das Fahrzeug wurde nach dem Tod von Wilke mehrfach verkauft, stand auch schon in der Blackhawk Collection, kam dann nach Europa (unter anderem in die Kroymans-Sammlung – bis die Familie Kroymans 2009 Konkurs ging), um dann wieder in die USA verkauft zu werden. Am 22. Januar 2021 kam dieser Ferrari 375 America bei RM Sotheby’s in Arizona unter den Hammer, der Schätzpreis lag bei heftigen 2,4 bis 3,4 Millionen Dollar, zugeschlagen wurde 0327 AL für 2’557’000 Dollar.

Dann gibt es da aber auch noch das Vignale-Cabriolet, Chassisnummer 0353 AL, ein Einzelstück. Ausgeliefert wurde das Fahrzeug (mit einem Hardtop) Bianca Colizzi, Tochter des einst wohl bekannten italienischen Regisseurs Giuseppe Colizzi. Das Fahrzeug war schwarz/schwarz, trug das Kennzeichen «Roma 215282» – und schien der jungen Dame nicht besonders gefallen zu haben, denn schon kurz nach dem Verkauf stand es bei einem Doktor in Rom in der Garage und wurde nicht mehr gebraucht. Dort sah es Luigi Musso, später Werkspilot bei Ferrari, und machte einen Kontakt zu Harry Chambers, der die amerikanische Fluggesellschaft TWA in Mailand vertrat (und später NASA-Direktor werden sollte). Chambers kaufte das Fahrzeug, war fleissig in Europa unterwegs damit, verkaufte es dann Joseph Fitch, der es zuerst metallgrau, dann dunkelblau lackieren liess. Es kamen nur noch drei weitere Besitzer hinzu, seit 1998 befindet sich das Fahrzeug in den gleichen Händen. Und wird am 18.-20. August 2022 von RM Sotheby’s in Monterey versteigert, einen Schätzpreis gibt es noch nicht.

Diese Geschichte gehört auch in unsere Sammlung von «Ferrari und Vignale». Weitere Schönheiten finden Sie in unserem Archiv.

Der Beitrag Ferrari 375 America Vignale erschien zuerst auf radicalmag.